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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Hoftheater, wo er sich schnell einen so günstigen Ruf erwarb, daß sich Pollini veranlaßt sah, ihn 1886 dem Ensemble des Hamburger Stadttheaters einzureihen; von dort kam er 1889 an das Königliche Schauspielhaus in Berlin, dessen Ueberlieferungen wesentlich dazu beitrugen, seinem Talent, das noch viel Ueberwucherndes und Ueberschäumendes hatte, die rechte Bahn zu weisen.

Matkowsky ist ein so eigenartiger Darsteller wie Kainz; er hat dieselbe hinreißende Leidenschaftlichkeit wie dieser, aber sie ruht doch auf einer andern Grundlage. Bei Kainz ist sie nervös, die Summe verschiedener zusammenwirkender Einflüsse, bei denen hohe geistige Reizbarkeit und Erregbarkeit wesentlich mitspielen; bei Matkowsky hat sie eine elementare Kraft und geht aus einem temperamentvollen Wesen hervor. Er hat nichts Grüblerisches, nichts geistig Zersetzendes, es ist bei ihm alles aus einem Guß; er setzt stets sein ganzes Wesen ein und erobert sich meist im Sturm die Sympathien des Publikums, besonders der schöneren Hälfte desselben. Wo ihm dies nicht gelingt, stößt er auch bisweilen auf entschiedene Ablehnung. So hat die Wiener Kritik neuerdings nicht viel von ihm wissen wollen. Zu seinem Rollenkreis gehören nicht blos Don Carlos und Ferdinand, sondern auch Fiesko und Egmont. Sein Don Carlos ist von ganz anderer Art als derjenige von Kainz; er ist auf einen andern Ton gestimmt. Aehnlich wie er spielte einst der große Charakterdarsteller Dawison die Rolle. Man wird zwar den Don Carlos Matkowskys, der das Liebhaberfach seit Jahren bekleidet, nicht mit jenem ungelenken Infanten Dawisons vergleichen wollen, der nur ein Versuch, ein Seitenpas seiner Künstlerschaft war; gleichwohl sind zwei Ähnlichkeiten unverkennbar: einmal das hinreißende Feuer der Darstellung und dann in den Gefühlsscenen ein etwas weinerlicher Ton, der an slavische Sentimentalität erinnert.

Zündend wirkt Matkowsky auf den Höhen des Affektes, wo sich sein Organ voll, groß, imposant entfaltet: so als Carlos beim Abgang in der Scene mit der Eboli und in den beiden großen Scenen mit dem Könige; in den ersten Auftritten mit Posa wie auch später bisweilen zeigte sich eine etwas süßliche Ueberschwenglichkeit. Das Organ Matkowskys ist ausgiebiger und mächtiger als dasjenige Dawisons, sein Fach ein anderes, aber gerade das elektrisierende Feuer des Vortrages ist beiden gemein. Das zeigte Matkowsky auch als Prinz von Homburg. In den späteren Scenen, in denen der Prinz sich wiedergefunden aus haltloser Schwärmerei und schwächlicher Verirrung – da schlägt er einen vollen innerlichen Ton an und wird den wunderbaren Versen der Kleistschen Muse durch einen Vortrag gerecht, bei dem ein schönes machtvolles Organ und innere Begeisterung harmonisch zusammenwirken. Daß Matkowsky in einer Rolle, in welcher er nur sein Temperament frei gewähren zu lassen braucht, als Ferdinand in „Kabale und Liebe“ glänzt, ist selbstverständlich; geradezu hinreißend wirkt er vor allem in der Vergiftungsscene des letzten Aktes, die er nicht nur mit einer alles Detail trefflich ausmalenden künstlerischen Sauberkeit, sondern auch mit einem wahrhaft dämonischen Zug spielt, wobei der Sarkasmus, die wilde Entschlossenheit, die maßlose Verzweiflung, nachdem er seinen Irrtum erkannt, in Spiel und Rede mit ergreifender Wahrheit zum Ausdruck gelangen. Sein Romeo atmet die ganze sinnliche Liebesglut des feurigen Südländers, die namentlich in der Balkonscene eine berauschende Schwüle und Ueppigkeit entfaltet. Bei dem eigenartigen Naturell Matkowskys ist es begreiflich, daß die Charaktere, die von der bleichen Farbe der Reflexion angekränkelt sind, ihm weniger zusagen, daß er wenigstens größere Schwierigkeiten darin findet, sie mit seinem eigensten Wesen zu verschmelzen. Dies gilt besonders von seinem Hamlet, trotz der Vorzüge, die auch dieser Leistung nachzurühmen sind.

Der dritte unserer jungen Liebhaber und Helden ist Alexander Barthel, dessen künstlerische Physiognomie weniger markante Züge trägt, aber dafür durch einen harmonischen Gesamteindruck anzieht und befriedigt. Barthel ist am 18. Mai 1864 als Sohn des Hofmalers Gustav Adolf Barthel zu Braunschweig geboren, besuchte das dortige Realgymnasium und machte seine ersten theatralischen Versuche auf dem Sommertheater in Celle, wo er den Falkentoni im „Goldbauer“ spielte. Dann wurde er am Braunschweiger Hoftheater engagiert, wo er unter Anton Hiltls Leitung in seiner Kunst bemerkenswerte Fortschritte machte. Eine kürzere künstlerische Station in Hamburg blieb ohne Einfluß auf seine Entwicklung; doch ein glücklicher Stern führte ihn dann zu den „Meiningern“, wo er sich als Romeo die ersten Lorbeern erwarb. Wenn ihm die ausgezeichnete Schule dieser künstlerischen Truppe, die er auf ihren letzten Kunstreisen begleitete, sehr zu statten kam, so trug er auf der anderen Seite nicht wenig dazu bei, daß ihre Vorstellungen glänzenden Beifall und Ruhm erwarben; denn mit seiner sympathischen Persönlichkeit war er ein Hauptträger des Ensembles. Er spielte überall in Deutschland und auch im Auslande eine große Zahl der jugendlichen Liebhaber- und Heldenrollen und die Begeisterung der Zuhörerschaft galt oft in erster Linie seinen Leistungen. Nach der Aufführung der „Jungfrau von Orleans“ durch die „Meininger“ in Berlin engagierte L’Arronge den Künstler für das Deutsche Theater im November 1890. Er hatte hier keinen leichten Stand, denn sein Vorgänger war Josef Kainz. Doch er behauptete sich mit Erfolg in seiner Stellung, die er zwei Jahre lang einnahm. Seit dem Jahre 1892 ist Barthel am Stadttheater in Frankfurt a. M. engagiert, wo er ebenfalls bereits die Sympathien des Publikums gewonnen hat.

Barthel besitzt nicht jenen schwärmerischen Zug, wie er einem Kainz und Matkowsky eigen ist, die wie mit einem magnetischen Bann das Publikum und besonders die Frauenherzen fesseln; aber er gewinnt seine Siege durch die edle und schöne Haltung, die er seinen Jugendgestalten giebt, wobei er keineswegs den lyrischen Zauber preisgiebt, der einem Max Piccolomini, Romeo und Leander eigen sein muß; sein klangvolles und warmes Organ vermag diesen Zauber festzuhalten. Doch wo diese Jünglingsgestalten einen heldenhaften Zug gewinnen, wie in Romeos Tybaltscene oder heim Abgang des Max am Schluß des dritten Aktes in „Wallensteins Tod“ – da ist er in seinem eigentlichen Element. Eine Prachtleistung ist sein Karl Moor – er deckt das Idealbild dieses Schillerschen Helden mit seiner Kraft, seinem Feuer und einem Zug von Größe, der die verbrecherischen Verirrungen adelt. Unübertrefflich ist er in der Schlußscene des vierten Aktes, die er mit hinreißendem Schwung und allem Aufwand seiner nie versagenden Mittel durchführt. Welchen ritterlichen Adel hat sein Lionel! Und welch ein fein und glänzend ausgeführter Charakterkopf ist sein Marc Anton! Wie ergreifend sein Schmerz an Cäsars Leiche, wie machtvoll in ihrer Steigerung seine Beredsamkeit auf dem Forum! Wie versteht er die merkwürdige Mischung in Kleists Hermann, dem Cherusker, zur Einheit zu gestalten. Daß Barthel zu charakterisieren versteht, zeigte er auch als König in dem grellbeleuchteten, aber spannenden Drama Fitgers „Die Rosen von Tyburn“; er wußte dem wankelmütigen Fürsten durch den Adel der Erscheinung noch eine gewisse Sympathie zu sichern.

Das „Deutsche Theater“ in Berlin hat bisweilen Dramen von Friedrich Hebbel und Friedrich Halm gegeben, die nicht zum eisernen Bestand des deutschen Bühnenrepertoires gehören, und so den Darstellern Gelegenheit geboten, neue Rollen aus sich selbst heraus zu schaffen. So war das Hebbelsche Drama „Gyges und sein Ring“ wohl nur auf dem Burgtheater aufgeführt worden, als L’Arronge es auf sein Repertoire setzte. Herr Barthel spielte den Gyges und zeigte sich in der Darstellung des jungen feurigen Griechen auch der Hebbelschen Dramatik und ihrer spröden Kraft gewachsen. Die großen Scenen mit Rhodope spielte er trefflich. Viel öfter ist Friedrich Halms „Wildfeuer“ über die Bühne gegangen. Doch sagte das Stück im ganzen dem Berliner Geschmack nicht zu. Den Erfolg am „Deutschen Theater“ verdankt es dem guten Spiel der Mitwirkenden, besonders auch Barthel, der als Marcel einen der Halmschen Pädagogen so darstellte, daß die Kritik diese Rolle für seine beste erklärte. Und wenn es die Pädagogik der Liebe gilt, da müssen wir noch einer anderen Rolle gedenken, in welcher sie ihr Lehramt in etwas derberer Weise ausübt – des Shakespeareschen Petrucchio in der „Widerspenstigen Zähmung“. Hier zeigt der Darsteller die ganze Quellfrische seines ursprünglichen Talents; dieser Petrucchio ist ein Prachtmensch, naiv, urwüchsig und von unverwüstlichem Humor bei allen seinen Gewaltthätigkeiten.

Barthel ist ein Darsteller, frei von aller Verschwommenheit und Zerflossenheit, mehr für diejenigen jugendlichen Charaktere geschaffen, die einen heldenhaften Zug, einen männlichen Charakter haben und dem in Bezug auf die Liebe ein leidenschaftlicher Jaromir immer besser liegt als ein schwärmerischer Max oder Carlos. Jedenfalls ist Barthel mehr für das Heldenfach berufen, während sich Kainz dem Charakterfach zuwendet und Matkowsky noch auf lange hinaus das Monopol für die Darstellung leidenschaftlicher Liebesglut behaupten wird. †      




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