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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Schon gut, mein lieber Felsenberg! Grüßen Sie Sabine, wenn Sie heute mittag hingehen und ihr Jawort holen! Mein Brief wird Ihnen nachher gegeben werden. Leben Sie wohl!“

Die Thür wurde zugeschlagen, und dahin brauste der Zug. Gottlob, als es hell wurde, da waren wir nicht mehr in der Mark, und ich fing all, mich zu sammeln.

An Leeden schrieb ich von Berlin aus ein paar Worte, die ihn aufklärten; er wäre sonst am Ende ganz wirr geworden beim Lesen der Verlobungsanzeige von Sabine Bayer mit dem Lieutenant von Felsenberg. Als ich in meine Garnison kam, war schon ein Brief von ihm da.

„Im ganzen bin ich nicht böse, alter Freund, ich habe Dich behalten. Aber nun wirst Du ja doch eine Familie haben, denn so, wie die Verhältnisse nach Deinem Schreiben zu liegen scheinen, stattest Du eine Tochter aus und bekommst einen Schwiegersohn. Gratuliere zum künftigen Großpapa!“

Ich lächelte ein wenig über seinen Scherz und ging in den drei gemütlichen Zimmern meiner Junggesellenwohnung umher. Da lag noch alles so, wie ich es verlassen hatte an jenem Tage, wo ich so eilig nach Wardelingen fuhr; Lenis verblichene Photographie stand auf dem Schreibtisch und sah mich an, als wollte sie sagen wie einst: „Nicht wahr, Du nimmst Dich meines Kindes all in schweren Stunden?“

Ich hab's gethan, Leni!

Dann ging ich in die Ställe und klopfte den Pferden den spiegelglatten Hals. Der Goldfuchs wieherte leise, er erkannte mich. Die Kinder des Hauswirthes kamen gelaufen und blickten mich an mit verlangenden Blauaugen. „Ihr armen Schelme, diesmal habe ich euch vergessen, ich habe nichts mitgebracht als leere Hände und ein leeres Herz - aber wartet nur, der Böhme holt Euch etwas!“

Ach, und so allmählich , da wird's ja werden , der Mensch gewöhnt sich an alles. Da wird's ja wieder weitergehen, das Leben, auch mit dieser Wunde.

Und es ging weiter. Zur Hochzeit nach Wardelingen luden sie mich nicht ein, natürlich nicht, obgleich ich sie meinem Pathenkinde ausrichtete. Vierzehn Tage später bekam ich ein Päckchen von der jungen Frau.

„Lieber Onkel! Vielleicht macht es Dir Freude, Mamas Tagebuch zu lesen, das sie für mich schrieb.“

Weiter nichts. Ich schlug. die Blätter auf; es waren Lenis liebe kleine Schriftzüge, und da fiel mein Auge auf eine Stelle, die durch ein bräunliches krauses Fleckchen, wie ihn Thränen aus dem Papier zu hinterlassen pflegen, bezeichnet war, und da las ich:

„Lasse Dich nicht bestimmen, eine Ehe einzugehen ohne echte wahre Liebe, mein Herzenskind! Du ahnst nicht, wie trostlos, wie jammervoll, wie erniedrigend das ist für eine Frau! Setze Deinen ganzen Widerstand denen entgegen , die Dich überreden wollen, äußerer Vortheile oder sonstiger Gründe wegen! Bleibe lieber allein, bleib' arm und verlassen - Du wirst Dich glücklicher fühlen als mit einem Gefährten, den die Liebe Dir nicht zugeführt hat. Und wenn Du Dich nicht stark genug fühlst, Dich vor einer Ehe ohne Liebe zu schützen, so wende Dich an Onkel Viktor! Er wird Dir allezeit ein treuer Berater sein, ein zärtlicher Freund - er versprach es mir einst in einer Stunde, die die traurigste und glücklichste meines Lebens war.“

Ich las nicht weiter.

Arme kleine Bine - der Dich schützen sollte, war zugleich der Freier, den Du nicht liebtest! Aber es ist ja dennoch gut geworden, er hat Dich vor sich selbst geschützt - wie schwer es ihm fiel brauchst Du und niemand zu wissen.

Und nach wieder zwei Jahren packte ich doch 'mal meinen Koffer - sie hatten mich ja schließlich mürbe gemacht mit ihren ewigen Quälbriefen - und fuhr nach Wardelingen.

Am Bahnhofe standen Felsenberg und Hella. Sie war ein schönes Mädchen geworden, aber noch immer die Alte. „Donnerwetter“ und „Parapluie“ lebten noch; sie gingen vielleicht ein wenig wackliger und ihre Augen waren ein bißchen trübe, aber im ganzen war man wohlauf. Felsenbergs schönes Zigeunergesicht strahlte vor Freude, als er mich sah.

„Er ist ganz toll vor Seligkeit über den Schreihals, Onkel,“ berichtete Hella achselzuckend, „die Bine und er knien abwechselnd vor dem Bett der Prinzessin und würden ihr die Sterne vom Himmel holen, wenn sie danach verlangen würde; 's ist kaum zum Ansehen!“

„Und wie geht es Tante Klara als Urgroßmutter?“ fragte ich, zwischen beiden hinschreitend.

„Sie macht keinen Anspruch auf diesen Titel,“ erklärte Hella. „Wenn Du's mit ihr verderben willst, brauchst Du sie nur so zu nennen; sie hat Dir ohnehin Deinen damaligen Streich nicht vergeben, Onkel Viktor.“

Und das unartige große Mädel drängte sich an mich heran und flüsterte mir ins Ohr: „Er läßt sich ja gar nicht dreinreden von ihr, weißt Du, und ein bißchen knapp geht's ja doch zu, wenn auch Bine prachtvoll einzuteilen versteht. Wenn Bine die Frau Major voll Brenken geworden wäre, hätte es Großmutter doch bester gepaßt. Uebrigens,“ fügte sie laut hinzu. „übrigens, Onkel, Du hast ja graue Haare und siehst so gemütlich aus, zum Küssen nett, Onkel!“

Das mußte wohl auch im alten Brenkenhause eine schöne junge Frau finden. Eine liebe lichte Gestalt kam mir entgegengeflogen die Treppe hinunter, durch den dämmerigen Flur. „Onkel! Lieber, lieber Onkel!“ Und die frischen Lippen berührten die meinem und tiefe thränenschimmernde Augen blickten mich an. Mein Gott, mein Gott, wie glich sie doch ihrer Mutter!

Und droben zog sie mich an das einfache blau verhängte Bettchen, und er und sie standen da mit so seligem Stolz, daß einem das Herz weich werden mußte vor soviel Menschenglück.

Was that es denn, daß Tante Klara grämlich und alt in ihrem Stübchen unten saß und über Entbehrungen klagte, die sie sich in ihren alten Tagen auferlegen mußte. „Siehst Du, Viktor,“ sagte sie, „wenn Du Sabine geheiratet hättest, dann wäre alles besser; Du wärst glücklich geworden und wir mit!“

„Tante, vielleicht hätte sich Bine schon zu Tode gegrämt neben mir.“

„Ach, so ein dummer sentimentaler Schnack,“ sagte sie ärgerlich, „gerade, als hörte ich Leni sprechen!“

„Na, sei gut, Tantchen,“ bat ich, „und mach' Dich zur Taufe morgen recht fein; weißt Du, so fein wie damals, als Bine getauft wurde!“

„Hat sich was - das lohnte!“ murmelte sie. „Wer kommt denn? Der Kommandeur, weil Felsenberg Regimentsadjutant ist, und der Rittmeister Werner, das ist alles! Und auf Trüffelpüree brauchst Du Dich nicht zu spitzen; sei froh, wenn Du Kälberbraten bekommst!“

„Ich würde es den Kindern sehr übelnehmen, wenn sie Trüffeln geben würden, und müßte ihnen als Papa die Zulage beschneiden. Ist der Werner ein netter Mann?“

„Auch so einer, der denkt, er könne heirathen mit seinem Gehalt als Rittmeister. Wenn Hella so dumm ist, mir kann's recht sein, ich lebe nicht mehr lange genug, um das ganze Elend mit anzusehen.“

Na, wenigstens vorläufig war von Elend nichts zu merken.

Die jungen glücklichen Eltern hatten ihr einfaches Tauffest so allerliebst angeordnet, daß man sich wohl fühlen mußte. Die Rede des Pastors war schlicht und herzlich, die Bine sah in ihrem weißen Kleide frisch und überselig aus, und die kleine Leni guckte mit lustigen blauen Aeuglein in die Welt. An schwarze Schatten war gar nicht zu denken.

Und nach Tische trommelte Hella einen Walzer, und Felsenberg nahm seine Bine in die Arme und schwenkte sie herum. Kein anderer kam und saß mit ihr an der Wiege ihres Kindes und sah sie heiße Thränen weinen und las ihr das Geständniß ihres Unglücks aus den Augen - nein, sie liefen beide zusammen in die Kinderstube, und eng umschlungen kamen sie zurück.

Und da dachte ich, wie ich einst am Bettchen dieser jungen Mutter mit ihrer Mutter gesessen, und dachte, wenn ich Sabinens Gatte wäre und das Kind mein Kind und wenn sie plötzlich sich an die Wiege der kleinen Leni geflüchtet hätte mit dem Manne, dem sie meinetwegen entsagte, und dort heiße Thränen geweint um ein verlorenes Glück - Herr Gott, das hätte schlimm werden können!

Aber er wäre ja nicht mehr unter den Lebenden! Und ich dachte an den Abend, wo er sein Taschentuch über die Pistole warf.

Nein es war besser so - ich hatte mein Versprechen gehalten.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 880. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_880.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2017)