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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Wohlgefallen Lillys an ihm in seiner Eitelkeit aufgestachelt, fing auch seinerseits an, eine besondere Lebhaftigkeit zu entfalten. Er fühlte mit einem großen Vergnügen, daß seine Erscheinung jeden Vergleich mit allen anwesenden Männern aushalten konnte. Die Persönlichkeit auf einem ernsten Gebiet zur Geltung zu bringen, war Renés tägliches Ringen. Nun erschien es ihm als lustige Spielerei, auf diesem kleinen, flachen Turnierfeld sie ebenfalls durchzusetzen und andere zu übertrumpfen, vielleicht war es auch noch besonders deshalb reizvoll, weil er ein Neuling war.

Lilly hatte sich offenbar von weitem ein bißchen in ihn verliebt – wie junge Mädchen es in einen Künstler thun, der mit Recht oder Unrecht als interessant gilt. Sie sollte sehen, daß er immerhin unterhaltender war als zum Beispiel der hochnasige Krausneck an ihrer Seite. Und so wechselten sie schnelle Worte, bedeutungsvolle Blicke hin und her, als bestehe seit langem ein vertrautes Einvernehmen zwischen ihnen. Sie thaten voreinander, als ob sie sich nur über den ungeschickten Krausneck moquierten, der kein hervorragender Quadrilletänzer war, während in der That das Thema ihren Flüsterworten und bedeutungsvollen Blicken nur der Vorwand war, um diese selbst zu wechseln. Da Sibylle Lenzow ihre Augen meist bei der Nebenquadrille hatte, in welcher Wallwitz tanzte, so fühlten sie sich ganz unbeobachtet und Krausneck trauten sie nicht einmal Verstand genug zu, daß er ihr Benehmen bemerke.

René blieb den ganzen Abend in der glänzendsten Laune. Das reizende Mädchen machte ihm viel Spaß. Und seit er bemerkt hatte, daß sie nur mit ihm so kokettierte, nannte er sie auch nicht mehr kokett, sondern natürlich und wahrhaft.

Beim Cotillon saßen sie in einer Ecke beisammen.

„Ein bißchen versteckt,“ bat Lilly, als sie den Platz suchten, „sonst wird man ewig geholt.“

Aber die Herren, welche stark beleidigt waren, daß die junge Dame in ihrer doppelten Eigenschaft als „Haustochter“ und „neue Erscheinung“ sich ihnen so sehr entzogen und Flemming gewidmet hatte, die Herren holten Lilly fast gar nicht.

Wallwitz hatte im Lauf des Abends flüchtig seiner Schwester zugeraunt: „Die Kameraden klagen, daß Du nur Augen für Flemming hast. Ich bitte Dich – wir sind nicht in einer Weltstadt! Hier wird gleich alles ausgedeutet und besprochen.“

Danach aber hatte er sich nicht mehr darum kümmern können, ob Lilly seine Warnung befolge. Denn er war selbst so vollauf mit Sibylle Lenzow beschäftigt und so voll Sorge und Liebe, daß er genug mit seiner eigenen Sache zu thun hatte.

Die Warnung reizte Lilly, eine noch größere Intimität zur Schau zu tragen. Sie erzählte sogar René lachend davon und sagte, daß es zu ihren Specialvergnügungen gehöre, Klatschbasen zu ärgern und zu entsetzen.

„Ueberhaupt,“ erklärte sie, „es ist mein Vorsatz, mich den Leopoldsburger Winter noch gründlich zu amüsieren. Es ist mein einziger Winter – nachher, o …“

Sie seufzte mysteriös.

„Was ist denn nachher?“ fragte er und nahm ihren Fächer.

„Man wird mich verheiraten,“ sagte sie und nickte in plötzlicher Melancholie vor sich hin.

Er faltete den Fächer auf und zu.

„Doch nur, wenn Sie aus Liebe selbst den Wunsch haben.“

„Wir armen Mädels können nicht immer den Mann bekommen, den wir am liebsten nähmen,“ sprach sie leise. Sie sah ihn an. Er fühlte den Blick und schlug langsam die gesenkten Lider auf, um diesem Blick voll zu begegnen. Und in ihren Augen wie in den seinen stand ein heißer Wunsch.

René aber war sich seines Blicks und Ausdrucks vollkommen bewußt. Obschon ihn das Temperament des kecken Mädchens reizte und ihm eine ungemeine Unterhaltung gewährte, erwiderte er ihren Blick nur mit den neugierigen Hintergedanken „wie weit geht sie?“

„Glauben Sie, daß die Liebe langsam erwächst oder wie der Blitz kommt?“ fragte er langsam, ohne die Augen von den ihren zu wenden.

„Ein Blitzschlag – vollständig,“ flüsterte sie.

René wurde hier von Sibylle Lenzow geholt. Das gute kleine Ding sah in ihm ein höheres Wesen, weil Wallwitz einmal so etwas gesagt hatte, als hielte er Flemming für den berufenen Nachfolger Richard Wagners.

Als er an seinen Platz zurückkehrte, war auch Lilly fort. Ihre Wiedervereinigung erschien dann beinahe eine Freude nach ungeduldig und unnütz verbrachten Minuten. Sie setzten sich unwillkürlich näher zusammen.

Da war es René, als genierte ihn etwas. Er sah suchend umher und erblickte unfern in einer Thür Hortense von Eschen am Arm irgend eines alten Würdenträgers. Sie schaute aufmerksam und, wie es ihm schien, ernst zu ihm herüber.

Ein kurzer Trotz wallte in ihm auf. War er denn in einem Zwang? Hatte er denn die Freiheit nicht mehr, sich mit einer Dame harmlos zu amüsieren, die ihm auf allen Wegen entgegen kam? Das war ja nur ein Scherz, der zu Ende ging mit den letzten Klängen der Ballmusik. Das alles hatte ja mit Magda nichts zu thun. Er fühlte sich plötzlich gereizt gegen Hortense und beinahe auch gegen die ferne Magda. Er erinnerte sich mit einem Mal, daß sie ein trauriges Gesicht gemacht, als er davon sprach, daß er auf diesen Ball gehe. Und ganz grundlos ärgerte er sich.

Er wollte sich durchaus seine Unabhängigkeit beweisen und fand dazu kein anderes Mittel, als mit erhöhter Eindringlichkeit zu Lilly zu reden.

Die letzte Tour begann. Dann war es so wie so aus. Wer wußte, ob er Lilly Wallwitz noch oft wiedersah. Jedenfalls so lustig und so traulich niemals mehr.

„Es war sehr schön heute,“ sprach er „Ich erinnere mich eines gleich animierten Balles in meiner Leopoldsburger Praxis nicht.“

„Und früher? Haben Sie viel glänzende Sachen mitgemacht? Wo?“

„Ach, gar keine. Für mich hieß es immer, studieren und mein kleines Erbe einteilen, daß es so ziemlich für die Studienjahre ausreichte. Ich wollte in jungen Jahren schon auf bemerktem Posten stehen. Da mußte ich mich an die Arbeit halten. In die sogenannte Welt bin ich hier erst in Leopoldsburg getreten,“ erzählte er offenherzig, eingedenk ihrer Offenheit über die Mängel des Hauses.

„Das interessiert mich sehr. Sie müssen mir einmal Ihr ganzes Leben erzählen, auch alles – alles – Schreckliche daraus. Ja?“

Er lächelte über ihre Neugier auf das „Schreckliche“.

„Mein Leben ist viel eintöniger gewesen, als Sie denken. Ich will es Ihnen gern erzählen. Aber die Gelegenheit dazu wird sich schwerlich finden.“

„Sie wird sich finden. Geben Sie mir als Unterpfand, daß Sie Ihr Versprechen halten, die Gardenie aus Ihrem Knopfloch!“

„Sie ist aber schon angebräunt.“

„Das schadet nichts. Und ich gebe Ihnen die Rose aus meinem Taillenbouquet.“ Sie breitete sich den Fächer vor und löste mit einiger Mühe eine Rosenknospe aus dem Strauß, der sich von der Mitte des Leibchens bis zur Schulter erstreckte. René sah zu und sah besonders auf die schönen Schultern.

„So habe wir jeder ein Andenken an den Abend, und wenn ich Sie wiedersehe, werde ich immer fragen: haben Sie die Rose noch?“

Er fand dies nun reichlich kindisch, nahm aber die Blume und sagte „Und ich werde Ihnen immer antworten: ich trage sie bei mir.“

Der Cotillon war aus. Wie ein bunter Schwarm bewegten sich die Paare durcheinander und verloren sich dann in den übrigen Räumen; die einen, um sich zu verabschieden, die andern, um still zu verschwinden. Wallwitz suchte noch einen engeren Freundeskreis zu einer kleinen Schlußplauderei zusammen zu halten.

René wie auch Lilly zögerte; in stillem Einverständnis wußten sie es zu machen, daß sie die letzten in dem großen, kahlen Tanzsaal waren. Ihnen war es, als hätten sie sich noch etwas zu sagen, als könnte der Abend so noch nicht zu Ende sein.

Und als sie sich allein befanden, dicht an der Wand, neben einer Thür stehend, die in das Wohnzimmer der alten Gräfin führte, schwiegen sie doch. René sah das Mädchen lächelnd und erwartend an. Sie hob das Gesicht zu ihm empor und lächelte auch – es war ein unsicheres Lächeln und die goldenen Augen schlossen sich halb. Da, als René so die schwellenden Lippen sah und die Perlenreihe der Zähne mit der kleinen Lücke darin, kam ihm das Verlangen, diesen durstigen Mund einmal, nur einmal mit einem Kuß zu schließen.

Das starke Wagnis, die Gefahr, jeden Augenblick überrascht werden zu können, die Neugier, wie sie die Kühnheit, die sie so sehr herausgefordert hatte, aufnehmen werde, reizte ihn und steigerte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_726.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)