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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

das Haupthaar abgeschoren ist, durch die Folter leichter zum Geständnis ihrer Schuld gebracht werden können, ja man schrieb gelehrte Abhandlungen, in welchen die Richtigkeit dieser Anschauung bewiesen wurde. Das abergläubische Volk vermutete, daß in verschiedenen menschlichen wie tierischen Haaren geheime, zauberische Kräfte stecken; berühmt war in dieser Hinsicht namentlich das Katzenhaar; mit diesem konnten Uebelwollende ihren Nächsten vielfachen Schaden beibringen, und Paulus Zacchias, ein berühmter Gerichtsarzt, der zu Anfang des 17. Jahrhunderts lebte, schreibt noch von dem Gifte der Katzenhaare als einem der Gifte, welche gewöhnlich als solche nicht richtig erkannt werden. Heutzutage versucht in dem civilisierten Europa kein Bösewicht mehr, seinen Feind oder sein auserkorenes Opfer mit Katzenhaaren umzubringen. Nur noch unter wilden oder wenig von der Kultur beleckten Völkern, wie z. B. unter den Malayen, besteht der Brauch, daß Uebelwollende feingeschnittene Haare, namentlich Tigerhaare, in schleimigen Getränken anderen beizubringen suchen, um sie zu vergiften.

Mit solchen Verbrechen befassen sich unsere deutschen Gerichte nicht mehr. Oft aber spielt das Haar in Gerichtsverhandlungen eine sehr wichtige Rolle, indem einige wenige gefundene Härchen dazu dienen können, den Angeklagten der Schuld zu überführen. Diese Bedeutung hat jedoch das Haar erst in neuerer Zeit, in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts erlangt, seitdem es der Wissenschaft mit Hilfe des Mikroskops gelungen ist, die verschiedensten Haarsorten voneinander zu unterscheiden. Einer der ersten berühmten Fälle, die in dieser Art auf die Spur der Verbrecher leiteten, war der Massenmord, der in der Nacht vorn 10. auf den 11. Mai des Jahres 1861 in einer Mühle bei Chursdorf, zwei Meilen von Soldin entfernt, vollführt wurde. Dort fand man sechs Menschen ermordet, den Mühlenbesitzer und seine Frau, drei Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren und das sechzehnjährige Dienstmädchen. Alle diese Leichen zeigten Kopfwunden, die nach Ansicht des Gerichtsarztes nur mit den Oehrteilen von Aexten, Handbeilen oder Hämmern geschlagen werden konnten.

Fig. 1.

a Kopfhaar vom Menschen. b Haar vom Kinde. c Haar vom Marder. d feines Rattenhaar. e stärkeres Rattenhaar. f Hasenhaar, 430mal vergrößert.

Am 18. Mai wurde in Pommern, in dem Warsiner Forst, einige Meilen von Chursdorf entfernt, eine Höhle mit verschiedenen höchst wahrscheinlich geraubten Sachen entdeckt. Unter den letzteren befanden sich drei Handbeile die bei genauer Vergleichung mit der Mehrzahl der Kopfwunden der zu Chursdorf Ermordeten in Einklang zu bringen waren und sämtlich an ihrem Oehrteile zahlreiche dunkel- und schwarzrote glänzende Blutflecke hatten. Außerdem wurden an den Beilen noch 10 menschliche Haare gesunden, die mit Haarproben der Ermordeten verglichen wurden. Lender, der untersuchende Arzt, stellte nun fest, daß 3 schwarze Beilhaare mit den Haupthaaren des Mühlenmeisters, 2 dunkelblonde Haupthaare mit denjenigen der Kinder und die anderen mit den Haaren der Magd übereinstimmten. Unter den Beilhaaren befand sich aber keins, das zu den Haaren der ermordeten Frau gepaßt hätte. Dieser Umstand konnte nun zwar seine Erklärung darin finden, daß die Frau eine Haube aufgehabt hatte, allein es war auch keines der drei Beile so groß, daß es zu den Wunden am Kopfe der Frau gepaßt hätte: bei der Mordthat wurde also noch ein viertes Beil verwendet, das dem Untersuchungsrichter nicht vorlag.

Durch seine sorgfältigen Prüfungen stellte Lender jedoch nicht nur die Uebereinstimmung der an Beilen gefundenen Haare mit denen der Ermordeten fest, sondern zeigte auch, daß in ihnen geschlagene oder zerschlagene Haupthaare vorlagen, daß dieselben mit den betreffenden Beilen auf Schädeln lebender Menschen zerschlagen wurden und daß dabei auch jene Menschen erschlagen wurden. Die zehn Haare bezeugten so deutlich den Tod von mindestens drei Menschen, daß Lender den Ausspruch that: „Wären die Höhlenbeile nicht aufgesucht, sondern ohne Beziehung auf irgend ein Verbrechen aufgefunden worden, so würde die Kriminalpolizei die Pflicht gehabt haben, nach den Leichen derer zu forschen, die mit den Höhlenbeilen ermordet worden waren!“

Die weiteren Nachforschungen führten zur Entdeckung der Verbrecher, in deren Besitz auch das vierte Beil, mit dem die Frau erschlagen worden war, gefunden wurde.

In anderen Fällen gelingt es der Wissenschaft, unschuldig Angeklagte von dem schweren Verdacht des Mordes zu reinigen. Im Besitze eines Mannes wurde ein mit Blut und Haaren beschmutzter Stock gefunden und der Mann als vermutlicher Urheber einer Mordthat, die sich soeben in der Nähe ereignet hatte, verhaftet. Gegen ihn sprachen die Blutflecke und Haare an dem Stock; er entschuldigte sich mit der Aussage, daß er damit einen Hasen erschlagen hätte. In der That konnte der Gerichtsarzt die betreffenden Haare als Hasenhaare bestimmen und der Mann wurde dadurch entlastet.

So hängt oft das Wohl und Wehe der Menschen oder die Möglichkeit der gerechten Vergeltung von einem winzigen Härchen ab, und der Sachverständige, der dieses Härchen untersuchen soll, muß mit der größten Peinlichkeit vorgehen, um nicht in einen schwerwiegenden Irrtum zu verfallen. Die Methoden der gerichtlichen Haaruntersuchung sind darum aufs sorgfältigste ausgearbeitet und einige derselben sind auch für weitere Leserkreise nicht ohne Interesse; denn ihre Betrachtung öffnet uns belehrende Einblicke in verschiedene naturwissenschaftliche Gebiete.

Werden dem Gerichtsarzte Haare zur Untersuchung übergeben, so hat er zuerst zu entscheiden, ob dieselben vom Menschen oder einem Tiere herstammmen. Darüber giebt uns die Betrachtung der Haare durch das Mikroskop Aufschluß. Bei genügender Vergrößerung bemerken wir, daß ein ausgebildeter Haarschaft aus drei Teilen besteht. Den äußersten Rand bildet das Oberhäutchen, unter diesem liegt die Rindenschicht und die Mitte des Haarschaftes nimmt der Markstrang oder der Achsenstrang ein. Beim menschlichen Haar ist das Oberhäutchen, wie aus der nebenstehenden Abbildung, Fig. 1 a zu ersehen ist, glatt und dünn, so daß es wie eine Konturlinie erscheint. Die Rindenschicht ist verhältnismäßig breit, sie bildet die Hauptmasse des Haarschaftes und besitzt ein gestreiftes Aussehen, in dieser Schicht ist auch der Farbstoff eingelagert. Der Markstrang ist verhältnismäßig dünn; er nimmt etwa ein Fünftel, höchstens ein Viertel der ganzen Haarbreite an; er hat ein körniges Aussehen und besteht in Wirklichkeit aus kleinen Zellen, die jedoch so ineinander verfilzt sind, daß wir sie als solche ohne besondere Hilfsmittel nicht zu erkennen vermögen.

Tierhaare bestehen aus denselben drei Teilen, aber dieselben sind ganz anders beschaffen. Bei manchen Tierarten ist das Oberhäutchen des Haarschaftes nicht glatt, sondern gezahnt, wie z. B. bei feinem Rattenhaar, das in Fig. 1 d abgebildet ist. Am wichtigsten ist aber das Verhalten des Markstranges. Die Rindenschicht erscheint in Tierhaaren sehr wenig entwickelt, der Markstrang füllt oft fast das ganze Haar aus. Schon dann können wir behaupten, daß wir ein tierisches Haar vor uns haben, wenn die Breite des Markstranges mindestens ein Drittel der Breite des ganzen Haarschaftes beträgt. Außerdem aber sieht derselbe nicht körnig wie beim menschlichen Haar aus, sondern wir können in ihm noch deutlich den Bau der einzelnen Zellen erkennen, und da diese bei verschiedenen Tierarten verschieden gestaltet sind, so vermögen wir auf Grund der Bilder, die er darbietet, auszusagen, von welchem Tiere ein bestimmtes Haar stammt. Unsere Abbildungen in Fig. 1 führen dem Leser einige solcher charakteristischen Tierhaare vor. Soweit ist die Antwort auf die Frage, ob Menschen- oder Tierhaare vorliegen, nicht schwierig. Es kommt allerdings manchmal vor, daß namentlich junge Haare keinen Markstrang enthalten; wenn dann auch das Oberhäutchen glatt ist, so muß der Gerichtsarzt die Frage

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_678.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)