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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

einen kleinen Muskel, den Trommelfellspanner, der sich, wenn wir wissen, daß eine Schall- oder Luftwelle auftrifft, unwillkürlich zusammenzieht und so die Gewalt des Druckes abzudämmen vermag. Nicht unerwähnt dürfen wir lassen, daß es zumeist keine ganz gesunden Trommelfelle sind, die solchen Gewalteinwirkungen so rasch erliegen.

Das Trommelfell hat also jetzt ein Loch, einen Riß. Für gewöhnlich hat diese Verletzung durchaus nicht so viel auf sich, wie man als Laie anzunehmen geneigt ist. Wird ein derartiges Ohr sachgemäß behandelt, d. h. werden alle Einträufelungen und Einspritzungen von Oel und Wasser etc. unterlassen und wird der Patient zudem noch angewiesen, mit dem Schneuzen sehr vorsichtig zu sein, ja nicht heftig zu schneuzen, wird ferner das Ohr einfach gegen die äußern Einflüsse durch einen Wattepfropf geschützt, so heilt eine derartige auch ziemlich ausgedehnte Verletzung innerhalb weniger Tage völlig spurlos, ohne irgend welche Störung zu hinterlassen. Die Vorsicht beim Schneuzen empfiehlt sich deshalb, weil die zerrissenen Trommelfellränder durch den bei dieser Procedur unfehlbar von innen her eindringenden Luftstrom jedesmal wieder von einander getrennt werden und somit ihre Verklebung direkt verhindert wird.

Wird aber die Trommelfellwunde infiziert, was durch Einträufelungen regelmäßig geschieht, so stellt sich jetzt eine oft folgenschwere eitrige Entzündung ein, der nicht nur das Trommelfell und Gehör, sondern auch sogar das Leben des Patienten zum Opfer fallen kann. Derartige traurige Fälle sind etliche bekannt. Es muß aber bei Gelegenheit einer solchen momentanen Luftverdichtung durchaus nicht zum Zerreißen des Trommelfells kommen und doch kann das Gehörorgan schwer geschädigt werden. Ja, es sind solche Fälle gerade im Gegenteil als viel ungünstigere zu betrachten. Hier wird eben die Membran samt der mit ihr in inniger Verbindung stehenden Kette der Gehörknöchelchen sehr stark und rasch nach einwärts getrieben, diese Bewegung setzt sich ebenso weiter nach innen fort und bewirkt in dem im inneren Ohre befindlichen Labyrinthwasser, das die zarten Nervenendigungen umspült, gewissermaßen eine heftige Sturzwelle, welche die feinen tonauslösenden Endfäserchen der Hörnerven entweder ungewöhnlich reizt oder direkt lähmt. Derartige Fälle gehen, obschon am Trommelfelle nicht die Spur einer Verletzung zu sehen ist, nicht selten in höchstgradige, bleibende Schwerhörigkeit oder Taubheit aus.

Das was bis jetzt über die mögliche Wirkung einer gut aber unglücklich applizierten Ohrfeige gesagt worden ist, gilt selbstverständlich auch für alle anderen Arten von momentanen starken Luftverdichtungen am Gehörorgan, wie z. B. Detonationen von Kanonenschüssen, Explosionen und Aehnliches.

Jedenfalls dürfen wir aus diesen Ausführungen den berechtigten Schluß ziehen, daß das Ohr kein Platz ist, an welchem körperliche Züchtigung ausgeführt werden darf. Auch das Ziehen oder Zerren an den Ohren ist eine verwerfliche Strafart, weil es dadurch leicht zu Einrissen hinter der Ohrmuschel oder sogar zu Zerreißung der Gehörgangswand kommen kann.

Aber nicht bloß die Strafe, der Zorn können das Ohr schädigen, zuweilen geschieht dies auch durch ein Uebermaß der Liebesbezeigung.

Es wird die Leserin interessieren, zu hören, daß auch unter Umständen das Küssen einen sehr schlimmen Einfluß haben kann. Sie staunen? und doch ist es so! Der küssende Mund legt sich auf das niedliche rosige Oehrchen, auf den Ohreingang und schließt denselben einen Augenblick luftdicht ab. Jetzt tritt das gerade Gegenteil ein von dem, was wir bei der Ohrfeige sahen: beim Küssen wird durch die Lippen eine saugende Bewegung ausgeübt und hierdurch wird die Luft innerhalb des Gehörganges rasch verdünnt, das Trommelfell aus seiner natürlichen nach einwärts trichterförmigen eingezogenen Lage ziemlich heftig nach außen gezogen und gewölbt. Da kann es nun infolge dieser Luftverdünnung zum Zerreißen der zarten Blutgefäße des Trommelfells kommen oder es kann gar die Membran selbst einen Riß abkriegen. Derartige Fälle sind bekannt, in denen z. B. die ungestüme Zärtlichkeit einer Mutter durch einen Kuß das Trommelfell ihres Kindes teilweise zerstörte.

Ich komme jetzt zu einem andern mit Recht sehr verbreiteten Gebrauche, dem der Reinigung des Ohres. Ueberall, in allen civilisierten Ländern ist es Sitte, sich die Ohren zu reinigen. Dieser Gebrauch ist an und für sich, wie alle hygieinischen Maßnahmen, durchaus lobenswert, aber die Art und Weise, wie die Reinigung zu erfolgen pflegt, ist nur zu häufig unzweckmäßig, sogar schädlich, gleichwie die zulässigen Grenzen für die Reinigung leider oft genug überschritten werden.

Es ist eine ganz falsche Ansicht, daß das Ohr, das heißt der Gehörgang, nicht die Ohrmuschel, möglichst häufig, womöglich täglich, von dem in ihm sich bildenden Ohrenschmalz befreit werden müsse; dadurch arbeiten wir der Natur gerade zuwider. Das Ohrenschmalz ist das physiologisch natürliche Produkt der Ohrenschweißdrüsen und hat als solches einen bestimmten, von der Natur ihm vorgeschriebenen Zweck: es schützt den Gehörgang gegen die Einwirkungen von außen und hält ihn in einem normalen Feuchtigkeits- und Befettungszustand, wie ja die ganze Haut unseres Körpers durch die Talgdrüsen ihre Geschmeidigkeit erhält. Arbeiten wir gegen dieses Naturgesetz an durch wohlgemeintes, aber falsches zu häufiges Reinigen, so nützen wir dem Ohre nicht, sondern schaden ihm: der Gehörgang wird abnorm trocken, künstlich trocken gemacht; ein unangenehmes Gefühl der Spannung, des Zuengeseins ist die Folge, ein Juckreiz und Kitzeln, zuweilen auch Sausen und kleine Einrisse in die Oberhaut, die sich in Geschwüre umwandeln können.

„Aber ich kann doch den Schmutz nicht im Ohre lassen, das wäre ja zu unanständig!“ Ganz recht. Jedoch wenn der Gehörgang alle zwei bis drei Monate einmal gründlich gereinigt, das heißt sanft ausgespült und sorgfältig nachgetrocknet wird, so ist dies unter normalen Verhältnissen gerade oft genug. Eine öftere Reinigung ist bloß bei Leuten, die mit einer sehr starken, über die Grenzen des Normalen hinausgehenden Ohrenschmalzabsonderung behaftet sind, notwendig; da muß das Ohr mit Spritze und lauwarmem Wasser von seinem „Pfropfe“ befreit werden.

Jedoch nicht bloß in Bezug auf Häufigkeit der Reinigung wird viel gefehlt, sondern noch viel mehr in der Art der Reinigung, die sehr, sehr häufig nicht nur unzweckmäßig, sondern einfach schädlich ist. Sehr verbreitet ist der Gebranch von Ohrlöffeln und trotzdem ist die Anwendung derartiger Instrumente dringend zu widerraten. Die Ohrlöffel, mögen sie nun aus Elfenbein, Holz, Hartgummi, Silber oder gar Gold gearbeitet sein, taugen trotz ihrer verhältnismäßig zweckmäßigen äußeren Gestalt nicht zur schadlosen Reinigung des Ohres, weil sie bei nur einigermaßen stärkerem Drucke – und das geschieht sehr gern, besonders wenn es uns gerade ein bißchen im Ohre juckt – die Oberhaut sehr leicht verletzen, aufreißen können. Und gar nicht selten schließen sich dann an eine solche kleine Verletzung, die dem Patienten vielleicht kaum zum Bewußtsein gekommen ist, schmerzhafte Entzündungen im Gehörgange an; der Gehörgang schwillt infolge des Eindringens von Infektionskeimen, die durch den Löffel selbst meist geradezu in die verletzte Stelle eingeimpft werden, entweder gleichmäßig zu oder es bilden sich kleinere umschriebene sehr schmerzhafte Erhöhungen, die einen kleinen Eiterpfropf enthalten. Gerade diese „Furunkel“ des Gehörgangs verdanken recht oft ihre Entstehung dem Ohrlöffel. Auch recht bösartige Rotläufe entwickeln sich nicht zu selten aus solch unscheinbaren infizierten Stellen. Insbesondere sind hier die metallenen, auch selbst die goldenen Löffel gefährlich, weil das Metall immer etwas scharf, hartkantig auch in der feinsten Bearbeitung bleibt; am wenigsten schädlich sind solche von Hartgummi. Alle diese Instrumente sind nie absolut rein, sie werden in der Tasche herum getragen, in den Schubladen aufbewahrt und dann nach oberflächlicher Reinigung wieder gebraucht; so bleiben sie immer Träger von Infektionsstoffen. Hat sich eine größere Menge von Ohrenschmalz angesammelt, so gelingt es mit dem Löffel gewöhnlich nicht mehr, es völlig zu entfernen, und es wird der größere Rest durch den Ohrlöffel nur weiter hineingearbeitet, auf das Trommelfell hinaufgestoßen. Daß natürlich Zündhölzchen, Bleistifte, Federhalter, Strick- und Häkelnadeln u. a. m. höchst unzweckmäßige, geradezu gefährliche Instrumente sind, sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber doch wird recht häufig mit ihnen im Ohre gewirtschaftet. Ganz abgesehen von den Entzündungen, die sich hier in gleicher Weise wie beim Gebrauch des Löffels zeigen können, bergen derartige Manipulationen noch die große Gefahr der direkten Verletzung des Trommelfells und der tieferen Ohrteile in sich. Ein unachtsames Ausrutschen oder ein unvorsichtiger und unbeabsichtigter Stoß von seiten einer zweiten Person und der Griffel durchbohrt das Trommelfell und fährt schließlich noch weiter in die Tiefe. Derartiger Fälle mit den traurigsten Folgen – absolute Taubheit, Hirnhautentzündung und Tod – sind leider manche bekannt geworden.

Zweckmäßiger als die bisher berührten häuslichen Reinigungsinstrumente

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_258.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)