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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Die Frage der „Selbstentzündung“.

Von C. Falkenhorst.
I.
Allgemeines. – Selbstentzündung der Baumwolle? Fette und Oele. – Selbstentzündung der Kohle. – Verschiedene andere Selbstentzündungen.

Innerhalb des kurzen Zeitraumes von drei Jahren, von 1889 bis 1892, sind in Berlin 54 Schadenbrände vorgekommen, deren Ursache nach amtlicher Ermittelung auf Selbstentzündung zurückgeführt werden mußte. Alljährlich liest man in Tageszeitungen Berichte, daß Schiffe infolge Selbstentzündung von Kohlen, Baumwolle oder anderen Stoffen entweder gänzlich verbrannten oder brennend einen Nothafen anliefen. Diese Beispiele lassen erkennen, wie bedeutungsvoll die Selbstentzündung als Brandursache in unser wirtschaftliches Leben eingreift; denn auf Millionen beziffern sich der Wert der Güter, die alljährlich durch sie zerstört werden, und groß ist auch die Zahl der Menschenleben, die bei solchen Unglücksfällen verloren gehen. Wie eindringlich auch diese Zahlen reden, sie werden doch nur von wenigen gehört und verstanden. Das Wesen der Selbstentzündung, die Gefahren, welche dieser eigenartige Vorgang über Haus und Hof, Fabrik und Schiff verhängt, sind leider nur den engeren Fachkreisen bekannt, während jeder Hausvorstand sie kennen sollte, da die Erfahrung gelehrt hat, daß die auf Selbstentzündung beruhenden Brände nicht immer nur große Fabriken, Speicher und Schiffe, sondern auch kleine Werkstätten, landwirtschaftliche Betriebe und selbst einfache Haushaltungen betroffen haben. Der größte Teil dieser Brände hätte gewiß verhütet werden können, wenn die Gefährlichkeit der zur Selbstentzündung neigenden Stoffe allgemein bekannt wäre.

In dieser Richtung belehrend und aufklärend zu wirken, ist der Zweck der folgenden Zeilen. Dabei werden wir auch auf die Frage nach der Möglichkeit einer Selbstentzündung des menschlichen Körpers zu sprechen kommen, eine Frage, die bis in die neueste Zeit herein viel Staub aufgewirbelt hat.

Die Chemie lehrt uns, daß es eine große Anzahl von Körpern giebt, die sich zu entzünden und in Feuer und Flamme aufzugehen pflegen, ohne daß man sie vorher erhitzt oder mit einem Funken in Berührung gebracht hat. Ein solcher Körper ist z. B. der Phosphorwasserstoff, der sich sofort entzündet, sobald er an die Luft tritt; man nimmt an, daß er es sei, der in sumpfigen Gegenden die Irrlichter hervorruft. Aehnlich wie der Phosphorwasserstoff verhalten sich Siliciumwasserstoff, Zinkäthyl und Zinkmethyl. Wir wollen hier jedoch auf solche seltene Körper, die man erst künstlich darstellen muß, nicht näher eingehen und uns lediglich auf diejenigen Stoffe beschränken, die wir tagtäglich brauchen.

Bei diesen kann die Selbstentzündung entweder infolge von chemischen oder infolge von physikalischen Einflüssen erfolgen.

Wie durch chemische Prozesse Wärme entwickelt wird, das können wir beim Löschen des gebrannten Kalkes beobachten. Dieser ist eine Verbindung von Calcium und Sauerstoff und wird darum von den Chemikern Calciumoxyd genannt; wird er nun mit Wasser in Berührung gebracht, so verbindet er sich mit diesem chemisch zu einem neuen Körper und es wird dabei so viel Wärme frei, daß das dem Aetzkalke zugesetzte Wasser ins Kochen gerät.

Es ist überaus leicht, mit Hilfe von Aetzkalk und Wasser brennbare Körper zu entzünden. Taucht man ein Stück Aetzkalk ins Wasser, nimmt es gleich wieder heraus und umgiebt es mit Holzspänen, so sieht man bald darauf, daß die Späne in Brand geraten. Gießt man 3 Teile Leinöl und 1 Teil Petroleum unter frisch gebrannten Kalk, rührt die Masse um und gießt dann Wasser hinzu, so werden alsbald aus der Mischung Flammen hervorbrechen. Was wir als Versuch mit Absicht ausführen, das bringt mitunter im Leben der Zufall zustande, und so sind seltsame Fälle bekannt, in welchen durch Zufluß von Wasser Schadenbrände verursacht wurden. In der Stadt Celle stand unfern des Bahnhofs eine Scheune, in der zu ebener Erde Tonnen mit gebranntem Kalk lagerten, daneben und darüber aber auf der sogenannten Hille Vorräte von Heu und Stroh. Als nun bei einem Gewitter ein Platzregen niederging, wurde die Scheune überschwemmt; der Kalk begann sich in den Fässern zu löschen, sprengte die Reifen; infolge der entstehenden Hitze entzündete sich das Heu und die Scheune brannte ab. Im Jahre 1874 entzündete sich im Keller eines Geschäftes in New York ein Faß mit ungelöschtem Kalk, da das steigende Grundwasser in dasselbe eindrang. In Königsberg ließ man einen Wagen mit ungelöschtem Kalk unbedeckt im Hofe stehen, über Nacht kam ein Regenschauer und wurde zum Brandstifter – denn er durchnäßte den Kalk und setzte dadurch den Wagen in Brand.

Als ein Beispiel, wie durch physikalische Einflüsse Selbstentzündung zustande kommen kann, möge hier gleich das Verhalten der Holzkohle genannt werden. Wird diese unmittelbar nach dem Ausglühen der Einwirkung der Luft ausgesetzt, so saugt sie in ihren Poren gierig Sauerstoff auf, verdichtet ihn und erhitzt sich derart, daß sie sich zuletzt entzündet. Diese Eigenschaft frisch geglühter oder gerösteter Körper ist nicht nur Fabriken gefährlich; schon im Jahre 1782 wies der Apotheker Rüde in Bautzen auf die Gefährlichkeit solcher Stoffe im Haushalte hin. Damals war im Dorfe Nauslitz im Viehstall Feuer ausgebrochen, und zwar bei Behandlung des kranken Viehs mit gerösteter Roggenkleie. Der Apotheker stellte Versuche an und bewies, daß solche Kleie sich selbst, ähnlich wie frischgeglühte Kohle, entzünden kann.

Nicht immer aber ist die Erklärung der Selbstentzündung so leicht wie in den genannten Fällen; oft bedarf es des Zusammentreffens verschiedener Umstände, bis ein anscheinend harmloser Stoff feuergefährlich wird und von selbst in Flammen aufgeht.

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Sehr viel ist in den Zeitungen von der Selbstentzündung der Baumwolle die Rede. Allein genauere Untersuchungen haben gelehrt, daß in allen Fällen, wo man Selbstentzündung der rohen Baumwolle annahm, der Brand vielmehr durch eine direkte Ursache, einen Funken, ein Zündhölzchen oder dergl. hervorgerufen war und nur infolge des eigentümlichen Verhaltens der rohen Baumwolle gegen das glimmende Feuer nicht rechtzeitig entdeckt werden konnte. Die Baumwolle kann sich von selbst weder im trocknen, noch im durchnäßten Zustande entzünden, wohl aber wird sie selbst entzündlich, sobald sie mit einer Flüssigkeit durchtränkt wird, die Sauerstoff aufnimmt und dadurch Wärme erzeugt. Zu solchen Körpern gehören nun tierische und pflanzliche Oele. Setzen wir Leinöl in einer Schale der Einwirkung der Luft aus, so wird es sich mit dem Sauerstoff der Luft verbinden, aber die dabei erzeugte Wärme wird nicht merklich groß sein, da die Fläche, an welcher sich Luft und Oel berühren, verhältnismäßig klein ist. Gießen wir dieselbe Menge Oel auf einen Haufen Baumwolle, dann wird diese Berührungsfläche ungemein vergrößert, das Oel zerteilt sich auf die zahllosen Fasern und bietet so dem Sauerstoff der Luft zahllose Angriffspunkte. Unter diesen Umständen kann die infolge der Oxydation frei werdende Wärme so stark werden, daß das Oel und mit ihm die Baumwolle sich entzünden. In derselben Weise entzünden sich auch alle anderen mit tierischen oder pflanzlichen Oelen und Fetten getränkten Faserstoffe, wie Flachs, Wolle, Jute etc. Schon Joh. Fr. Krügelstein, der Altmeister unter den Autoren über Feuerlöschwesen, machte in seinem vor etwa hundert Jahren erschienenen „System der Feuerpolizei-Wissenschaft“ auf derartige Selbstentzündungen aufmerksam. „Am 18. Juni 1751,“ schrieb er, „färbte man zu Rochefort einiges Segeltuch mit roter Oelfarbe. Bei der großen Sonnenhitze trocknete es bald. Am 20. abends gegen 4 Uhr packte man es schnell zusammen, weil man einen Platzregen fürchtete. Dieses Tuch, welches 80 Fuß lang war, wurde, als man es wegräumte, mit der angestrichenen Seite aufeinander gelegt und fest zusammengeschnürt, um es im Schiffsmagazin aufzuheben. Den 22. um 4 Uhr wollte sich ein Segelmacher auf diesen Packen niederlegen, fand ihn aber so heiß, daß er es für nötig fand, ihn aus dem Magazin zu tragen und öffnen zu lassen. Und wirklich stieg ein dicker Rauch aus seiner Mitte hervor, wo das Feuer allein gezündet hatte. An den mit Stricken am meisten zusammengezogenen Stellen war das Tuch sogar in Asche verwandelt.“ So der alte Krügelstein, und nach mehr als hundert Jahren wurde in Dinglers Polytechnischem Journal die Mitteilung gemacht, daß in einer Fabrik des sächsischen Erzgebirges nnit Leinöl getränkter Stramin an der Sonne getrocknet und in die Niederlage gebracht wurde, wo sich das Gewebe von selbst entzündete.

Man stellte infolgedessen Versuche mit kleineren Proben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_603.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)