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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

langen Marinequai zu bilden, der, durch eine Reihe kräftiger Dalben geschützt, sich in gleicher Richtung als 61/2 Meter breite Mole fortsetzt, hinter welcher der von drei Seiten durch Land begrenzte, nach Süden offene neue Torpedobootshafen ausgeschachtet wird. Der Hafen, dessen Herstellung noch eine Bodenbewegung von rund 50000 Kilometern erfordert, wird sechs Meter tief und soll einer vollzähligen Torpedobootsflottille Aufnahme gewähren, während an der Außenseite der Mole, bezw. des Marinequais, in elf Meter tiefem Wasser die größten Panzerschiffe Kohlen aufnehmen können. Auf dem freien Raum zwischen dem Nordufer des Torpedobootshafens und dem südlichen Quai der Kanalmündung, der später zum Kohlendepot für die Marine eingerichtet wird, herrscht augenblicklich, wie auf dem eigentlichen Festplatz am Nordufer, das lebendigste Arbeitstreiben. Denn hier wird das Gebäude für das große Kaiserdiner in Gestalt einer Fregatte errichtet, nach dem Modell der alten „Niobe“, welche, 1843 in England erbaut und 1862 für die deutsche Marine angekauft, dieser 28 Jahre hindurch als Kadettenschulschiff gedient hat.

Eisenbahndrehbrücke bei Osterrönfeld.

Vom Leuchtturm westwärts blickend, haben wir hinter dem Vorhafen die weltberühmt gewordenen Schleusen bereits liegen sehen, denen wir nun schnell unseren Besuch abstatten. Ueber das längst zugeschüttete Bett des alten Eiderkanals und das vielfach zerhackte und verwühlte Terrain der jahrelangen Bauarbeitsstätte hinweg gelangen wir an das interessante Werk, das freilich während des Baues einen überwältigenderen Eindruck machte als heute. Denn nur wer gesehen hat, welche ungeheure Kraftmassen angestrengt wurden, um die Schleusengruben auszuschachten und auszumauern, welche riesenhaften Mengen von Schotter und Beton zur Festigung der Fundamente verwendet sind, welche komplizierte Pumpanlagen Tag und Nacht arbeiteten, um das eindringende Grundwasser mittelst der auf unserem Bilde, S. 396 noch sichtbaren Holzrinnen abzuleiten, und welches labyrinthisch verwirrende Baugerüst, dessen Rest wir ebenfalls hinter den halb geöffneten Thorflügeln erblicken, die Baugruben füllte, ehe das aus besten Ziegeln, Klinkern und Granit scheinbar für alle Ewigkeit gefügte Bauwerk fertig dastand: nur der vermag heute zu beurteilen, was für ein Kolossaldenkmal menschlichen Kulturfortschritts und menschlicher Thatkraft diese beiden, parallel nebeneinander liegenden, je 217 Meter langen Schleusenkammern sind, die heute mit Wasser gefüllt sind und darum auch des früheren Eindrucks ihrer gähnenden Tiefe entbehren. Bei 25 Metern Breite stellt jede der Kammern, sowohl in Holtenau als auch bei dem Brunsbütteler Werke, eine nutzbare Länge von 150 Metern zur Verfügung, so daß zwar nicht mehr die allergrößten unter den heutigen Oceandampfern, wohl aber unsere schwersten Panzerschiffe durchgeschleust werden können. In Holtenau ist die Durchschleusung nur an durchschnittlich 25 Tagen im Jahr erforderlich, da der Wasserspiegel des Kanals auf gleichem Niveau mit dem Mittelwasser der Ostsee gehalten ist und auf dieses eine regelmäßige Ebbe und Flut nicht einwirkt. Ist einmal der Wasserstand der Ostsee bei dauerndem Nordwind höher als derjenige im Kanal, so werden die ostwärts sich öffnenden und im geschlossenen Zustande ebendahin konvergierenden, höheren Flutthore benutzt, im entgegengesetzten Fall gelangen die nach Westen sperrenden niedrigeren Ebbethore zur Verwendung. Ein Ebbe- und ein Flutthor befinden sich jedesmal hart hintereinander, und zwar an jedem Ende der Schleusenkammer, sowie außerdem inmitten derselben, wo sie, als Gitterthore mit mählich zu öffnenden Schützen versehen, die Funktionen von Sperrschleusen für den Fall übernehmen, daß die allzu abnorme Differenz der Wasserstände nach der einen oder anderen Seite hin eine zu heftige Strömung erzeugen würde. Im übrigen wird die gewöhnliche Differenz ohne Benutzung der Sperrthore durch einen, wie auf unserem Bilde zu sehen ist, außerhalb der Schleusenkammern an deren beiden Enden auf jeder Seite ausmündenden Umlauf ausgeglichen, von dem eine Anzahl Stichkanäle rechtwinklig abzweigt und somit auf der ganzen Länge das Wasser gleichzeitig und unter gleichmäßiger Druckverteilung in die Schleusenkammer einführt. Machen Reparaturarbeiten einmal die Entleerung der Schleusenkammern nötig, so wird an den Enden derselben je ein schwimmender Verschlußponton in die dem Mauerwerk eingearbeiteten, im Vordergrund des Bildes ebenfalls erkennbaren Leitrillen eingelassen. Diese Pontons von der Höhe der Flut-, bezw. der Ebbethore sinken, indem sie sich selber vollpumpen, durch die zunehmende Wasserschwere mit dem Kiel bis auf den Grund, bilden einen hermetischen Verschluß für die Kammermündungen und beginnen nun das beiderseits fest abgeschlossene Bassin mit Maschinenkraft leer zu pumpen.

Wenn man sieht, mit welcher spielenden Leichtigkeit ein 2200 Centner wiegender Flutthorflügel sich öffnen und schließen läßt, so ahnt man, daß auf ihn eine gewaltige Kraft wirken muß. Der Wasserdruck, der den gesamten Mechanismus bewegt, wird in dem am südlichen Ufer neben dem selbstthätigen Wasserstandspegel erbauten Maschinenhause durch drei starke Hauptmaschinen erzeugt und von dort nach dem die beiden Schleusenkammern trennenden Mittelpfeiler übertragen, in dessen Innerem die mechanischen Einzelwerke zum Oeffnen und Schließen der Thore, zum Regulieren der Schotten in den Umlaufskanälen und zum Aufziehen und Niederlassen der Schützen in den Gitterschleusen aufgestellt sind, um, wenn wirklich einmal eine Unregelmäßigkeit in dem wunderbar exakt arbeitenden Betriebe eintreten sollte, durch ein auf der Plattform des Pfeilers von Menschenhand dirigiertes Spillwerk ersetzt zu werden.

Doch inzwischen ist unser Dampfer in der Schleuse, in welcher reichlich ein Dutzend seinesgleichen Platz haben würde, angelangt. Noch lassen wir uns schnell vom Schleusenmeister einige Aufklärunugen erteilen und erfahren, daß drüben am nördlichen Ufer das eben im Bau begriffene Gebäude zur Unterbringung des Hafenamts bestimmt ist, während man diesseits in den Maschinenhäusern mit der Aufstellung der Dynamos für die gegennwärtig auf der ganzen Kanallinie in der Einrichtung begriffene elektrische Beleuchtung beschäftigt ist. Die Schleusenanlagen von Holtenau und Brunsbüttel, wo ebenfalls die gleiche Anzahl von Dynamomaschinen aufgestellt wird, erhalten je zwölf Bogenlampen, während auf der ganzen Strecke zwischen beiden Endstationen nahezu tausend Pfähle errichtet werden, deren jeder vier Meter hoch ist und eine fünfundzwanzigkerzige Glühlampe trägt.

Das Westthor der Schleuse an Bord des Dampfers passierend, gelangen wir zunächst in den Binnenhafen, dessen im wesentlichen rechteckige Wasserfläche bei 500 Metern Länge und 200 Metern Breite etwa zehn Hektar groß ist. Starke Dalben schützen die Quaimauern an beiden Ufern, während in Verlängerung der Schleusenpfeiler sich eine auf Rammpfählen ruhende Brückenkonstruktion noch eine Strecke weit in das Hafenbassin hineinerstreckt, welche gleichzeitig als Leitwerk und als Wartebrücke für aus- und eingehende Schiffe dient. Der Binnenhafen, der dem Wechselverkehr mit dem Lande gewidmet ist, verschmälert sich westwärts, bis sein Wasserspiegel nur noch die normale Breite desjenigen des eigentlichen Kanals, nämlich 70 Meter bei mittlerem Stande, besitzt. An dieser Stelle ist die Einfahrt in das eigentliche Kanalbett noch zum größten Teil durch die mitten in demselben liegenden Reste der alten Friedrichsschleuse, der ersten im ehemaligen Eiderkanal, gesperrt, doch ist man emsig beschäftigt, die Tausende von Fundamentpfählen durch Maschinenkraft einzeln aus dem Grunde zu ziehen, um dann mit der Wegbaggerung der noch inselartig über den Wasserspiegel

hervorragenden Bodenmassen zu beginnen. Dicht hinter dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_398.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)