Seite:Die Gartenlaube (1895) 390.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

er fort, „Du würdest nie über ein frivoles Wort lächeln können, nie! – oder einen unstatthaften Blick lächelnd ertragen? Siehst Du, Sophie, darin bin ich – nicht normal. Ich würde zum Beispiel nie eifersüchtig werden. Othelloscenen brauchst Du also nicht zu fürchten, aber ich würde Dich nicht mehr verstehen, würde irre werden an Dir und Dich schließlich nicht mehr achten können, und das, Liebste, wäre schlimmer, als Dich tot wissen.“

Dann küßt er sie und streichelt wie eine Mutter über das seidige Haar. „Ach Du mein Herz, meine Königin, wozu sage ich Dir das, Du Beste, Reinste von allen!“

Das sind Momente, wo ihr vor Angst das Herz zerspringen will, wo sie vor ihn niedersinken möchte und fragen: Ja, weißt du denn nicht? Hat dir Onkel nicht gesagt, daß ich schon einen andern geküßt? Aber immer bleibt sie stumm. Ach, und dieser andere neben ihm! Wie konnte sie nur – was dachte sie nur damals? Erst allmählich beruhigt sie sich nach solchen Scenen wieder und vermag sich dem Glücksgefühl hinzugeben.

Und die Tage verstreichen in Arbeit und Erwartung.

Grete Busch stickt daheim fleißig und wandert den weiten Weg mit den fertigen Sachen hin nach Beetzen, und Ditscha bezahlt sie aus Mitleid immer reichlich, denn Grete trägt jedesmal eine sorgenvolle Miene zur Schau, noch einmal so hoch wie andere Nähterinnen, und Grete stickt wirklich gut. Selbst Hanne söhnt sich aus mit dem „verschrobenen Dirt“, wie sie die leichtsinnige Gärtnerstochter von ehedem nennt. Und eines schönen Tages – es ist nun November geworden – kommt die alte Frau in die Wohnstube, wo Onkel Jochen, Ditscha und Rothe in der Dämmerung sitzen und sagt:

„Gnä’ Fröln, es ist eigentlich gar keine dumme Idee nich’, wenn wir die Grete gleich hier behielten. Sie verläuft sich viel Zeit, und man kann sie doch die großen Stücken auch nicht gut mitgeben in die kleine Stube von oll Mutter Buschen: sie verschmiert einem ja nur die Tischtücher in dem Finkennäpfchen. Wenn Herr Baron nichts dagegen hätten, daß sie hier loschiert mit ihrer kleinen Deern, könnt’ sie ja in der einfenstrigen Stube, in der ich früher ’mal geschlafen habe, neben die Bettkammer wohnen?“

„Meinetwegen, Du alte Schraube,“ sagt der Baron, der von seiner Zeitung aufsieht, „und mach’ keinen s’on Schnack darum. – Was Ihr braucht – braucht Ihr.“

„Na, da kann ihr morgen früh der Milchwagen mitbringen,“ sagt Hanne, „ich will’s den Pächter wissen lassen.“ Damit geht sie.

Ditscha überfällt ein unheimliches Gefühl dabei, aber was soll sie thun? Wäre doch diese Zeit erst vorüber, brauchte sie erst diese Person nicht mehr zu sehen, deren bloßer Anblick sie erniedrigt! Mein Gott, welcher Dämon hatte damals Macht über sie gehabt! Könnte sie die Erinnerung auslöschen, die sie mit Grete Busch verknüpft, könnte sie ungeschehen machen diese häßliche Episode, Jahre ihres Lebens gäbe sie darum.

Sie hört jetzt, wie Onkel Joachim leise etwas zu Rothe sagt, und wie der antwortet: „Ihre Toleranz begreife ich nicht ganz, Herr Baron.“ Es klingt sehr kühl, fast verletzend, dann erhebt er sich und tritt zu Ditscha ans Fenster und zieht sie an sich. Es ist stark dämmerig, auf Park und Rasenplätzen schimmert der erste leicht silberglänzende Schnee.

„Vielleicht wird Schlittenbahn,“ sagt er, „dann fahren wir mit Achim zum Weihnachtsmann, Sophie, ich versprach es dem kleinen Kerlchen schon lange.“

„Kurt,“ kommt es statt der Antwort von ihren Lippen, „hast Du mich sehr lieb?“

„Ja, mein Herz!“

„Mit allen meinen Fehlern!“

„Mit allen! Nur habe ich bis jetzt noch keine an Dir entdecken können!“

„Aber, wenn Du sie finden wirst?“

„Ich vergebe sie Dir alle – alle – denn Du kannst keinen haben, der nicht liebenswürdig wäre,“ ist seine freundliche Antwort.

Sie nimmt rasch seine Hand und drückt sie an ihre Wange.




Grete ist seit acht Tagen im Hause und hat ihr Kind mitgebracht, ein kleines Mädchen, so schön, wie Murillo seine Engelsgestalten zu malen pflegte. Die Mutter lehnt jedes Lob bescheiden ab, verhält sich still in der Nähstube und stichelt den ganzen Tag; das Kind aber trippelt überall umher, Cilly ist begeistert von demselben und Achim spielt mit ihm auf dem großen Teppich in der Kinderstube. Cilly amüsiert sich in diesen stillen Novembertagen mit der kleinen Ella wie mit einer Puppe. Sie näht ihr sogar Kleider, und eines Tages erscheint das Kind im Zimmer seiner Mutter in einem blaßblauen seidenen „Kate Greenaway“-Kostüm, das Cilly aus einem alten Ballkleide zurechtgebastelt hat.

„O, Du mein süßes Gör,“ schreit Grete entzückt, „als ’ne Prinzeß so schmuck bist Du! Wart’ man, Deine Mama kauft Dir noch viel schönere Kleidchens, wart’ man noch ein büschen.“ Zu Hanne aber sagt sie eine Stunde später vorwurfsvoll: „Sie verwöhnen das Kind hier, so’n armes Gör, das noch weiter nichts auf dem Leib gehabt hat wie Barchent!“

Eines Tages, es ist in der vierten Nachmittagsstunde, bekommt Grete einen Brief. Sie stickt gerade an dem Monogramm eines köstlichen Tischtuches, hört aber auf, als sie den Brief gelesen, und beginnt, sich die Augen zu reiben, zu schluchzen, und eine halbe Stunde später klopft sie mit geröteten, geschwollenen Lidern an Ditschas Thüre. Das junge Mädchen arbeitet an einem Teppich für ihren Bräutigam, den sie ihm zu Weihnacht schenken will, denn dieses Weihnachtsfest soll ja das erste wirklich schöne für sie werden.

„O Gott, o Gott, gnä’ Fräulein, so’n Kummer – so’n Unglück!“ schluchzt Grete.

„Was ist geschehen?“ fragt Ditscha erschreckt.

„O, mein armer Mann! Nu’ wollen sie ihn ja auch von die neue Stelle wegjagen, wenn er nicht bezahlt, und sein ganz büschen Gehalt haben sie ihm auch einbehalten und nu’ weiß ich ja gar nicht, was werden soll, wenn ich nich’ Geld schaffe! – O Gott, o Gott, gnä’ Fräulein, erbarmen Sie sich doch un’ leihen Sie mir die paar hundert Thalers – ich will Sie auf den Knieen dafür danken –“

Ditscha sieht sie verwundert an. „Aber – ich kann doch nicht – –“


„O, gnä’ Fräulein, so wahr ich hier stehe – in einem halben Jahr haben Sie das Geld zurück.“ Und die Frau schluchzt und jammert erbärmlich.

Ditscha besitzt noch das Ausstattungsgeld vom Onkel, denn da sich niemand fand, der sie nach Berlin begleiten konnte zum Einkaufen – das Mutterle ist ganz plötzlich abgereist, weil ein Enkelchen erkrankte, und Tante Anna residiert im Stift Eichenhagen – hatte das junge Paar beschlossen, die Einrichtung auf der Hochzeitsreise zu besorgen.

„Er nimmt sich’s Leben – er nimmt sich’s Leben!“ schluchzt Grete – meisterhaft macht sie es.

„Wieviel brauchen Sie?“

„O Gott, o Gott – es ist ja zu schrecklich, und ich sag’s auch nur, weil wir es ehrlich wiederbezahlen werden, gnä’ Fräulein – achthundert Thalers – –“

Ditscha erschrickt. Darf sie das, ohne Onkel zu fragen? „Ich werde mit dem Herrn Baron reden,“ sagt sie.

Da stürzt ihr Grete zu Füße. „O, nur nich’, nur das nich, gnä’ Fräulein, lieber stürz’ ich mich mit die Ella ins Wasser – o, nur nich’!“

Ditscha macht ihr Kleid aus der Hand Gretes los, geht in das Schlafzimmer und kehrt nach ein paar Minuten mit einer Handvoll Kassenscheine zurück.

Grete schreit vor Glückseligkeit auf, will Ditscha die Hände küssen und bedankt sich überschwenglich unter strömenden Thränen und schluchzt, sie habe es ja immer gewußt, das gnä’ Fräulein sei gut, und das gnä’ Fräulein habe sie nicht vergessen, und gnä’ Fräulein wisse doch auch ganz gewiß, daß Grete Busch verschwiegen ist wie das Grab und daß sie nie und nie und nimmer, zu keiner Sterbensseele jemals ein Wort von damals gesagt habe – – –

Ditscha stützt sich plötzlich auf den Rand des Tisches und ist leichenblaß geworden. Die Katze hat angefangen mit der Maus zu spielen!

„Und die Menschen und ja so slecht,“ fährt Grete fort, und wenn da einer ’von hörte, Sie hätte stundenlang Rendezvous in unserer guten Stube gehabt, da nähm’ ja kein Hund ein Stück Brot von Ihnen, gnä’ Fräulein. – Und nu’ grad’ jetzt, wo Sie verlobt sind, mit so’n schmucken Herrn – aber die Herrens, gnä’ Fräulein, die sind in so ’was so snurrig –. O, liebes gnä’ Fräulein, ich dank’ auch vielemal, und wie ein Grab bin ich – so schweigsam wie ein Grab –“

Ditscha starrt ihr nach, als habe sie einen grausen Spuk gesehen, als habe ein Blitz ihr den Abgrund enthüllt, an dessen Rande

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_390.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)