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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

S’ werd’n, daß Ihner Wasserköpfl net z’lex’nt[1], Sö wacklerter Gaskandelaber. Zupfen S’ an’ Esel die grau’n Haar’ aus, was anders hab’n S’ eh net g’lernt. So a windverdrahts Parapluig’stell will Unseran’ frozzeln? Stecken S’ Ihna Nasen ein, sonst mach’ i mir an’ Fliagnpracker draus. Verschwinden S’ g’schwind, sonst flieg’n S’ so hoch in d’ Luft, daß S’ beim Aberfall’n derhungern!“

Die Klassikerin unter den Wiener Fratschlerinnen war jene Frau Kathie, welche zur Kongreßzeit lebte und ob ihres bösen Mundwerks einen großen Ruf genoß. Ein auswärtiger Fürst, der zu Besuch anwesend war, hatte davon vernommen und begab sich inkognito auf den Naschmarkt, um bei der Frau Kathl ein Privatissimum zu hören. Nach den ersten spöttischen Bemerkungen über ihre schlechte Ware hatte er das Vergnügen, eine ganze Flut von Schimpfnamen anhören zu können. Dem Begleiter des Fürsten wurde es dabei unheimlich zu Mute. Er flüsterte der Frau Kathl zu, wen sie vor sich habe. Diese wurde aber durch den vermeintlichen Aufsitzer noch gereizter und rief zu ihrer Nachbarin hinüber: „Hast g’hört, Sali, der notige G’schwuf will an Fürst sein! Geh’, setz’ ihm Dein Zuspeishäfen auf, daß er si einbild’t, er hat a Kron’ am Kopf.“

Die „Kräutlerinnen“ bei den Gemüseständen sind, vielleicht infolge ihres Umgangs mit den zarten Kindern Floras, schon sanfter geartet. Die mit großer Kunstfertigkeit aufgebauten Gemüsestände bieten durch ihr erfrischendes Grün und die eingestreuten Farbenspiele einen prächtigen Anblick. Zwischen den „Schwingen“ und Körben mit Kohl, Kraut, Salat, Spinat blinken rötliche Karotten und weiße und rote Radieschen hervor, Häupter von Blumenkohl, Spargelbunde und Artischoken, Paradiesäpfel und Rotkraut, Bohnen, grüne Erbsen, Schwämme, Zwiebelkränze, schwarzer Holler, Preiselbeeren, je nach der Jahreszeit. Wie ein niederländisches Stillleben wirkt dieses farbige Bild auf den Beschauer. Weiterhin sind die Wildbretstände, die Fischstände, und querdurch zwischen dem Groß- und dem Kleinmarkt erstreckt sich eine lange Gasse von Verkaufsbuden, in denen die „Kapäunler“ (Geflügelhändler), die Rahm-, Butter- und Eierhändler, die Honigverkäufer und Wursthändler ihre Waren ausbieten. Den äußersten Flügel dieses großen Marktes bilden die Blumenverkäufer. Wie in einem blühenden Garten voll Duft und Farbenpracht sieht man hier die mannigfachsten Topfgewächse, von Veilchen, Nelken, Monatsrosen angefangen bis zu den Fächerpalmen, Rhododendren und Chrysanthemum. Zwischen all diesen Schätzen wogt vom frühen Morgen ab ein buntes Leben von Käufern und Käuferinnen, tönt ein wunderliches Stimmengewirr, bilden sich Gruppen, spielen sich lebhafte Scenen ab. Die „Gnädige“, welche mit Kennerblick die aufgestapelten Waren mustert, hier und da verweilt, um den Preis fragt und feilscht und die erstandene Ware von dem sie begleitenden Dienstboten nach Hause tragen läßt, die Köchin, die so billig als möglich einzukaufen sucht, um das Abgehandelte als „Körbelgeld“ zu behalten, der Lehrjunge, der mit schmaler Börse große Aufträge ausführen soll und sein verantwortungsvolles Amt sich nur dadurch erträglich macht, daß er sich vor allem eine große Salzgurke als Mäkleranteil zuweist, die Arbeitersfrau, die mit sehnsüchtigen Blicken den lockenden Ueberfluß mustert und dabei ihre wenigen Kreuzer bedächtig herumdreht, sind die häufigsten Typen dieses Marktgewühles. Hier geht eine Handwerkersfrau mit ihrem Jüngsten, der, mit begehrlichen Blicken die Fruchtstände verschlingend, seine Mutter unzähligemal an der Rockfalte zupft und ihr Herz mit den in flehendem Tone hervorgebrachten Wünschen zu erweichen sucht: „Muatter, da schaun S’ dö schön’ Aepfel an! – Muatter, an’ Kreuzer auf Boxhörndln[2]! – Muatter, i möcht’ an’ Pamarantschen.“[3] Gefühllos gegen den gehäuften Jammer ihres Sprößlings, schreitet die Mutter vorüber und hält vor einer Bude, wo sie „Bastwaschln“[4] und Reibsand kauft; dann nimmt sie für den Hansi, den Kanarienvogel, Hanf und Wicken und andere Leckerbissen mit; endlich kauft sie bei „ihrer Kräutlerin“ um zwei Kreuzer Suppengrünzeug und um zehn Kreuzer „Kohlrabi“, was alles nicht geeignet ist, die Tantalusqualen ihres Sohnes zu mildern. Auf dem Heimweg begriffen, trifft sie eine Nachbarin und vertieft sich mit ihr in ein sinnreiches Gespräch über einen sonderbaren Traum, der sie in der vergangenen Nacht beschäftigt hat. Es handelt sich da um eine höchst verwickelte Gedankenarbeit und um eine gediegene Kenntnis des ägyptischen Traumbüchels, um aus all den verworrenen Traumgebilden die richtigen spielreifen Nummern herauszudestillieren. Noch sind sie nicht einig, ob sie „tot und lebendig“ mit der Nummer 47 oder den Namenstag der Hingeschiedenen mit der Nummer 15 setzen sollen; da kommt noch eine dritte Nachbarin und zuletzt die alte Köchin von der Hausfrau hinzu, durch deren anerkannt sachkundigen Einfluß die bisherige Traumdeutung wieder vollständig umgestoßen wird. Diesen bedenklichen Augenblick benutzt der kleine Pepi zu einem letzten Ansturm: „Muatter, zwa Kreuzer auf Kerschen!“ – Jetzt greift die Mutter in den Sack und giebt ihm das Verlangte: „Da hast, aber jetzt gieb a Ruh’!“ Sie vergißt dabei ganz ihre Grundsätze, das Kind vor Naschhaftigkeit zu bewahren; denn es handelt sich jetzt um weit Wichtigeres: um einen Terno! Die Lottokollektur im Freihause, hart am Naschmarkt gelegen, macht glänzende Geschäfte. Greißler, Hökerweiber, Dienstboten, Handwerksleute tragen die paar Kreuzer, die sie abgefeilscht oder gewonnen zu haben glauben, in die kleine Lotterie und erkaufen sich damit für ein paar Tage ein rosiges Zukunftsbild – bis zur nächsten Ziehung.

Am äußersten Rande des Marktes haben sich allerlei Kleinhändler und Hausierer angesiedelt, die auch ihr Profitchen von dem lebhaften Markttreiben haben wollen. Da sieht man den Tausendkünstler, der mit seiner Fleckseife selbst den ältesten Kellnerfrack wieder ballfähig macht und mit seinem Porzellankitt die heimlichen Sünden des Küchenpersonals flickt und eine Menge anderer Kunststücke zuwege bringt. Daneben der Mann mit den gelehrten Vögeln, die gewaltige Astrologen sind; denn sie können die „Planeten“ weissagen. Die Marianka oder die Resi erzählt den gefiederten Propheten ihren Traum, und nach kurzem Nachdenken holt ein Fink oder eine Blaumeise ein Papierröllchen mit dem Schnabel hervor, auf dem drei Nummern stehen, die unfehlbar in der nächsten Ziehung „herauskommen“. Man sieht daraus, daß auf dem Naschmarkt auch für die „geistigen Bedürfnisse“ der Kunden gesorgt ist. Mandolettiverkäufer, die bekannten „Krawaten“ mit „Kochlöffel, Spielelei“[5], dann die „Krawatinen“ mit Geldbörsen, Hosenträgern, Zahnbürsten oder auch mit Gollatschen[6], Mohnkipfeln und anderen Eßwaren bilden die sonstige bewegliche Staffage des Marktbildes. Ein großer Troß von Trägern und Trägerinnen und kleinen Jungen, die sich zum Heimtragen der Körbe anbieten, sucht hier seinen täglichen Verdienst. Bettler und Bettlerinnen, zerlumpte Kinder, die kein Heim besitzen, durchstreifen als Marodeure die Stätten des Ueberflusses und suchen angefaultes Obst und Gemüseabfälle, um damit ihren Hunger zu stillen. Wenn der Markt aus ist, sieht man manche dieser Marodeure in den zu Haufen zusammengekehrten Abfällen wühlen. Sie finden darin immer noch Brauchbares für ihren Hunger. Die Marktleute aber ruhen in dem Gasthause an der Ecke des Freihauses bei Leberknödeln und Beinfleisch und einem guten Glase Wein von ihren Strapazen aus. Ehemals saß unter dem offenen Vorbau dieses Gasthauses ein Sextett, das ihnen die Tafelmusik besorgte. Es war ein gemütliches, anheimelndes Bild. Die Musikanten sind aber seit einigen Jahren verschwunden. Der Strom des großstädtischen Lebens hat auch dieses altväterische Bild aus der guten „Backhähndlzeit“ hinweggespült.

Das oben geschilderte Marktbild wiedercholt sich bei den ähnlich eingerichteten Märkten der innern Stadt und der Vorstädte mit geringen Abweichungen. Die Großmarkthalle und die einzelnen in geräumigen Gebäuden untergebrachten Bezirksmarkthallen unterscheiden sich in ihrem äußeren Bilde nur wenig von dem der anderen Großstädte. In der Großmarkthalle fehlt das bunte Treiben des Kleinverkaufes. Das geschlachtete Rindvieh, die Kälber, Schafe, Schweine werden nur in größeren Gewichtsmengen verkauft. Der Wunsch eines großen Teiles der Bevölkerung, auch hier den Verkauf von Fleisch in Posten unter fünf Kilo einzuführen, findet in der Gemeindevertretung nur geringe Unterstützung.

Ein eigenartiges Bild bietet der Obstmarkt am „Schanzl“, wie das Ufergelände in der Nähe der Augartenbrücke genannt wird. In den Morgenstunden landen hier die mit Obst beladenen „Zillen“ (Kähne) aus Oberösterreich in großer Zahl und laden ihre schwere Fracht längs der Böschung des Donaukanales ab. Die Großkäufer kommen mit ihren Butten und Körben auf die Schiffe und die

  1. „z’lexn“ nennt man in der Wiener Mundart das Auseinanderklaffen der Dauben von Holzgefäßen, so daß die Flüssigkeit bei den Spalten durchrinnt.
  2. Die süßen Früchte des Johannisbrotbaumes.
  3. Orangen.
  4. Loses Bündel aus Bast zum Scheuern des Holzgeschirres und der Dielen.
  5. Spielwaren.
  6. Mit Zwetschenmus gefüllte Kuchen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_350.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)