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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

die ihren Gedanken mit; – dann ward aber ihr rundliches Gesicht wieder still, als hätte es weder geblickt noch gedacht. Sie sind ein „lieber Schneck“, wie man bei uns sagt, fing sie harmlos drollig an, recht tief in die Ecke gelehnt. Also Sie wollen durchaus meine „Träume“ wissen … Ja, mein neugieriger Herr, so ideal, so menschenliebend wie Ihre, das sind sie nicht. Erstens will ich also nach Capri – oder irgendwo da herum. Am Mittelländischen Meer muß es sein! Da will ich mich auf den Felsen räkeln – und zwölf- oder zwanzigmal zu mir sagen: Thea, du bist frei! Thea, du hast keinen Direktor! keinen Regisseur! Thea, du bist glücklich!

Ganz allein wollen Sie das –?

Sie schüttelte den Kopf. Sie machte ein so heiter süßes Gesicht, daß er für sein armes Herz keinen Platz mehr hatte. Wie kann man so fragen, sagte sie. Allein – das wär’ ja der Tod! Nein – mit noch einem Menschen. Der es ebenso meint wie ich!

Muß es eine Frau sein? fragte er, ein leichtes Lächeln erzwingend.

Es darf auch ein Mann sein, antwortete sie; ihre Rehaugen lachten. Meinetwegen auch jung; das thut nichts. Aber ein Herz muß er haben; und zwar grad’ für mich. Und er muß denken wie ich: jetzt sind nur wir zwei auf der Welt! Freiheit, Freiheit, Freiheit!

Sie warf ihre Arme seitwärts in die Luft, als spannte sie Flügel aus.

O wie Sie sich nach Freiheit sehnen! sagte Rudolf, der in Mitleid und Liebe zerschmolz. Gewiß ein schöner Traum … Ich möcht’ ihn mitträumen; ich – – Aber was wird dann? – Verzeihn Sie mir die dumme Frage. – Sie können doch nicht jahrelang so auf dem Felsen sitzen –

O nein, fiel sie ihm ins Wort, ganz ernst. So bin ich ja nicht. Ich bin ja eigentlich ein sehr solides Geschöpf! Wenn ich das Gefühl der Freiheit ausgenossen hab’ – wenn ich meinen Sklavenhändlern aus der Ferne geflucht und lange Nasen gemacht und verziehen hab’ – aber das alles muß ich erst, gelt? – Ja, das sieht er ein. Also wenn wir uns an der Freiheit satt gegessen haben – dann gehn wir nach „Europa“, das heißt: zur Pflicht, zum Beruf, zurück. Und weil wir noch Geld haben – denn ohne das geht’s nicht, ohne Geld kein „Traum“! – so lassen wir die junge Künstlerin Thea Schüler noch zwei Jahre ganz, ganz still bei den großen Meistern studieren, damit auch aus ihr eine Meisterin wird; denn jetzt wird sie nichts. Sie ist halt einfach vom Vater weg zur Bühne gelaufen – wissen Sie – und hat zu viel Unsinn im Kopf gehabt; war halt ein dummes Ding. Sie muß erst ordentlich arbeiten lernen; arrrbeiten, wie Der sagt. Und den großen Stil lernen – oder die große Natur – ach, das ist dasselbe. Und wenn sie das alles gelernt hat, dann in Gottes Namen zur „heiligen“ Kunst zurück!

Gelt, das ist kein dummer Traum? setzte sie nach einer Weile hinzu, da Rudolf nichts sagte.

Der gute Junge atmete tief. Es ward ihm so schwer, wieder zu sprechen. – Und der – und das – – o Fräulein Thea! Das sollte nicht Wirklichkeit werden?

Nie! seufzte sie. Wie sollt’ er das? Ohne einen zweiten Menschen nicht; und wo findet man den? – Die wollen ja alle nur ein bissel lustig sein mit der „fidelen Thea“. Ein paar Flaschen Sekt, o ja – oder Schlittenfahren – auch Bouquets werfen – Bogenlaufen – etcetera etcetera. Damit ist’s aus!

Ich bin nicht so, Fräulein, sagte Rudolf so leise, daß sie ihn kaum verstand. Er war blaß, seine Augen hatten aber etwas Glühendes. Glauben Sie mir, ich – –

Seine Stimme begann plötzlich und heftig zu beben; er kämpfte aber solange, bis wenigstens Kehle und Lippen wieder Ruhe hatten. Ich möchte für meine Mitmenschen – wie ich Ihnen sagte – – Ach, wenn ich nur für einen, aber einen herrlichen, himmlischen, etwas Großes thäte, das wär’ ja genug! – Verzeihen Sie – „etwas Großes“ sag’ ich. Wie prahlerisch. Welcher Unsinn. Ich wollte nur sagen: Fräulein Thea, für Sie könnt’ ich jedes, jedes Opfer bringen. Damit Ihr Traum Wahrheit wird. Wollen Sie? Wenn nun ich –?

Wenn Sie was?

Wenn ich dieser „zweite Mensch“ wäre – nähmen Sie ihn an?

Ach Sie! warf sie hin, als wär’s nur ein Scherz von ihm. Sie sollen ja studieren –

Sollen – ein Sollen ist’s nicht. Für eine edle Sache leben – das soll ich. Wenn ich nun ganz für Sie leben wollte, nähmen Sie das an?

Lieber guter Mensch! sagte sie gerührt; es klang ihm wie Musik. Wie können Sie so reden. Sie sind neunzehn alt, nicht wahr –

Noch nicht ganz.

Also zwei Jahre jünger als ich!

Was bedeutet das? Was liegt daran? Wenn die Herzen nur – –

Sie war aufgestanden; um Gotteswillen! rief sie jetzt, als wäre sie sehr erschrocken, und trat ein paar Schritte zurück. Reden Sie nit mehr! Ich halt’s nimmer aus. Wenn Ihr Vater das alles hörte – wofür hielt’ mich der. Nein, nein, nein … Gehn Sie, eh’ Sie sich um Hals und Kopf reden. Ich geb’ Ihnen keine Antwort mehr. Heut nicht. Guten Tag!

Ja, ja, sagte er mit blitzschnellem Entschluß; ja, ja, Thea, ich gehe. „Wenn mein Vater das alles hörte“ … Ja, er soll es hören! – Ich komm’ wieder, Thea. Sie sollen ihn erleben, Ihren Traum. Sie sollen in die Freiheit. Ach, und wenn Sie jetzt auch lächeln – wehmütig – es wird doch. Es muß. Es wird! Bis auf Wiedersehn!

Seine Worte überstürzten sich. Er grüßte nur noch mit der Hand, mit den Augen, dann war er aus der Thür.

(Fortsetzung folgt.)


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Auf dem Pilatus.

Von J. C. Heer. Mit Bildern von P. Bauer.

Dreizackig, düster und einsam ragt im Süden von Luzern der Pilatus in den Aether. Keiner von all den Bergen, die ihre Gipfel im Vierwaldstättersee spiegeln, nimmt Auge und Sinn so gefangen wie er in der erhabenen Blöße seines schwarzen, wilden, zerklüfteten Gesteins. Ein düsterer Geselle ist er. Wenn die andern Berge sonnige Gesichter zeigen, dann liegt um seine Stirn häufig eine Wolke.

Da sitzen wir auf dem Dampfer nach Alpnachstad. Noch wälzen die Schiffsleute Kisten und Koffer herein. Die Zettel, die an den Truhen kleben, führen durch die Geographie der halben Welt – Monte Carlo, Biberach, Abbazia, Bar-le-Duc, Vitznau, Chicago, Ritzebüttel, Scheveningen, Luzern – eine fröhliche Musterkarte von Städten und Gestaden.

Die Leute, die das Verdeck mit roten und grünen, grauen und blauen Reiseschirmen, mit Bergstöcken aus Eschenholz, Bambus oder Weichsel, mit Feldstechern und Fernrohren, mit roten Führerbüchern, mit Plaids und Handkoffern belagern, muten noch bunter an als jene Namen.

„Sind Sie nicht Herr Tartarin von Tarascon?“ fragt man unwillkürlich beim Anblick jenes behäbigen Herrn im Touristenanzug, der mit lauter Stimme seiner Umgebung von seinen alpinen Heldenthaten erzählt, so sehr erinnert er an den Meisterrenommisten der Daudetschen Romane. Und diese da, das ist gewiß Familie Buchholz aus Berlin. So viel Köpfe, so viel Typen: der Assessor in Ferien, der am Vierwaldstättersee nach einem Goldfische angelt – der alte schwärmende Blaustrumpf im blau getupften Rock nach dem Schnitt, den die Damen der Benedix’schen Lustspiele trugen – der dicke blonde Herr mit der goldenen Brille, der sich immer den Schweiß von der Stirne trocknen muß – der weibliche Gardekürassier, der steif wie eine Statue sitzt – der Professor mit der großen Botanisierbüchse und dem grünen Schmetterlingsnetz, der es nicht sieht, daß er die Weste falsch eingeknöpft hat und ihm am Rocke drei Knöpfe fehlen – die strahlend in die Welt hinausschauenden Gymnasiasten, die von jodelnden Aelplerinnen träumen. Dazu Engländer und Amerikaner.

Ein junges Hochzeitspärchen schmollt. Die Frau ist erzürnt, daß der Gatte ihr die zierlichen Rauchtopasnippsachen im Luzerner Juwelierladen nicht gekauft hat. Und er? – Er starrt in das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_506.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)