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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Hol’ ihn dieser und jener! dachte Struve, an den nun auch die Reihe kam, eifersüchtig zu sein. Hatte er sich noch nicht satt gesehen?

Nein; noch lange nicht. Aber sein Mundwerk kam wieder in Gang. Das Glas mit zartem Finger ergreifend, sprach er, galant sich verneigend: „Wolle die Demoiselle mich exküsieren wegen meines Einfalles in die bräutliche Festivität. Das bringt der Krieg so mit sich. Und da Hochehrwürden seinem Herzen Luft gemacht hat, so hoffe ich, die Affaire wird demselben keinen Schaden thun.“

Er harrte eines höflichen Wortes; aber Magdalena blieb stumm.

„Ich bin hoffentlich nicht zu früh gekommen,“ fuhr er eifrig fort, „habe die Demoiselles nicht derangiert in Ihrem Geheimbunde? Sonst müßte ich mich sofort entfernen.“

Sie schwieg und begann langsam rückwärts zu gehen.

Eine Röte stieg in sein Gesicht. Das Glas hebend, sagte er: „Will die Demoiselle mir die Ehre erzeigen, einmal mit mir anzuklingen auf Ihr zukünftiges Wohlbefinden?“ Er wollte ein Ende machen, trinken und gehen. Er hatte genug von der schönen Braut.

Ohne einen Laut von sich zu geben, mit steifem Knix zog sie sich zurück.

Die Mutter zupfte sie verstohlen an der Spitzenmanschette, ihr Bräutigam räusperte sich, leise mahnend – ohne Erfolg.

Der Husar strich sich über die Stirn.

Da rauschte plötzlich ein schweres Seidenkleid durch die Gruppe der atemlos lauschenden Mädchen. Kiliane, die bis jetzt hinter ihnen auf dem krummbeinigen Kanapeechen gesessen und vor unterdrücktem Lachen eine Rose zerbissen hatte, chassierte hervor.

„Monsieur verlangt zu viel,“ sagte sie mit mutwillig sprühendem Blick. „Die Demoiselle Braut ist viel zu sittsam, als daß sie sans façon mit einem fremden Kavalier an das Glas klingen würde. Da meine Wenigkeit aber, außer der Dienstbarkeit als Hoffräulein bei der Frau Fürstin, frei ist wie der Falter, der durchaus die Flügel an der Kerze dort sich verbrennen will, so biete ich mich als Ersatz.“

Aufatmend wandte sich der aus der Klemme befreite Husar ihr zu.

Welch reizende Blondine, und welch feines Benehmen! Dieser Knix, bei dem sie den Fächer an beiden Enden faßte und hoch hob, als könnte er sonst in der Flut des blauen Damastkleides versinken!

Hofleute erkennen sich an solchen geheimen Zeichen wie die Rosenkreuzer.

Während sie mit dem Glas, das ihr Struve eiligst präsentiert hatte, an das des Offiziers stieß, neckte sie: „Hält das weimarische Heer die Augustenburg keiner Eroberung wert? Wir haben noch keinen der feindlichen Helden zu sehen bekommen.“

„Bisher hat es Ihrer Durchlaucht nicht gefallen, uns zu empfangen. Aber heute nachmittag haben wir die Nachricht bekommen, daß wir morgen unsere Aufwartung machen dürfen. Also wird nunmehr die Belagerung beginnen. Und wir werden nicht eher ruhen,“ erklärte er feurig, „bis sich die Burg auf Gnade und Ungnade ergeben hat.“

„Giebt es kein Lösegeld, das uns frei machen könnte, wenigstens von der Ungnade?“ lachte sie übermütig.

„Was würde die schöne Besatzung bieten?“ fragte er unternehmend und strich den Bart in die Höhe.

Kiliane lächelte und lugte unter ihrem Fächer hervor ihn an. Dann küßte sie die Spitze desselben und warf ihm mit einem schmachtenden Blick gleichsam den Hauch zu.

Ein dunkles Rot schoß ihm in die Stirn; die schwarzen Augen blitzten sie fast wild an.

Die jungen Mädchen saßen erstarrt über dieses Kunststück. Da ging einem ja der Atem aus. Das war etwas anderes, als wenn der Ratskämmerer um ein Küßchen in Ehren bettelte und dann schmatzte, daß es durch die ganze Stube knallte.

Bärbchen Marei warf einen schelmischen Blick auf ihn. Das sollte ein Kuß sein? Das geschah ihm recht.

Den Rittmeister machte es ganz toll.

Er ward so beredt, daß die bei der Bewirtung der Gäste helfende Fieke sich sagte: so hängt also die Schwadron und der Schwadroneur zusammen. Und er pokulierte, daß die Hausfrau meinte, der unerschöpfliche Krug von der Hochzeit zu Kana würde heute bei ihr sehr am Platze sein.

Sie atmete auf, als sie melden konnte, die Portechaise harre wieder draußen auf das Fräulein.

Kiliane verstand, lachte und erhob sich.

Fieke, die dem tollen Treiben Kilianes mit weit aufgerissenen Augen zugeschaut hatte, flüsterte, ihr das schleppende Gewand nachtragend: „Aber Fräulein! Sie hat sich doch ein Eichhörnchen gegossen!“

Kiliane lachte, fast schrill klang es. „Ich kann doch nicht in einem hohlen Eichbaum wohnen, und Deinem Eichhörnchen wird nicht viel mehr bleiben, Schneiderchen. Lustig leben! Zum Sterben, ob selig oder unselig, wird mir schon Zeit und Gelegenheit werden.“

Unter Geplauder entfernten sich auch die andern jugendlichen Beistände des Abends.

Struves Hand strich über Magdalenes feine Brauen. „Warum ist mein Herzenstrost so ernst?“

„Herr Sekretarius,“ zwitscherte der Bachin Stimmchen dazwischen, „kann Er mir und meinem Bastel nicht die Erlaubnis verschaffen, daß wir in Dornheim bei unserem alten Gevatter Pastor getraut werden dürfen? Da braucht’s keinen großen Staat und Schmaus.“

„Ich will thun, was ich vermag,“ verhieß eilig Struve. „Bekomme ich keinen rechtschaffenen Kuß zum Abschied?“ fragte er zärtlich Magdalene.

„Darf ich von der Demoiselle Braut mich konzedieren?“ klirrte der Rittmeister dazwischen, immer die Augen auf Kiliane gerichtet.

Magdalene spendete einen letzten stummen Knix.

„Nun, mein geliebtes Herz?“ flüsterte Struve.

Sie lehnte das Haupt an seine Brust.

„Herr Sekretarius,“ rief Kiliane, mit dem Husaren davon gehend, „darf ich Seine Ritterdienste in Anspruch nehmen?“

Da stampfte Struve mit dem Fuß auf, küßte Lenchen schnell und herzhaft und folgte dem Hoffräulein.

Ein Diener mit der Stablaterne voraus, das Verdeck der Portechaise zurückgeschlagen, daß das gepuderte Haupt des Hoffräuleins Platz hatte, so setzte sich der Zug in Bewegung.

Nebenher schritt Krainsberg, eifrig zu dem auf den goldgelben Kissen sich wiegenden Fräulein hinein redend; ihr lachendes Antlitz, der weiße Hals, die runden Arme leuchteten aus der Dämmerung, umschwebt von dem Duft welkender Rosen.

Struve, Hut und Stock in der Hand, folgte ihnen in gemessener Entfernung, in träumerisches Gedenken an den letzten Kuß versunken.

Da vertrat ein einsamer Nachtwandler, der auf den kurzen Gräsern des Pfarrhofes lautlos auf und ab spaziert war, den Dahinziehenden den Weg.

Sie hielten an. Der Kammerjunker von Eichfeld stand mit gezogenem Hut an der anderen Seite der Portechaise.

Kiliane bog sich mit hochfahrendem Aufwerfen des Köpfchens heraus. „Woher so spät?“

Das Wort versagte ihm. Seine Augen starrten den Husaren an. „Ich kam, das Fräulein von Heymbrot durch die jetzt feindlich besetzte Stadt zu geleiten,“ sagte er endlich in heiserem Tone.

„Wenn das Fräulein vom Rittmeister von Krainsberg geleitet wird, ist es geschützt genug,“ rief scharf der Husar, indem er nachlässig grüßte.

Auch der andere schwenkte nur leicht seinen Dreispitz und erwiderte ebenso schroff: „Aber der Kammerjunker von Eichfeld ist dazu berufen.“

Sie neigte sich gegen beide. „Mein Heimweg wird um so plaisanter sein.“

Der kleine Zug ging weiter.

„Wo werde ich morgen dem Fräulein meine Aufwartung machen dürfen?“ fragte Krainsberg.

„Morgen mit dem Frühesten wird das Fräulein auf die Augustenburg zurückkehren müssen,“ entgegnete Konrad mit bebenden Lippen. „Ihre Durchlaucht wünschen, daß der Hofstaat vollzählig sei für die Assemblee, die bei uns bevorsteht.“

Krainsberg verbeugte sich spöttisch. „Der Herr Kammerjunker bringt willkommene Botschaft. Die Assemblee findet uns zu Ehren statt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_702.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2023)