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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Es war vier und fünf und halb sechs Uhr geworden, der weite Abendhimmel hinter den Bäumen begann, sich golden und purpurn zu färben, man unterschied von dem Erkerfenster des Fremdenzimmers im Oberstock nicht mehr deutlich, wer unter den Alleepappeln der Schwabinger Landstraße draußen sich dem Gartenthor näherte. Toni, welche in diesem Erker still hinter den großen Vorhängen saß und hinausspähte, begann allmählich müde zu werden und legte ihren Kopf rückwärts gegen das hohe Gesimse. Sie spürte eine Art von Bangigkeit im Herzen. Warum kam er nicht …?! So viele waren heute schon dagewesen, um nachzufragen, wie den Damen der Ball bekommen sei, es ging ja den ganzen Nachmittag hier im Hause zu wie in einem Taubenschlag, nur einer ließ sich nicht blicken …! Vielleicht hielt ihn etwas ab, er konnte auch unwohl sein … Toni stellte sich alle Möglichkeiten vor und wurde doch mit jeder verrinnenden Viertelstunde unruhiger und niedergeschlagener. So oft das Gitterthor ging, hob sie schnell den Kopf, um ihn sogleich enttäuscht wieder sinken zu lassen. So wartete sie schon eine geraume Weile, sie hatte sich, nachdem die letzten Gäste der starkbesuchten Kaffeestunde gegangen waren und man ihrer nicht mehr bedurfte, hierher zurückgezogen, um nach dem vielen ermüdenden Gerede auszuruhen und ihren Gedanken nachzuhängen. Allmählich aber wurde ihr dies immer unerfreulicher und sie verfiel auf die altbewährte Erfahrung, daß etwas Erwünschtes um so eher eintreffe, wenn man nicht darauf zu warten scheine. Schnell sprang sie auf und sah sich nach irgend einer Beschäftigung um. Sie brauchte nicht weit zu suchen: auf dem Sofa lag noch das ganze Phantasiekostüm von gestern und dicht daneben auf einem Stuhl ein zweiter Kleiderpack, den die Schwester heute früh hatte heraufschaffen lassen, um in der Garderobekammer neben dem Atelier verwahrt zu werden. Ueber den sonstigen Anforderungen des Tages war dies dann in Vergessenheit geraten.

Toni nahm die feinen Gewänder auf, in welchen sie gestern so glücklich gewesen war, sie drückte die Wange liebkosend an den duftigen Stoff, mit geschlossenen Augen ein Weilchen träumend. Dann aber legte sie alles sorgfältig zusammen, wickelte Sandalen und Spangen besonders in ein feines Seidenpapier, bis alles in schönster Ordnung war und nicht das Geringste fehlte. Das bißchen Thätigkeit erfrischte ihre Lebensgeister, sie machte sich also emsig an das weitere, indem sie die anderen Kostüme auf den Arm packte, um sie in die Garderobe zu tragen. Diese befand sich zwischen dem Fremdenzimmer und dem Atelier und bestand in einer abgeschrägten Dachkammer mit großen Wandschränken. Eine Tapetenthüre führte vom Fremdenzimmer hinein, welche Toni jetzt öffnete. Der Raum lag schon in tiefem Dunkel, nur drüben von der Atelierseite her fiel dämmeriges Licht durch eine angelehnte Thüre. Dort befand sich ein neben dem Atelier liegender und nur durch einen Vorhang davon getrennter kleiner Waschraum, der hier seinen Ausgang hatte.

Toni blieb horchend stehen: vom Atelier her schallten lebhafte Stimmen in heiterem Gespräch und Lachen. Einen Augenblick durchzuckte sie’s: wenn er dort drüben wäre! – Aber nein, das war ja Scholz (sie erkannte seine Sprechweise genau) und außer ihm noch Volkhard und Resi. Vermutlich gratulierte er diesem – der fürstliche Besuch heute morgen hatte mit einem großen Ankauf geendigt, und das Ehepaar befand sich deshalb in rosigster Stimmung. An solchen Tagen war Volkhard der zufriedenste Mann von der Welt und seine Resi die famoseste Frau – das wußte Toni bereits aus früherer Erfahrung und fühlte kein Bedürfnis, sich neu davon zu überzeugen. Schon war sie im Begriff, die Kleider in den geöffneten Schrank zu hängen und sich dann wieder zurückzuziehen, als sie deutlich: „Pereda –“ herüberklingen hörte und nochmals: „Pereda.“

Was wurde dort verhandelt? Das mußte sie mit anhören!

Leise legte sie ihre Last auf den Boden nieder, erweiterte behutsam den Thürspalt und betrat unhörbar den Zwischenraum. Der Vorhang nach dem Atelier war niedergelassen, durch seine Ritzen schien die große Helle des elektrischen Lichtes herein, Cigarrendunst und Cognacgeruch erfüllten die warme Luft.

„Er treibt es immer großartig,“ hörte sie den Kritiker sagen, „was mag ihn der Wagen allein gekostet haben. Nun, dafür war er denn auch die Hauptfigur, wenigstens in seiner Einbildung! Denn eitel ist er – maßlos. Man glaubt’s gar nicht, wenn man ihn so in seiner scheinbaren Unbefangenheit sieht.“

„Das macht auch gar nichts,“ sagte Frau Resi trocken. „Daß ein schöner Kerl eitel ist, das ist ganz natürlich. Nur bei den Häßlichen nimmt sich’s komisch aus!“

Toni hätte der Schwester um den Hals fallen mögen für diesen wohlgezielten Hieb. Sie fühlte einen furchtbaren Zorn über den Unverschämten, der so etwas zu sagen wagte. Und es war ihr eine wahre Erleichterung, als sie erkannte, daß er sich im Abschiednehmen befand. Die letzten Worte waren nahe der Thür gewechselt worden, er lachte noch einmal krähend auf über den Spaß und empfahl sich dann, baldiges Wiederkommen verheißend.

„Sag’ einmal, Hans,“ hörte Toni, unmittelbar nachdem die Thüre sich geschlossen hatte, die Stimme der Schwester wieder, „was er da vorhin angebracht hat von „Phantasie und Wirklichkeit“, das war nicht ohne. Ich glaube, der Pereda hat sich gestern ganz ernsthaft in das Tonerl verliebt. Fortwährend war er um sie herum – es ist den andern auch aufgefallen. Meinst Du, daß daraus am Ende ’was werden könnt’? Herrgott, so eine Partie – das wär’ ja ein Riesenglück für das Mädel!“

„Warum nicht gar!“ erwiderte jener sehr gemütsruhig. „Da bildest Du Dir wieder einmal ’was Schönes ein. Der und heiraten! Wenn er sogar die Liebschaft mit der ungarischen Baronin nicht hätte, würde es ihm schwerlich einfallen, aber so erst! … Die läßt ihn nicht aus.“

„Aber er hat dem Tonerl ganz riesig die Cour gemacht, sag’ ich Dir!“

„Um die andere recht wütend zu ärgern, jawohl! Weil sie ihm das angethan hat mit der ‚Phantasie‘. Aber die Versöhnung ist nachgefolgt. Der Hachinger hat sie miteinander aufbrechen sehen zur selben Zeit, wo Ihr ihn in der Garderobe vergeblich erwartetet. – Hoffentlich hat sich das Mädel nichts in den Kopf gesetzt,“ schloß Volkhard mit lebhafterem Ton, „das wäre eine große Dummheit von ihr.“

„Hoffentlich,“ stimmte seine Frau etwas nachdenklich bei. „Aber ich muß schon sagen, wenn es so steht, wäre mir’s lieber, er hätte sich jemand anderen für seine ‚Phantasie‘ gesucht! …“

Toni stand regungslos, totenblaß mit weitgeöffneten Augen in dem dämmerigen Raum. Dann, in plötzlicher Angst, sie möchte hier gefunden werden, setzte sie langsam Fuß für Fuß rückwärts und schlüpfte, während Schwester und Schwager drinnen von anderen Dingen sprachen, geräuschlos hinaus, die Thüre leise ins Schloß drückend. Sie nahm auch noch tastend die Kleider vom Boden auf und schloß die Schrankflügel ganz mechanisch. Aber in ihrem Zimmer wieder angekommen, warf sie alles weit von sich und fiel mit dem Kopf in die Diwankissen, verzweifelt schluchzend und zugleich angstvoll bemüht, daß der Schall davon nicht draußen gehört werde. So lag sie lange, lange, während die Dunkelheit immer dichter hernieder sank und niemand im Hause daran dachte, sich nach dem jungen Geschöpfe umzusehen, das hier in der Finsternis mit dem ersten großen Leid seines Lebens kämpfte.

(Fortsetzung folgt.)


Formosa.

Der mutmaßliche Siegespreis der Japaner.
Von Dr. Adolf Fritze.


Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß das siegreiche Japan, nachdem es China eine gewaltige Niederlage nach der andern bereitet hat, sich nicht eher zum Frieden verstehen wird, als bis ihm von seinem Gegner auch eine Erweiterung seines Länderbesitzes zugestanden ist.

Der Zankapfel selbst, Korea, kommt hier wohl kaum in Frage, weil für die Japaner der Besitz des Landes aus klimatischen und anderen Gründen von keinem wesentlichen Vorteil wäre, es auch zu sehr gegen das Interesse Rußlands verstieße, wollte letzteres Japan gestatten, da festen Fuß zu fassen, wo es selbst noch einmal die Rolle des lachenden Erben zu spielen hofft, denn für Rußland ist der Besitz eines eisfreien Hafens in Ostasien von allergrößter Bedeutung. Auch ist nicht ernstlich anzunehmen, daß Japan nach einem Teil des eigentlichen China Gelüste tragen sollte. Das Land hat

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_204.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)