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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


„Im Gegenteil, wir wollen trachten, Ihnen die Herrschsucht abzugewöhnen,“ sagte René.

Sie drohte ihm mit dem Finger.

Daß man an einem solchen Tage nicht mit den anderen Gästen des Hauses zusammen essen konnte, verstand sich von selbst. Hortense ließ einen kleinen Tisch in der fernsten Saalecke herrichten und da nur Champagner unbekannter Marke auf der Weinkarte stand, bestellte sie Asti spumante. Der kräuterige, schäumende italische Wein schmeckte Magda köstlich. Die Jugendfreude, die zu Haus immer gewaltsam niedergehaltene, leuchtete ihr aus den Augen und ihr Lachen erscholl zuweilen klingend durch den Saal. René war ganz verliebt in ihr schönes Lachen und in ihre sanfte schwingende Stimme.

Hortense stieß mit ihnen an.

„Einen Rat, Kind, nimm gleich,“ sagte sie, „so eine heimliche Verlobung bringt Situationen mit sich, in denen René sich Dir wenig widmen kann. Frag’ ihn nie, quäl’ ihn nie, ‚liebst Du mich, liebst Du mich noch‘.“

„Sie sind ein Engel,“ rief René, „einen besseren Ratgeber kann ich meiner Braut nicht wünschen.“

„Mir scheint, Du nimmst im ganzen den Mann gegen die Frau in Schutz,“ sprach Magda, „das finde ich unrecht.“

Hortense sah fest in Renés vor Uebermut lodernde Augen.

„Ich finde,“ sagte sie, „daß die Frauen im ganzen unleidlich wenig Verstand in ihrem Verkehr mit dem geliebten Mann an den Tag legen. Wenn aber ein Mann eine feinfühlige Frau gewonnen hat, eine, die nicht zu viel fragt und nicht zu viel klagt, eine, die blind vertraut, nicht aus Dummheit, sondern weil sie an die Noblesse des Mannes glaubt, dann soll er solchen Schatz mit heiligem Ernst hüten und jeden Tag neu verdienen.“

„So, nun habe auch ich meinen Rat weg,“ rief René lachend.

„Weißt Du noch,“ sagte Magda, „wie Du ärgerlich warst, hier Bekannte zu treffen? Wir sahen es Deinem Gesicht gleich an, als Du ankamst und gedacht hattest, in dem kaum entdeckten Graubündener Bergneste fändest Du niemand und könntest einmal so recht aufatmen. Hortense allein, das wäre noch gegangen, aber das fremde, stille Mädel, das mit ihr war! Du machtest ein schönes Gesicht an mich hin. Und nun ist alles so geworden!“

„Ja, das Schicksal hat mich ereilt,“ seufzte er unartig.

Magda lachte. Sie wurden sehr lustig und es schien beinahe, als ob Magda einen ganz, ganz kleinen Schwips bekäme.

Es fiel ihnen gar nicht ein, daß etwa die Menschen an der Haupttafel sie beobachten könnten. Hortense fühlte sich immer so ganz hinaus über das Interesse an den X’ens und Y’ns, daß es ihr nie in den Sinn kam, die X’ens und Y’ns könnten sich für sie interessieren. Und wenn auch – es war ihr ganz egal. Ebenso hatte René durch Anlage und Gewöhnung die Fähigkeit, die Nähe beobachtender Menschen nicht zu fühlen. Und Magda sah nichts, dachte nichts als ihr junges, märchenhaftes Glück.

Am Abend dieses Tages stand Magda auf dem Balkon, der wie eine kleine Holzkrippe vor ihrem Zimmer an der Hauswand klebte.

Alles war zur Ruhe gegangen. Im Hochthal zwischen den Tannen herrschte Nacht, die schwarze, harte Dunkelheit, in welche undurchsichtige Körper versinken. Der Himmel darüber aber war, trotz seiner nächtigen Tiefe, gleichsam von innen heraus durchleuchtet. Seine Dunkelheit war klar, als könne der Blick sich ziellos in sie hinein verlieren. Die weißglänzenden Sterne, die ihn durchwirkten, standen in ruhigem Licht. Leises Gewölk lag um die Felsenhäupter und verbarg ihre scharfen Zackenlinien.

Magda träumte in die Nacht hinaus. Ihre Nerven waren noch zu erregt, um schon zur Ruhe kommen zu können. Der glücklichste Tag ihres Lebens lag hinter ihr.

Und ihre Gedanken bauten nun ein ganzes Zukunftsgebäude auf. Sie hatte in ihrem jungen Leben schon zuviel Ernstes erfahren, um zu glauben, daß fortan alle Tage ihr so wonnig lachen würden wie der heutige. Dies war auch schon ausgeschlossen durch die zunächst unverändert bleibenden Verhältnisse.

Aber ein Bild, das auf Goldgrund gemalt ist, macht doch einen andern Eindruck als eines, das vor grauem Hintergrund steht.

Das Bewußtsein, zu lieben, geliebt zu sein, hoffen zu dürfen, mußte alle Pflichten und Geschäfte des Lebens zu einer Spielerei machen. Mit wie neuer Freudigkeit wollte sie sich der Pflege des Vaters widmen, mit wie heißerem Eifer ihrer Kunst nachgehen. Bis jetzt war ihr das Talent, welches sie besaß, nur die Quelle einer für das Behagen ihres Vaters notwendigen Nebeneinnahme gewesen, denn die Pflege des leidenden Mannes, der einen Diener und trefflichste Ernährung brauchte, kostete viel Geld. Aber nun wollte sie noch einmal so viel zu verdienen suchen, um für die Aussteuer zurückzulegen und sich ein bißchen reicher zu kleiden, denn René liebte an Frauen schöne Gewänder. Auch regte sich ein bescheiden ehrgeiziger Gedanke in ihr. In der Dunkelheit der Nacht errötete sie darüber: René sollte sehen, daß sie auch etwas könne. Es war in seiner Gegenwart nur so ganz flüchtig die Rede davon gewesen, daß sie male, Stunden gab und auch schon manches Bild verkauft hatte. Es schien, er hatte kaum darauf gehört. Um so mehr würde er sich freuen, ihr Können achten zu dürfen. Wie glücklich, wie harmonisch sollte die Zukunft werden!

Seine Erfolge, um die sie sich bisher kaum gekümmert, machten ihr Herz vor Stolz erbeben. Sie konnte gar nicht fassen, daß sie jahrelang so gleichgültig über den Namen René Flemming hingehört hatte, der ihr jetzt der schönste, stolzeste, wichtigste von der Welt erschien. Und später würde sie heimlich teil haben an seinen Erfolgen. Er würde sie in seine Arbeiten einweihen, sie würde durch die Götterkraft der Liebe zum Verständnis derselben emporwachsen und im Geiste eins mit ihm sein.

Sie erinnerte sich, von klatschenden Damen zuweilen den Namen Renés mit einem Ausdruck nennen gehört zu haben, als müsse man sich vor ihm bekreuzigen. Er mochte manchen tollen Jugendstreich verübt haben, er gab es selbst zu. So hatte das Schicksal sie ausersehen, sein guter, vielleicht sein rettender Engel zu sein.

Dieser holde und thörichte Mädchengedanke erschütterte sie so sehr, daß Thränen in ihre Augen traten und ihre Seele gleicherweise von Dankbarkeit wie von heiligen Gelöbnissen erfüllt ward.

Wenn es ihr doch nur gegeben wäre, so recht beredt ihm alles zu sagen, was sie empfand! Aber ihre Zunge war nie schnell gewesen, und es schien immer, als schüchtere sie etwas in Renés Wesen ein, als warne sie etwas in seinem Blick, wenn er auf sie gerichtet war, viel von ihren und seinen Gefühlen zu sprechen.

Aber der Wunsch, sich ihm ganz mitteilen zu können, ihr ganzes Innere in das seine überströmen zu können, keine, gar keine Schranke mehr zwischen sich und ihm zu empfinden, wuchs in ihr.

Zu ihrer eigenen Ueberraschung blieb die letzte, die Schlußempfindung dieses Tags, der ihr das Glück gegeben, nicht eine gesättigte Dankbarkeit, sondern ein heißes Sehnen. Die Sehnsucht, sein Wesen, seine Seele, sein Inneres zu erfassen, es halten und zerlegen zu können, wie man ein Kleinod mit tastenden Fingern ergreift.

(Fortsetzung folgt.)



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Das Haar als Zeuge vor Gericht.

Von C. Falkenhorst.

In früheren Jahrhunderten spielte das Haar vor den Gerichten eine wichtige Rolle. Bart und Haar waren Rechtssymbole, Zeichen und Tracht des Standes der Freien. Darum rührten schwörende Männer Bart und Haar an, während schwörende Frauen die Finger der rechten Hand auf ihre Haarflechten legten. Darum wurde den Knechten das Haar kurz geschoren und auch ein Freier konnte sich durch Uebergabe seines abgeschnittenen Haares in die Knechtschaft eines anderen begeben. Wurde ein Erwachsener an Kindesstatt angenommen, so wurde ihm der Bart abgeschnitten. Anderseits bedeutete das Abscheren von Bart und Haar auch eine entehrende Strafe und unsere Vorfahren kannten eine Gerichtsbarkeit „zu Haut und Haar“, die kleinere Missethäter betraf und den Gegensatz zu der schwereren Gerichtsbarkeit „zu Hals und Hand“ bildete. Damit sind aber die Beziehungen des Haares zu dem Richterstuhl nicht erschöpft; denn der Aberglauben der damaligen Zeiten legte den Haaren besondere Eigenschaften bei, die auch für den Richter von Interesse waren. Weit verbreitet war die Ansicht, daß Kraft und Haarwuchs miteinander zusammenhingen; man fand dies auch in der Bibel durch die Geschichte von Simson bestätigt, und so waren viele Gerichtshöfe der Ansicht, daß Angeklagte, denen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_676.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)