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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

übermittelt, damit sie am hellen lichten Tage von dem verhexenden Blicke irgend eines Feindes nicht getroffen werden.

Der Augenzauber war seit jeher auch in Europa bekannt. Die Römer und die Griechen fürchteten ihn, und namentlich unter den Skythen und Illyriern sollten ganze Familien mit dieser unheimlichen Eigenschaft ausgestattet sein. Weite Volksschichten in Südeuropa werden noch heute von diesem Aberglauben beunruhigt; der „böse Blick“ wird von den Italienern bald malocchio, bald jettatura genannt und die Neugriechen kennen ihn unter dem Namen Kakomati. Die Völker des Orients, die Türken und Araber, die Juden und die Slaven haben vor dem Augenzauber eine tiefe Scheu und auch bei uns flackert noch hier und dort die Furcht fort; es soll auch in Deutschland Leute geben, die mit ihren Augen andere „verneiden“, wie der Bayer sagt, oder auch „verscheinen“, wie die Thätigkeit der mit Hexengewalt ausgestatteten Augen in Norddeutschland genannt wird; und höher im Norden spricht der Engländer von dem evil eye und der Norweger von der skjoertunge – dem Blick, der die Opfer, auf die er gerichtet wird, schwinden läßt.

Aus diesen Beispielen ersehen wir deutlich, daß dieser Aberglaube über die ganze Erde verbreitet und fast allen Völkern gemeinsam ist. Das kann nicht durch einen bloßen Zufall bewirkt worden sein; die ältesten Schöpfer der Lehre vom Augenzauber mußten vielmehr auf dieselbe durch Ereignisse geführt worden sein, die überall unter Menschen vorkommen. Dem Blicke menschlicher Augen muß irgend eine wunderbare unheimliche Kraft innewohnen können, die Unheil zu stiften imstande ist und darum so allgemein gefürchtet wird. Eine solche Annahme ist durchaus nicht unberechtigt, denn dem zarten empfindlichen Auge hat die Natur in der That geradezu wunderbare Kräfte verliehen, indem sie es zum Spiegel der Seele machte, in ihm Gefühle und Leidenschaften widerstrahlen läßt. Die Macht des Blickes hat jeder an sich gefühlt; jeder kennt den liebenden und lohnenden, den strafenden und drohenden Blick; schon Kinder lassen sich durch den Blick leiten. Diese Wirkung des Blickes ist leicht zu erklären; in fremden Augen, die uns anschauen, lesen wir die Gefühle und Stimmungen, die ihre Besitzer im Augenblick bewegen, und durch diese Wahrnehmungen werden in uns Gefühle, Vorstellungen und Gedanken erregt. Zwischen zwei Menschen, die sich anschauen, findet eine geheime Aussprache statt, die oft in einer Sekunde weit tiefer wirkt als lange Wortgespräche. Dadurch wird das Auge zu einer Schutz- und Trutzwaffe und an dieser seiner Macht kann niemand zweifeln.

Man hat aber den Bereich der Augengewalt erweitern wollen und behauptet, daß dem Blicke lähmende und selbst tötende Kräfte innewohnen könnten. Auch diese Anschauung ist uralt; denn sagenhafte Wesen, wir wollen nur an die Medusa und den Basilisk erinnern, wurden von der dichtenden Phantasie mit so gefährlichen Augen ausgestattet. Heute lächelt man über solche Märchen, aber zahlreich ist noch die Meinung verbreitet, daß der Schlangenblick verschiedene, namentlich kleinere Tiere und Vögel zu lähmen vermöge; in etwas geringerem Maße wird dies auch vom Blick der Katze und anderer Raubtiere behauptet. Es ist nicht schwierig, zu entscheiden, inwieweit solche Behauptungen richtig sind; man braucht ja nur die fraglichen Tiere in ihrem Kampfe ums Dasein zu beobachten. Da wollen wir zunächst unsere Ringelnatter erwähnen, die Frösche jagt. Adam Franke, der Verfasser des schönen Büchleins „Die Reptilien und Amphibien Deutschlands“, hat in dieser Hinsicht eine Reihe höchst wertvoller Beobachtungen angestellt. Er ist dabei zu der Ueberzeugung gekommen, daß das Sehvermögen der Schlangen unvollkommen ist; dieselben sind kurzsichtig und scheinen nur sich bewegende Gegenstände genau zu erkennen. In seinem großen der Natur möglichst nachgeahmten Terrarium sah er wiederholt der Jagd der Ringelnatter zu: der verfolgte Frosch sieht sich eingeholt, durch Instinkt und Erfahrung gewitzigt, weiß er, daß er beim nächsten Sprunge geholt wird, die Schlange ist so nahe, daß beide buchstäblich sich ins Auge sehen, er zieht es klüglich vor, sich ruhig zu verhalten; die Schlange brauchte nur zuzubeißen, um ihren Zweck zu erreichen. Statt dessen züngelt sie den Frosch und ihre nächste Umgebung lebhaft an; manchmal wird dies dem Frosche doch zu unheimlich und er riskiert den letzten Sprung, aber fast immer zu seinem Unglücke; denn er wird in diesem Falle in der Regel abgefangen; ist er hingegen vorsichtiger, so nimmt die Affaire einen für ihn günstigeren Verlauf. Die Schlange, beutegierig, wartet nicht sehr lange auf die Bewegung des Frosches, sondern fängt bald an, ihre Nachforschungen auf ein weiteres Gebiet auszudehnen und da kommt es sogar vor, daß sie über den Frosch wegkriecht, der sich die Sache ruhig gefallen läßt und abwartet, bis sich ein gewisser Zwischenraum zwischen ihm und seinem Todfeinde gebildet hat. Plötzlich macht er einen respektablen Satz, als wenn er auf glühenden Kohlen gesessen hätte, aber immer in entgegengesetzter Richtung seiner Verfolgerin. Die Ruhe des Frosches ist also keine Folge des lähmenden Blickes der Schlange, sondern eine instinktive Bethätigung des Erhaltungstriebs von seiten des Frosches.

Die giftige Kreuzotter vermag auch nicht, mit ihrem Blicke die Mäuse zu lähmen oder zu bezaubern. Sie muß an ihre Beute heranschleichen, um ihr den Biß beizubringen, und sobald die Maus ihrer Feindin ansichtig wird, ergreift sie eiligst die Flucht und die Kreuzotter verfolgt, so behend sie es kann, ihr Opfer.

In einem Artikel „Beiträge zur Reptilien-Psychologie“, der jüngst im „Zoologischen Garten“ erschienen ist, schreibt Dr. F. Werner: „Wie viel ist schon über das Bezaubertwerden der Beute durch den Blick der Schlangen geschrieben, geglaubt und schließlich unter dem Eindruck des Gelesenen gesehen und beobachtet worden! Und wieviel ist davon wahr? So gut wie gar nichts. Ich habe gegen 40 Arten von Schlangen teils selbst gefüttert, teils ihrer Fütterung in verschiedenen zoologischen Gärten beigewohnt, aber niemals etwas bemerkt, was mich auch nur annähernd zu dem Glauben hätte veranlassen können, es gehe bei dem Nahrungserwerb der Schlangen anders zu als bei dem irgend eines anderen Tieres.“

Es dürfte wohl keinem Zweifel mehr unterliegen, daß Tiere in der Regel von dem Schlangenblick nicht verzaubert werden. Wir wollen aber gern zugeben, daß ausnahmsweise eine überraschte Maus beim Anblick der Todfeindin starr vor Schrecken, wie festgebannt stehen bleibt. Diese Art „Bezauberung“ wird jedoch auch bei Ueberraschung der Beute durch verschiedene andere Raubtiere beobachtet. Es ist ja bekannt, daß überraschte Vögel, wie Rebhühner, mitunter vor dem Hunde still und starr sitzen bleiben, oder kleinere Vögel vor der herangeschlichenen Katze nicht fliehen können, ja buchstäblich dem Raubtiere in den Rachen fallen.

Was in allen solchen Fällen die Tiere in den Zustand der hilflosen Starre oder der Kataplexie versetzt, das ist nicht eine besondere Macht der Augen des Gegners, sondern Furcht und Schrecken überhaupt. Dabei muß aber wohl zugegeben werden, daß der wilde funkelnde Blick des Raubtiers wohl geeignet ist, die Furcht zu steigern, den Eintritt der Kataplexie zu beschleunigen. Es ist bemerkenswert, daß die meisten derartigen Berichte gerade auf Vögel sich beziehen. Die Vögel sind aber, dank dem Bau ihres Herzens und ihrer Blutgefäße, dank dem heißen Blut, das in ihren Adern strömt, weit mehr als andere Tiere Leidenschaften und Affekten unterthan. Schreck und Freude, Aufregung und Zorn können sie nicht nur lähmen, sondern auf der Stelle töten. Der berühmte jüngst verstorbene große Vogelkenner Karl Theodor Liebe berichtete über wohlverbürgte Fälle, in welchen Vögel, erfreut über die Rückkehr ihres Pflegers nach langer Abwesenheit, tot vom Stängel fielen.

Wir haben somit das Wesen des bezaubernden oder lähmenden Blickes in der Tierwelt erklärt. Damit etwas derartiges überhaupt zustande kommt, ist nicht nur der Blick des Angreifers, sondern auch eine gewisse Schwäche, eine Anlage des Opfers zu kataplektischen, starrkrampfähnlichen Zuständen notwendig. Nur wenn die letztere vorhanden ist, kann der wilde Blick lähmen, versteinern, bezaubern.

In genau derselben Weise äußert sich die Macht des Blickes unter Menschen. Wir wollen es nur an einem Beispiel erläutern. Einer der indianischen Medizinmänner wirft seine zornigen Blicke einem Eingeborenen zu. Der Aermste weiß, was die Blicke bedeuten; er ist in dem Glauben aufgewachsen, daß der Hexenmeister auf diese Weise seine Nächsten verderben kann. Er wird starr vor Schrecken. Dieser Zustand der Starre, in welchem der freie Wille völlig gelähmt ist, hat nun manches, was an die Hypnose erinnert. Plötzliches Erschrecken wurde ja früher auch dazu benutzt, um Leute in „magnetischen Schlaf“ zu versetzen. Wir können also sagen, daß der Indianer von dem Medizinmann gewissermaßen hypnotisiert wurde. In diesem Zustande ist aber der Beklagenswerte für Suggestionen äußerst empfänglich. Sagt ihm nun

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_403.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)