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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Wir werden also den Feind mit Lustbarkeiten besiegen,“ sprach Kiliane kokett zu Krainsberg.

Krainsberg lachte ausgelassen. „Wenn wir nur nicht auch mit Puppen spielen sollen! Es wird uns erzählt, Ihre Fürstin bossiere Wachspuppen, und sogar Männer müßten ihr dabei helfen. Dafür würden wir uns meiner Treu unterthänigst bedanken.“

„Ohne Sorge!“ erwiderte sie spöttisch. „Die Mühewaltung für die Wachsfiguren bleibt unseren Kavalieren vorbehalten. Als Ritter ohne Furcht und Tadel werden sie Wache stehen, daß der gefährliche Husar die Puppen nicht versehrt.“

„Kiliane!“ rief Konrad. Es war ein Ton in seiner Stimme, den sie noch nie gehört hatte, vor dem sie bis ins Herz erbebte.

Auch Krainsberg horchte auf. So vertraut und so wild? Tant mieux! Der Spaß war um so größer!

Jetzt hielt die Portechaise vor der Hauspforte des Kanzlers, und beide Herren streckten die Arme hinein, um das Fräulein heraus zu heben, zuversichtlich der Rittmeister, totenblaß Konrad.

Sie gab jedem eine Hand und ließ sich von beiden bis an die Thür führen.

Dann knixte sie, vor dem Rittmeister mit verheißungsvoller Süßigkeit, und mit grausamem Lächeln vor dem Junker, während die Diamantnadel auf ihrem Toupet mit flirrendem Blitz dem zuckenden Wetterschein antwortete.

Als aber Struve herantrat, erwiderte sie seine gemessene Verbeugung mit fast furchtsamer Scheu und flog schnell wie ein schillernder Ballon ins Haus hinein.

Mit grellem Geläut schloß sich das Thor.

Schadenfroh lachend funkelte Krainsbergs Blick in das Gesicht des Junkers. Der Verteidiger der Wachspuppen!

Da war es, als erstarrten die beweglichen Züge Konrads; sie schienen plötzlich von Eisen zu sein. Die grauen Augen bohrten sich fest und kalt in die seines Gegenübers, daß diesem das Lachen verging und statt dessen eine zornige Röte in das Gesicht stieg.

Struve trat dazwischen und sagte trocken: „Das Thor der Neidecke, wo der Herr Kammerjunker nächtigt, wird sogleich geschlossen werden. Und in meinem Hause findet der Herr Rittmeister auch niemand mehr wach, wenn ich zu Bett gegangen bin. Ueberdies wird das Gewitter bald losbrechen.“

Stumm und förmlich grüßten alle Drei und gingen nach ihren Wohnungen.


Noch war es heller Tag, als von allen Seiten der Zuzug zu dem Rokokoschlößchen der Fürstin begann.

Zuerst erschienen die Mitglieder der Hofkapelle, die aufgeboten worden waren, um die Assemblee zu verherrlichen: die Hofprofessionisten, denen es als Nebenamt auferlegt war, ein Instrument zu spielen, der Stadtpfeifer aus der Residenz mit seiner Zinke und den Lehrjungen, die Kantoren von nah’ und fern, die Geige unter dem Arm oder die Baßviola auf dem Rücken.

Natürlich zu Fuß; denn Reisevergütung wurde nicht gezahlt. Die Korn- und Küchenschreiber des Hofhaltes vervollständigten die Musik mit Laute und Gambe, die Leibjäger mit Trompeten.

Auf Feldwegen nahten Staatskarossen mit den Familien des Landadels; aus der Stadt her wankten knarrende Kutschen mit den Honoratioren, die den Ratstitel führten.

Im Festsaal unter dem Thronhimmel stand in Hermelinmantel und Diadem die Fürstin, vor welcher die weimarischen Offiziere defilierten. Fernher schien das Komplimento zu tönen, welches die Musikanten anhoben, die in Heiduckenlivree die Galerie füllten unter Führung ihres Kapellmeisters, der zugleich der Kammerdiener der Fürstin war.

Mit ihren Gedanken weitab von dem festlichen Treiben stand Kiliane unter den Festgästen. Beim Durchschreiten der Korridore auf dem Wege zum Saal war ihr Severin begegnet und sein unheimlicher Blick hatte sie verstört.

Eine dreiste Stimme schreckte sie auf. „Endlich wird mir das Glück zu teil, meine Huldgöttin wieder zu sehen.“ Krainsberg stand vor ihr. In seinem Blick war nichts von der Unterwürfigkeit einer Göttin gegenüber zu lesen, sondern die Erinnerung an den Fächerkuß. „Ich habe auf dieses Zusammentreffen gehofft wie auf meine Seligkeit.“

„O, auch bei uns giebt es manche, die nichts sehnlicher wünschen als ein Zusammentreffen mit den Herren Feinden,“ rief eine erregte Stimme. Es war Eichfeld, der aus dem Kreis der Hofherren dem Rittmeister entgegentrat.

„Und das wird uns sicherlich noch oft bevorstehen,“ bog Kiliane süß lächelnd dem Wort die Spitze ab.

Krainsberg, der auf Eichfelds Rede seinen Bart herausfordernd in die Höhe gedreht hatte, wandte sich wieder zu ihr. „Wer weiß!“ sagte er. „Schnell wie wir kamen, sind wir vielleicht wieder fort. Es liegt etwas in der Luft. Aber wir nehmen Geiseln mit. Und ich werde vorschlagen, statt eines gelehrten Rates, der die hiesigen Gesetze kennt, lieber ein schönes Fräulein zu entführen.“

Zornrot fuhr Eichfeld auf.

„Will der Herr Kammerjunker eine kleine Erfrischung besorgen?“ befahl sie über die Schulter.

Eichfeld ging zögernd.

„Geiseln?“ wendete Kiliane sich rasch an Krainsberg. „Wie meint der Herr das?“

„Ich will es dem Fräulein erklären, wenn Sie mir morgen vormittag die Ehre gewähren wollen, mich zu empfangen,“ wisperte Krainsberg ihr ins Ohr.

„Ich habe Dienst,“ wehrte sie ab.

„Leere Ausrede! Die Frau Fürstin schläft aus.“

Kiliane würdigte ihn keiner Antwort. Hinter ihr fragte der fremde Major den ersten Kammerherrn: „Also der Sekretarius Struve ist die Seele der hiesigen – Pardon! – aufstutzigen Regierung?“

Der Kammerherr wurde zur Linie; der goldne Schlüssel schwebte obenauf.

„Ein aller juristischen Finessen kundiger Mann, der den Herren in Weimar gute Dienste leisten wird, wenn man ihn dort zum Reden bringen kann,“ sagte er höhnisch lachend. „Schade, daß man nicht“ – er machte die Bewegung des Ansetzens der Daumenschrauben.

Kiliane zuckte zusammen und lugte von der Seite nach der Gruppe hinüber. War das nicht Verachtung in den alten Soldatenaugen?

Geisel – Entführung – Struve – reihten ihre Gedanken aneinander. Welcher Sinn lag in den Andeutungen? Sie vermochte ihn nicht zu erraten; aber so viel stand fest: ihrem Jugendfreund drohte eine Gefahr und gerade jetzt, da er Hochzeit halten wollte.

Eichfeld kehrte zurück, gefolgt von einem Lakaien, der auf einem Kredenzteller kleine vergoldete Gläser mit nach Ambra duftendem Wein und kühlende Himbeerlimonade darbot.

„Mir nicht, aber hier,“ sagte sie mit zerstreutem Lächeln, auf den Rittmeister deutend, und entschlüpfte.

Die beiden jungen Männer standen sich gegenüber. Ein leises Auftreten des Fußes – ein unterdrückter Fluch – dann sahen sich beide mit den Kehrseiten ihrer Perücken an.

Kiliane wand sich durch die plaudernden Gäste. War keiner darunter, den sie mit einer Warnung für Struve betrauen konnte? Das war jetzt ihr einziger Gedanke.

Nein; die Räte waren alle gefügige Werkzeuge ihrer Herrschaft.

Rastlos weiter schweifte ihr Blick – hinauf zur Galerie, von der sich jetzt die Musik zurückzog.

Da verließ auch der junge Kantor Bach sein Cembalo. Kilianes Augen hafteten an dem starkkantigen Gesicht, dessen mürrischer Ausdruck sich ebensowohl dem Kleid der Dienstbarkeit als den vergoldeten Schnörkeln und anmutigen Amoretten der Balustraden widersetzte. Und ihre Gedanken spannen einen Faden zu der Braut des Kantors, die so zutraulich beim Fest in der Superintendentur mit Struve geplaudert und irgend eine Bitte an ihn gehabt hatte. Dann schlug sie die Reifen übereinander, nahm das weite Kleid zusammen und eilte die Hintertreppe hinab.

Bach hatte in der jetzt leeren Stube im Unterstock sein Heiduckenhabit als Hofmusikant mit dem ehrbaren Kantorenrock vertauscht.

Da huschte Kiliane zur Thür herein. Hastig sagte sie: „Kennt Er den Sekretarius Struve?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_703.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2023)