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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Dann machte er den beiden Frauen eine Verbeugung, drehte sich schroff ab und folgte dem Superintendenten die Treppe hinauf.

Die Kirchendiener empfahlen sich und gingen.

Fieke hatte mit ihren pfiffigen Aeuglein alles gesehen. „Mamsell Lenchen hat wohl gar darum böse gethan, weil der Knopf ein alter Bekannter vom Herrn Sekretarius war?“ fragte sie. „Da muß ich Ihr doch sagen: das Hoffrölen hat sich am Sylvesterabend ein Eichhörnchen gegossen. Ja, wenn Sie auch Augen und Mund aufsperrt! Ich weiß, was ich weiß. – Aber es ist kein Wunder, wenn Ihre Sache zu keinem gedeihlichen Ende führt. Warum schenkt der Herr Sekretarius zum Jahrmarkt einen Nähkasten, obschon jedermann weiß, daß Nadeln die Liebe zerstechen?“

Magdalene war bei jedem Wort zusamnwngefahren. Nun sagte sie, stolz abwehrend: „Was kümmert mich das Fräulein und ihr Eichhörnchen?“

„Fiekchen,“ kam die Hausfrau ihrer Tochter zu Hilfe, „behalte doch Deine Erfahrungen mit den Nadeln, die Du wahrscheinlich bei Deinem Schneiderlehrling gemachl hast, für Dich.“

„Na, solche habe ich nicht gemacht wie die Mamsell mit ihrem Schatz,“ erwiderte Fieke nun auch erbost. „Der Herr Sekretarius drehte sich auf dem Absatz herum, als sei es für immer.“

Dann wünschte sie allerseits gehorsamst eine geruhsame Nacht und wieselte fort.

„Lenchen,“ sagte in klagendem Tone die Mutter, „wozu machst Du Dir so viel Mühe mit den feinen Hohlnähten an den Hemdkrausen, wenn Du doch den Freier immer vor den Kopf stößest?“

Magdalene sah ihre Mutter vorwurfsvoll an.

„Ach,“ erwiderte die sanfte Frau, den Blick verstehend. „Wollte man auf jedes Geklatsch hören, dann käme nie eine Heirat zu stande. Vor einer Verlobung trägt jeder eine ungünstige Nachricht über den Freier in das Haus der Umworbenen, wie später die alten Tiegel auf den Polterabendhaufen.“

Sie hielt inne. Struve kam wieder die Treppe herab.

Die Frauen lauschten. Magdalene faßte nach der Tischkante.

Aber draußen ging der jugendlich elastische Schritt stracks vorüber. Dann klingelte die Hausthür.

Magdalene that wie mit gelähmter Hand die ihr obliegende Arbeit, den blank gebohnten Tisch abzuwischen.

Ihre Murrer seufzte, nahm das Licht und begab sich zu ihrem Eheherrn hinauf.

Aber es dauerte heute lange, ehe droben Ruhe wurde.

„Und wenn mir Amtsentsetzung drohte, nicht ein Wort würde von mir zurückgehalten werden,“ schallte die Stimme des Superintendenten herab.

„Aber wer kann wider den Stachel löcken?“ wagte seine Frau einzuwerfen.

„Der Heilige Geist läßt sich nicht den Mund zubinden,“ widerlegte er sie.

Sie schwieg. Sie mußte es über sich ergehen lassen. Von altersher gilt das Wort: Männer kämpfen, Frauen dulden.

Erst spät ertönte der Abendsegen. Die Stimme von Olearius klang fest, kampfesfreudig; leise zitternd stimmte seine Frau ein.

Auch Magdalene begab sich nicht sofort in ihr Kämmerlein. Sie griff zwar nach der Lampe; aber sie stellte dieselbe wieder hin.

Sie konnte es nicht über das Herz bringen, die schönen Blumen verschmachten zu lassen. Sie hatten es nicht verschuldet, daß der Geber heimlich mit andern schäkerte.

Sie holte einen Würztopf aus dem blauen Porzellan, das in Dorotheenthal gemacht wurde, und stellte mit zitternden Fingern die Blumen hinein.

Wie groß und braun die Aurikeln sie anschauten!

Sie legte plötzlich die Arme auf den Tisch, den Kopf darauf, und unaufhaltsam brachen Thränen und Schluchzen hervor.


Fieke hatte sich von der Magd das Hinterpförtchen öffnen lassen, welches vom Garten der Superintendentur in die Mauergasse führte, in welcher ihr Häuschen stand: krumm und schief wie der kleine Spittelmann auf zwei Krücken.

Hurtig schritt sie ihm zu, daß der Rock aus grobwollenem Rasch geschäftig schwänzte und die weiße Tändelschürze flatterte, die ihr Kiliane geschenkt hatte.

Auf der Bank unter dem Hollunderbaum saß Märten und pflegte der Abendruhe. Als er sie durch die Dunkelheit heranhuschen sah, erhob er sich. Sein Kopf reichte bis an die Dachschindeln.

„Na Fiekchen, hast Du einmal die ganze Stadt zusammengeflickt?“ lachte er ihr entgegen. „Hast ja heute zu allen Fenstern herausgeguckt!“

„Ist das eine Qual,“ seufzte Fieke und packte ihr Körbchen aus, „mit der verflixten Schneiderei! Jede will hübscher gemacht werden, als sie der liebe Gott geschaffen hat. Die Haushälterin vom Herrn Kanzler will eine Wespentaille haben – wenn man sich von solchen Wickelklößen nährt!“ sie schob das gelb glänzende Gebäck ihrem Schatze zu. „Und Justizienrats Christelchen möchte rund wie eine Nudel sein,“ sie legte einen trockenen Bückling daneben.

Märten sah behaglich zu, wie sie so sauber seine Abendmahlzeit ausbreitete: die gerechten Butterfladen aus der Superintendentur und das ungerechte gekochte Hühnchen, das von säumigen Zinsleuten dem Herrn Rentamtmann als Bestechung in die Küche geliefert worden war.

„Du hast schon recht, Fiekchen,“ nickte er. „Aber es giebt auch Jungfern, die eine Wespentaille haben und doch ein rundes Nudelchen sind.“ Er faßte sie um die zierliche Taille, hob sie gelassen in die Höhe und küßte sie herzhaft auf die gesprächigen Lippen.

Dann stellte er sie ebenso ruhig wieder auf ihre Hackenschuhe und machte sich über das Abendbrot her.

Sie hatte seine gemächliche Liebkosung vergnügt hingenommen. Jetzt klagte sie: „Ach, Märten, alles geht schief. Statt Verlöbnis zu halten zanken sich die Leute. Wer weiß, ob ich das amaranthfarbene Kamisölchen von Superintendents Lenchen kriege, in dem ich Hochzeit machen will.“

Er schüttelte seinen dicken Kopf. „Wird das sich dann zu unsern verschrumpften Gesichtern und grauen Haaren schicken?“ fragte er zwischen dem Kauen. „Wir haben erst dreizehn Gülden und sechs Mariengroschen, ist noch weithin bis zu hundert Meißenschen Gülden, die ich nun einnnal nachweisen soll.“ Es war ihm ordentlich lächerlich. „Du freilich bist eine Vollbürgerstochter.“

Fieke drehte selbstgefällig den Kopf hin und her, daß die silbernen Ohrbommeln schwankten. „Ja, ich gehe eine Mesalliance ein, wie sie es bei Hofe nennen,“ sagte sie. „Aber ich thu’ es gern.“ Dann fiel sie in ihren belfernden Ton zurück: „Die Ungerechtigkeit ist himmelschreiend. Wenn es gilt, eine Innung zu behummeln, dann können die Gesetze an den Nagel gehangen werden. Neulich – wir machten aus der Bräutigamsweste des Herrn Bürgermeisters – er hatte sie beim vorigen Schützenfest mit Sauce begossen – wir machten also daraus für den kleinsten Jungen das erste Höschen – das richtige Hanswürstchen! Da bin ich im Mantel und Hut des Herrn durch die Hinterthür hinein geführt worden, daß die Schneider es nicht erführen; aber den armen Leuten wird nicht durch die Finger gesehen.“

„Das hat mein Ur-Ur-Urgroßvater auch schon gesagt,“ brummte Märten und nahm ein zweites Butterbrot.

„Schlimm genug, daß es nach zweihundert Jahren noch immer nicht besser ist,“ zankte sie weiter, „daß die großen Herren noch immer die kleinen Leute schinden.“

„Christian Struve ausgenommen,“ schaltete Märten ein.

„So gehe zu Deinem Christian Struve,“ fuhr sie ihn an. „Vielleicht giebt er Dir ein Sümmchen dazu, wenn Du ihn darum angehst.“

Er sah sie groß an. „Helfen würd’ er wir schon: aber Struve anbetteln? Struve, den ich Du nennen muß, wie wir als kleine Jungen gethan haben? Der mir die Hand drückt wie seinesgleichen? Dann wäre ich ein Bettelmann und nicht mehr sein Freund! Nee, Fieke, lieber Hungers sterben!“

Sie stemmte die Arme in die Seite. „Lieber auch die Fieke im Spittel verkümmern lassen?“

Es zuckte in dem offenen Gesicht. „Wenn’s sein muß – ja!“ sagte er ehrlich.

Sie kreischte auf.

Er faßte mit seiner harten starken Faust ihr feines Schneiderhändchen. „Sei vernünftig, Fieke. Siehst Du, seit ich Struve kenne, weiß ich, daß ich doch auch ein Mensch bin wie alle die andern. Lange ehvor wir einander gut wurden, habe ich mein Herz an ihn gehangen. – Wir waren beide kleine Jungen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_615.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2022)