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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

in einen Karren schleppte. Mit zornmütigem Gebell warf er sich dem Räuber entgegen, indes die erfahrenen Stadthunde sich darauf beschränkten, aus der Ferne Einsprache zu erheben. Aber unversehens erwischte ihn ein Gehilfe des Schrecklichen an seinem geräumigen Nackenfell und schleppte auch ihn in den Kerkerwagen, wo bereits mehrere Leidensgefährten stumpfsinnig glotzend sie empfingen.

Eine Stunde darauf hockte Stropp der Hund in einem engen und unsaubern Drahtkäfig, der in der Ecke eines ebenso ungastlichen Schuppens stand. Um ihn herum lagen die Möpsin und seine anderen Mitgefangenen, alle teilnahmlos für einander, ganz besessen und gelähmt von der Angst für ihr eigenes wertes Leben. Selbst Stropp vermochte nur mit Mühe seine große Seele in etwas aufrecht zu halten. Was ihn am meisten beunruhigte, war der Anblick gewisser dunkler Gegenstände, die an Stangen in dem Schuppen hingen, mit Schaudern erkannte er in ihnen die frisch abgezogenen Felle von Angehörigen seines Volkes. Sein einziger Trost war das muntere Gebell, welches ab und zu von der Straße herüber klang. Es gab also doch noch eine Freiheit für das Geschlecht der Hunde. Fest nahm er sich vor, diese Freiheit wiederzugewinnen, es koste, was es wolle.

Indessen dauerte es noch manche lange heiße Stunde, bis sich die erste Gelegenheit zu bieten schien. Der schwarzbärtige Feind der Hunde trat an den Käfig heran, mit ihm ein alter würdiger Herr in feinen Kleidern mit einer mächtigen Brille auf der Nase. Dieser spähte durch das Drahtgitter und rief mit sanfter kummervoller Stimme. „Alinde! Alinde!“

Stropp überlegte nur einen Augenblick. „Eigentlich hat mich ja noch nie einer so gerufen,“ dachte er, „aber gleichviel, wenn er mir nur hinaushilft.“ Somit kroch er beherzt über seine unthätigen Genossen an die Gitterthür und wedelte recht liebenswürdig.

„In der That, das ist sie!“ rief der greise Herr erfreut. „Könnte ich das Tier, bitte, schon gleich mitnehmen? Meine Droschke wartet draußen, ich würde es mit hineinnehmen, damit es nicht noch einmal dem Strafparagraphen verfällt.“

„Wenn der Herr Geheimrat mir die Auslieferung bescheinigen wollen,“ erwiderte der schwarze Mann, „das Strafmandat kommt später – ich bitte nur um eine Mark fünfzig Pfennig Futterkosten.“

Stropp traute seinen Ohren nicht, als er diesen Mann von Futter reden hörte. Indes begnügte er sich, ihm einen bezeichnenden Blick zuzuwerfen, denn schon hatte der alte Herr die Bescheinigung unterschrieben, das Geld bezahlt und trug ihn nun vor die Thür, in die Droschke.

Neugierig beschnüffelte Stropp die Kleider seines Retters, der dies für Zärtlichkeit hielt und ihn freundlich streichelte. „Gänzlich unbekannt,“ dachte Stropp. „Neugierig bin ich, wo das hinausläuft. Es scheint übrigens ein sehr netter Onkel zu sein. Die Hauptsache ist, daß ich heraus bin und mir keiner den Rock abzieht.“ Zufrieden putzte er sein dunkles Fell.

Vor einem schönen großen Hause hielt der Wagen. Unter der Thür standen eine würdige alte Dame, ein schönes junges Mädchen, und dahinter lugte eine schmucke Magd hervor. „Hast Du sie, Papa?“ rief das junge Mädchen.

„Natürlich, mein Kind!“ sagte der alte Herr zufrieden und lockte seinen Schützling heraus. „He, Alinde, komm her!“ Schweifwedelnd sprang Stropp der Hund aus dem Wagen und stellte sich den Damen vor, indes der alte Herr den Kutscher bezahlte und wegschickte.

Die Damen belohnten Stropps Reverenzen mit zärtlichen Liebkosungen. Da sagte auf einmal die Magd:

„Gnädige Frau, das ist gar nicht unsere Alinde.“

„Na nun wird’s gut!“ dachte Stropp und schmiegte sich einstweilen respektvoll an das junge Mädchen.

Erst jetzt betrachteten die Damen den Hund mit kritischen Blicken. Die Entdeckung entfesselte einen Sturm entrüsteter Reden, vor dem der kurzsichtige alte Hausherr sein graues Haupt hilflos neigte. Seine Verteidigung beschränkte sich auf den einzigen Hinweis, daß sonst kein Dackel beim Hundefänger gewesen und das fremde Tier auf den Namen gefolgt sei.

„Sieh ’mal, Mama,“ meinte die Tochter, „die Aehnlichkeit ist aber wirklich sehr groß, und wie freundlich er thut! Vielleicht ist es ein Bruder von unserer armen Alinde!“

Die Mama seufzte. „Vorläufig müssen wir ihn denn wohl behalten. Es ja nur ein Glück, daß wir für alle Fälle die Anzeige in die Zeitung gesetzt haben. Aber ein artiges Tierchen ist es wirklich. Sieh ’mal, jetzt giebt er mir von selbst Pfötchen, es ist ordentlich, als ob er mir danken wolle, daß wir ihn einstweilen hier behalten.“

Sie hatte Stropps Empfindungen vollkommen richtig gedeutet.

„Die Sache macht sich,“ dachte er, und in der That wurde ihm nun sogleich die beste Verpflegung zu teil, so daß er sich, zufrieden die Nase leckend, sagte. „Diese Alinde hat beinahe eine so gute Herrschaft wie ich. Schade, daß wir mit den Leuten nicht in näherem Verkehr stehen.“

Auch die Damen fanden in Stropps Gesellschaft einigen Trost, und nur der Herr Geheimrat blieb höchst mißgestimmt. Schmerzlich empfand dies ein Student, den er gerade auf diesen Nachmittag bestellt hatte, um für das demselben bevorstehende Examen eine kleine Vorprüfung mit ihm anzustellen. Es war ein hübscher junger Mann aus guter Familie, Fräulein Ida, die Tochter, schätzte ihn sehr, und auch den Geheimrat hatte er bis jetzt keinen Grund zu fürchten. Heute

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_365.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)