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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 36.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Sturm im Wasserglase.

Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts.
Von Stefanie Keyser.

 (2. Fortsetzung.)

Als die Dohlen unter fröhlichem Geschnalz und Geschrei ihre langjährigen Sommerwohnungen auf dem alten Turm der Neidecke bezogen, trug ein Leibtrabant des Fürsten, den blau und gelb bequasteten Spieß in der Hand, ein Schreiben hinaus auf die Augustenburg.

Sein Erscheinen rief lebhafte Bewegung hervor. Aus den Fenstern des Kavalierhauses sahen erhitzte Köpfe.

„Nun, wann kommt der Rollwagen mit den Weinfässern?“ „Wo ist der Zug Pferde?“ „Bringt Ihr endlich den Geldsack?“ rief es durcheinander.

Der Leibtrabant zog den Hut und stapfte weiter, ohne zu antworten. Auch die beiden Hofhaltungen standen auf gespanntem Fuß.

Unterdessen war das Schreiben durch die etikettemäßige Reihenfolge der Bedienung gelaufen bis in das Zimmer der Fürstin, wo Kiliane auf Anordnung derselben für die Nonnenzelle der frommen Gertrudis eine winzige Geißel flocht.

Als Augusta Dorothea einen Blick auf die Zeilen geworfen hatte, deren Buchstaben gleichmäßig wie Perlen sich aneinander reihten, entließ sie das Hoffräulein und befahl durch den Mohren Hassan die alte Oberhofmeisterin zu sich.

Kiliane schritt langsam durch die Galerie, die sich vor den Zimmern der Fürstin hinzog. Die Stunde ihres Dienstes war noch nicht abgelaufen, und die Hofleute pflegten hier, eines Rufes gewärtig, zu harren.

Dann ließ sie sich auf einem der mit rotem Atlas bezogenen Tabouretts nieder, die für das Gefolge bereit standen.

Zum Fenster herein kam warmer Frühlingsatem. Von der Allongenperücke Neptuns, der im Garten mit seinem Dreizack aus einem Bassin aufragte, war längst der letzte Eiszapfen geschmolzen.

Ueberall grünte es empor; doch auch überall schnappten die Baumscheren, und was in neu erwachter Lebensfreudigkeit gesproßt war, säumte welkend die Wege.

Mit einem sonderbar sehnsüchtigem Blick flogen Kilianes leuchtend blaue Augen über

Eine Beratung.
Gemälde von M. Bashkirtseff.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_597.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)