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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


„Zu dienen,“ erwiderte Bach. „Er ist ein Herr von großen Meriten; ich bin ihm zu Danke verpflichtet.“

„Dann wird Er ihm wohl gern einen Dienst erweisen,“ sprach sie rasch weiter. „Hat Er ein Papier bei sich? Einen Griffel? Er ist doch ein Stück Schulmeister.“

Bach suchte in seinen Taschen; ein beschriebenes Notenpapier kam zum Vorschein.

„Ein Stückchen Chaconne; es fiel mir auf dem Herweg ein. Vielleicht könnte das Fräulein zwischen die Notenlinien schreiben.“ Er zögerte doch.

Sie nahm es rasch weg und schrieb eilig: „Sei der Herr Sekretarius auf Seiner Hut. Es drohen Ihm Gefahren. Unternehme Er morgen nach der Hochzeit eine kleine Lustfahrt mit Seiner jungen Frau. Nur über die Grenze.“

Wunderlich standen über dem Warnungsruf auf- und abjagende Zweiunddreißigstel und zitternde Arpeggien.

„Uebergebe Er den Zettel noch heut’ dem Sekretarius, und wenn dieser selbst wegen des Polterabends abwesend ist, einem seiner Leute. In dem Hause sind alle treu.“

Bach steckte das Papier ein.

„Vergesse Er es nicht!“ mahnte sie.

Sebastian schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich denke schon an meine Chaconne.“

Sie schlich wieder davon.

Als sie nach der Hintertreppe einbog, prallte sie zurück; der schmale, schwarze Schatten, der jetzt immer ihren Weg kreuzte, stand an den Pfeiler geschmiegt.

Sie eilte der Haupttreppe zu.

Dort klirrte es ihr entgegen. „Endlich treffe ich Sie allein,“ flüsterte es heiß in dem dämmerigen Aufgang, und der Husar streckte den Arm nach ihr.

Sie bog aus. „Fort! fort! Sein Major sucht Ihn.“

Im nächsten Augenblick stand Eichfeld neben ihr, faßte sie an der Hand und riß sie mit sich fort.

Sie hörte seinen keuchenden Atem. Sie wollte sich losmachen; wie Eisenklammerm hielten sie seine Finger.

Droben waren alle Korridore, alle Gemächer voll Menschen, voll gesellschaftlichen Treibens. Von der Eingangsrotunde führte eine Thür auf den Balkon.

Er stieß sie hinaus und warf die Thür hinter sich zu.

Sie wollte sich widersetzen, wollte ihn wie gewöhnlich zur Seite schieben – sie vermochte es nicht.

Hochaufgerichtet stand er. Selbst in der dämmerigen Nacht sah sie seine großen grauen Augen blitzen. Mit klingender Stimme sprach er:

„Das Fränlein kann sogleich gehen, wohin Ihm beliebt. Aber vorher will ich einmal sagen, was mir auf dem Herzen liegt. – Ich habe Sie geliebt, bis zur lächerlichen Blindheit hat meine Seele an Kiliane von Heymbrot gehangen. Meines altväterischen Hauses habe ich mich geschämt – und das Haus hätte sich Ihrer schämea müssen; denn kein leichtfertiger Frauenfuß ist je über die Schwelle geschritten. Verkaufen wollte ich meinen Hof, wo selbst die Tiere treue Herzen haben, verkaufen um eines Frauenzimmers willen, das mit jedem karessiert!

Aber die Augen sind mir aufgethan worden, Gott weiß allein, unter welchen Schmerzen. Ich schüttle den Staub von meinen Füßen und gehe heim unter mein Dach, das ich sträflich in meinem Wahnsinn mit Schulden beladen habe. Durch meiner Hände Arbeit will ich gut zu machen suchen, was meine Thorheit verbrochen hat. Ich will gern die Sense selbst schwingen, damit meine Hände rein werden davon, daß sie Ihnen die Schleppe nachgetragen haben, ich will mit Frost und Hitze, mit Sturm und Regen kämpfen, auf daß der ekle Duft von Ihrem parfümierten Puder aus meinem Atem weicht. Gott sei gelobt, daß es noch eine Sühne für mich giebt.“

Er wollte gehen, aber ihre Finger krampften sich in seinen seidnen Rock.

Die zornige Glut auf ihren Wangen war einer Totenblässe gewichen.

„Nun höre der Junker auch mich,“ kam es tonlos von ihren Lippen.

„Sollte ich den Mann ehren, der sein Vaterhaus verleugnete, sich seiner schämte bis auf den alten Schlüssel herab? Ein Vaterhaus! Ich habe es verloren, als ich kaum denken konnte. Aber die Erinnerung ist mir geblieben, heiliger als die Kirchen, ehrfurchtgebietender als Eure Schlösser. Hätte ich ein solches vom Himmel zugeteilt bekommen, die Hände hätte ich blutig arbeiten wollen; mit dem ärmsten Dach wäre ich zufrieden gewesen. Hinaus bin ich gestoßen worden, uud wenn etwas mich bewahrt hat davor, die Verworfene zu werden, für die der Junker mich hält, dann war es das letzte Bild aus meinem Vaterhaus: meine Mutter am Spinnrad. Ich habe es dem Herrn ja gesagt, aber er war weit entfernt davon, das Rätsel zu erraten, daß das Fräulein von Heymbrot nichts weiter ersehnt als ein ehrliches Heim und das tägliche Brot.

Den Weg, auf dem ich jetzt war, bin ich gegangen, um einen braven Mann zu warnen. Den einzigen Mann, der mir in meinem elenden Leben seit meines Vaters Tode begegnet ist.“

Sie hielt inne. Ein leises Klopfen tönte heraus. „Hört der Junker? Das Klopfen des Hofmarschallstabes; ich bin darauf dressiert, wie der Hund mit dem Stachelhalsband.“

Sie eilte hinein.

Er lehnte totenblaß, wie geblendet von der Offenbarung, die ihm geworden war, an der Karyatide, die das verschnörkelte Thürsims trug.

Kiliane kam schwankenden Schrittes in den Saal.

Sie bemerkte den ernsten Blick der Oberhofmeisterin nicht. Schon stand alles im Kreis.

Der Husar klirrte mit der Sicherheit des siegreichen Eroberers an sie heran. „Das Fräulein hat mich ohne Antwort gelassen. Also morgen früh werde ich meine Aufwartung machen.“

Ehe sie „Nein“ sagen konnte, war er fort. –

*  *  *

Die Assemblee war zu Ende. Kiliane hatte, mit Mühe ihre Aufregung bemeisternd, ihr Zimmerchen erreicht. Dort sank sie zusammen.

Fieke, die am Morgen mit dem Küchenwagen herausgekommen war, um dem Fräulein ein Staatskleid aufzufrischen, lief erachrocken herzu.

Vergeblich trug sie Wasser herbei, besprengte das Fräulein mit Eau de Lavande.

Kiliane blieb auf den Knieen liegen, laut weinend, die Hände ringend. Mit Mühe brachte das Schneiderchen sie aus dem Hofkleid in ihr Nachtgewand.

„Jammert Sie um den Husaren?“ fragte Fieke.

„O Thorheit!“

„Hat der Junker Ihr etwas gethan?“

„Der geht fort und wird ein braver Mann auf dem Erbe seiner Väter.“

Weitere Auskunft gab die Schluchzende nicht und nun weinte Fieke mit ihr, da sie nichts anderes thun konnte. Sie betete auch und schlief endlich auf einem Bündel abgelegter Kleider, die blauseidnen Pantöffelchen als Kopfpolster, ein, während Kiliane mit verzweifelten Augen in die Nacht hineinstarrte.

Das war nun das Ende von ihrem gepriesenen Maskenspiel. O wie sie es bereute! Spöttisch, kokett, gefühllos hatte sie sich gezeigt, weil das die Waffen waren, die das schutzlose Mädchen bewahrten vor der Geringschätzung, vor dem demütigenden Mitleid, das sie nicht ertragen konnte.

O, wie falsch war ihr Stolz gewesen!

Um von ein paar Hofleuten, diesen vergoldeten hohlen Nüssen, nicht hochmütig angesehen zu werden, hatte sie ihr wahres Gesicht verborgen, ihr Glück damit verscherzt.

Struve hatte recht gehabt mit seiner Warnung. Jetzt sah sie es: ihre Larve hatte Eichfeld dahin gebracht, sich anders zu zeigen, als er war.

Und wie immer das Böse sich des Menschen bemächtigt, ihn fortreißt, da er noch meint, es beherrschen zu können, so hatte sie ihn zuletzt zur Verzweiflung gebracht mit ihrem Spiel, das sie, selbst verzweifelnd, getrieben.

Und dann fielen ihr die letzten Worte des Husaren ein; jetzt erst wurde ihr der Sinn derselben klar. Eine neue Schlinge, die sie sich selbst geknüpft hatte, zog sich zusammen. Sie stöhnte auf.

Da huschte es draußen fort, leise gleitend.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_704.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2023)