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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Regiment noch nicht aus dem Festungsverband entlassen. Die Depesche mit diesen letzten Befehlen wurde indes jeden Augenblick erwartet, und unser Oberst hatte sämtliche Stabsoffiziere mit ihren Adjutanten, sowie die Hauptleute und Compagnieführer zu sich auf das Regimentsbureau zum Befehlsempfang berufen. Die Mannschaften sollten dann sofort zu ihren auf dem Kasernenhof und auf der breiten Straße davor in dichten Scharen harrenden Angehörigen und Freunden entlassen werden, um mit diesen die letzten Stunden in der Heimat zu verleben. Das Regiment war marschbereit, und der Ausmarsch sollte jedenfalls in der Frühe des 25. Juli stattfinden.

Ja, wir waren marschbereit. Fieberhaft war in den drei Tagen vorher gearbeitet worden, um das Ziel zu erreichen. Und mit welchem Enthusiasmus! An den Feind zu kommen, je früher desto besser, war unser aller heiße Sehnsucht. Doch so mächtig sich auch diese hegeisterte Stimmung in meiner jungen Lieutenantsbrust regte, ich atmete erleichtert auf, als ich mir sagen konnte, daß die nötigen Vorarbeiten alle beendet, daß wir wirklich „mobil“ waren. Die Meldung, die der Feldwebel mir in Abwesenheit des Compagnieführers überbrachte, gab mir die Gewißheit, daß wir dem ersehnten zweiten Abschnitt unserer kriegerischen Thätigkeit mit ruhigem Gewissen entgegengehen durften, und mit einem zufriedenen Blick in das fröhliche Gesicht des pflichteifrigen Mannes nickte ich ihm zu. „Schön, Feldwebel. Nun wären wir also so weit!“ …

„Zu Befehl, Herr Lieutenant! Aber …“

Also doch noch ein Aber! So wenig gelegen mir ein solches kam, so mußte ich es vorbringen lassen. „Was haben Sie denn jetzt noch zu erinnern, Feldwebel? Ich denke doch, wir sind endlich in Ordnung?“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant! Aber der Gefreite Tilmanns …“

„Nun, was ist’s mit dem? Der gehört doch nicht zu den Neueingestellten?“

„Allerdings nicht, Herr Lieutenant. Er hat bei den Gardeschützen als Einjähriger gedient und hat die Qualifikation zum Reserve-Unteroffizier. Aber’s ist ein ganz feiner Herr, trägt eigene Hemden und Stiefel und – kann absolut keinen Wein vertragen.“

Ich mußte unwillkürlich lachen über die verächtliche, beinahe grimmige Betonung, welche unsere wackere Compagniemutter auf diese letzte bedenkliche Eigentümlichkeit des Gefreiten legte. Ihm selbst war allerdings eine solche Schwäche durchaus fremd, das bewies seine stattliche Leibesfülle und die rosige, gesunde Gesichtsfarbe, wie nicht minder seine Lieblingswendung: „Ein strammer Soldat kann auch ’nen strammen ,Schtiebel’ vertragen“, die auch mir schon bekannt geworden war. Aber auch der Persönlichkeit des Gefreiten erinnerte ich mich jetzt wieder; hatte ich ihm doch, da er in meinem Zuge stand, vom Compagnieführer die Erlaubnis ausgewirkt, seine eigenen Stiefel tragen zu dürfen, die zwar nach Maß, indes vollkommen vorschriftsmäßig gearbeitet waren. Bei dieser Gelegenheit hatte ich allerdings bemerkt, daß Tilmanns übermäßig schlank war und keineswegs den Eindruck besonderer körperlicher Kraft machte, dabei eine recht bleiche, fast krankhafte Gesichtsfarbe hatte. Im übrigen war mir jedoch nichts an ihm aufgefallen, woraus ich mir die Abneigung des Feldwebels hätte erklären können.

„Na, die Feinheit wird ihm draußen vor den Franzosen bald genug von selbst vergehen,“ meinte ich daher belustigt. „Und das Weintrinken kann er sich ja auch noch angewöhnen, wenn wir überhaupt Gelegenheit dazu bekommen, was mir aber, unter uns gesagt, Feldwebel, vorderhand noch keineswegs so sicher zu sein scheint. Wenn Sie also weiter nichts …“

„Weiter nichts, Herr Lieutenant!? Aber das sind doch gräßliche Kennzeichen von Schlappheit! Und der Tilmanns ist der schlappste Kerl, der mir je vorgekommen ist. Das ist so einer von die richtigen Drückeberger, von die Sorte nämlich, Herr Lieutenant, die beim ersten strammen Marsch die Chausseegräben mit ihren schlottrigen Knochen verzieren und die nur mitkommen können, wenn sie Achsen und Räder unter haben. Wenn’s aber ’mal erst wirklich knallt, dann werden sie krank, fallen um und bleiben liegen, natürlich immer ’mal so zufällig hinter ’ner guten Deckung. Und dann heißt’s: zurück zum ‚Schwamm‘! und zwar so fix als möglich –“

„Nun, das wollen wir doch erst abwarten!“ Ich hatte unseren altgedienten, überaus tüchtigen Feldwebel geduldig ausreden lassen und versuchte ihn nun zu beruhigen. „Dagegen giebt’s doch auch noch Mittel und außerdem, Feldwebel, der Schein trügt!“

„Jawohl, Herr Lieutenant. Aber so’n Gefreiter – und wer den Tilmanns dazu gemacht hat, der kann’s am jüngsten Tag nicht verantworten – der paßt nicht ins mobile Regiment, der gehört in den.Ersatz’. Und so wollte ich bitten, dem Herrn Premierlieutenant zu melden, daß ich den Gefreiten Tilmanns nicht für felddiensttauglich halte und glaube, wir sollten ihn vom Ersatzbataillon durch einen anderen Mann ablösen lassen.“

„Daß das jetzt nicht mehr geht, wissen Sie so gut wie ich, Feldwebel; denn das Ersatzbataillon hat nur einen sehr knappen Stamm ausgebildeter Mannschaften. Es ist nichts zu machen, wenn nicht der Gefreite Tilmanns sich selbst krank meldet und vom Stabsarzt auch für krank erklärt wird.“

„Das letztere, Herr Lieutenant, ließe sich aber doch vielleicht …“

„Schon gut, Feldwebel. Holen Sie mir einmal den Gefreiten herbei; ich will selbst sehen und hören.“ Ich war doch nachdenklich geworden, denn die Meldung des Feldwebels klang zu bestimmt und man rückt doch nicht gern gegen den Feind mit Elementen in der Compagnie, von denen nur Schwierigkeiten zu erwarten sind und von welchen man vorausweiß, daß man sich im entscheidenden Augenblick nicht auf sie verlassen kann. Dem Tilmanns aber als Gefreiten und ehemaligem Einjährigen hatte ich den Flügel meines zweiten Halbzuges gegeben.

Ich muß gestehen, der Eindruck, den ich von dem Mann jetzt empfing, als er mit dem Feldwebel herankam, war durchaus nicht geeignet, mir viel Vertrauen einzuflößen. Mit den schmalen, abfallenden Schultern und der flachen Brust füllte sein magerer Körper nur recht kümmerlich den Waffenrock aus, der ihm in der Länge wohl passen mochte, aber viel zu weit war, so daß er unter dem gerollten Mantel recht häßliche Falten bildete. Obgleich er sich offenbar zusammennahm, befand Tilmanns sich im Kampfe mit seiner langen Flinte, die er nur mühsam im „Gewehr aus“ balancierte. Ich kam ihm auch gleich zu Hilfe, indem ich ihn „Gewehr ab“ nehmen ließ, und ich mußte dem Feldwebel recht geben, der Griff war „schlapp“. Anders konnte man auch seine Haltung nicht nennen.

Aber aus dem hageren, blassen Gesichte mit dem kleinen, blonden Schnurrbärtchen leuchtete mir ein Paar großer tiefblauer Augen entgegen mit so eigentümlichem Ausdruck, halb träumerisch und doch so voll ruhiger Entschlossenheit, daß mich dies wieder irre an dem Urteil des Feldwebels werden ließ. Der Mann war kein Drückeberger.

„Der Feldwebel glaubt, daß Sie krank oder doch wenigstens nicht gesund genug sind, die Strapazen auszuhalten, die für uns unvermeidlich sein werden. Ich will Sie daher darauf aufmerksam machen, daß es für Sie und für uns besser ist, wenn Sie sich jetzt noch vor dem Ausrücken krank melden, falls Sie sich nicht ganz gesund fühlen. Wir könnten Sie dann noch zum Ersatzbataillon versetzen lassen, was jedenfalls günstiger wäre, als wenn Sie uns unterwegs liegen blieben.“

Ein schwaches Rot war bei dieser unerwarteten Anrede in die bleichen Züge des Gefreiten gestiegen, allein er antwortete ohne Besinnen, leise, aber bestimmt: „Ich bin vollständig gesund, Herr Lieutenant, und werde auch unterwegs nicht liegen bleiben.“

„Schön! Daß Sie tauglich sind, hat die ärztliche Untersuchung ergeben, krank fühlen Sie sich auch nicht, ich darf mir also ausbitten, daß Sie mir nicht bei irgend einer passenden oder unpassenden Gelegenheit einmal ausspannen. Darauf könnte ich dann keine Rücksicht nehmen. Was sind Sie eigentlich in Ihrem Civilverhältnis?“

„Gymnasiallehrer, Herr Lieutenant.“

„So, na, dann haben Sie also seit Ihrer Dienstzeit noch keine Uebung mitgemacht, sonst wären Sie wohl nicht mehr Gefreiter. Warum sind Sie aber nicht als Unteroffizier entlassen worden?“

„Ich war nicht sehr kräftig –“

„Schlapp!“ brummte der Feldwebel dazwischen.

„Und war deshalb in den letzten Monaten auf das Regimentsbureau abkommandiert.“

„Jawohl – Drückeberger!“ nickte die Compagniemutter in sich hinein.

„Das wäre auch jetzt die beste Verwendung für Sie gewesen, wenn Sie nicht beim Ersatzbataillon bleiben wollten,“ erwiderte ich, dem Feldwebel einen verweisenden Blick zuwerfend. „Dazu hätten Sie sich melden sollen.“

„Ich war zur mobilen Compagnie kommandiert und das entsprach durchaus meinen Wünschen!“

Tilmanns war ganz rot im Gesicht geworden, als er mir in fast heftigem Tone diese Antwort gab und in seinen Augen blitzte etwas wie Zorn, als wollte er sagen: „Glauben Sie denn, daß ich nicht mit ebensoviel Begeisterung und Mut in diesen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_511.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2022)