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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

dem ewig warmen tropischen Himmel haben eben viel Zeit, um sich in solchen Künsten zu üben, die ihnen auch das dort unbekannte Turnen ersetzen. Als besondere Spezialitäten sind noch Tänze zu nennen, die im Stehen ausgeführt werden, bei welchen die Tanzenden sich gar nicht vom Flecke bewegen, sondern nur den Körper rhythmisch hin und her neigen, die Arme schwingen und mit den Beinen strampeln. Diese Tänze bilden eine ungemein starke Muskelübung und könnten diesem und jenem Stubenmenschen zur Nachahmung empfohlen werden, falls ihm die Stubengymnastik zu langweilig erscheint. Bequemer sind schon Tänze, die – im Sitzen aufgeführt werden.

Ob aber trotz aller dieser Mannigfaltigkeit und trotz aller Gliederfertigkeit diese Tänze der Wilden schön sind, ob sie gleich unsern Tänzen das Auge eines kritischen Beschauers entzücken oder befriedigen können – das ist eine andere Frage. Die Bevölkerung jener ewig smaragdgrünen Eilande, die Vulkanen und Korallentierchen ihre Entstehung verdanken, ist gar bunt zusammengesetzt. Man begegnet dort scheußlichen Menschenfressern, sittenlosen Völkern, deren Belustigungen den Stempel der Roheit tragen und abstoßend auf uns wirken. Das Widerwärtige macht sich aber nicht überall breit. Auf einzelnen Inselgruppen leben noch friedfertige, lebenslustige Menschen, denen die Natur den Schmuck äußerer leiblicher Schönheit nicht versagt hat, und inmitten dieser Volksstämme fühlt sich auch der Europäer leidlich wohl. Zu den Besseren unter den Südseeinsulanern zählen zweifellos die Samoaner. Die Inseln der Samoagruppe, deren wichtigste Upolu mit den: Hafen Apia ist, zeichnen sich durch reiche Kokospalmenhaine, Baumwoll- und Zuckerrohrpflanzungen aus; begehrenswert erscheinen sie den Kulturvölkern in Europa und Amerika, so daß die samoanische Frage wiederholt die Diplomaten beschäftigt hat. Von jenen Inseln kam nun jüngst eine Gruppe von 41 Samoanern, darunter 7 Männer und 34 Frauen, nach Deutschland, um sich hier, und zwar zunächst in dem Berliner Passage-Panoptikum, sehen zu lassen.

Die Samoaner sind, was ihren Wuchs anbelangt, den Europäern gleich; ihre Muskulatur ist gut entwickelt, so daß sie, im Gegensatz zu so vielen stelzbeinigen und dünnarmigen Afrikanern, einen durchaus angenehmen Eindruck machen. Ihre Hautfarbe ist ein helles Braun, in dem der gelbliche Ton hervortritt. Und das Gesicht, in dem sich die Seele des Menschen widerspiegelt und das für die Schönheit der Erscheinung besonders maßgebend ist? Dieses kann allerdings mit unserm Typus nicht in Wettbewerb treten, seine Bildung erinnert vielfach an japanische Züge, für unsern Geschmack sind die Lippen zu voll, die Nasen zu platt gedrückt, die Backenknochen zu sehr hervorstehend. Schönheiten im europäischen Sinne giebt es auf Samoa kaum, aber trotzdem recht viele hübsche Erscheinungen, und recht anmutig sind dort die Mädchen und Frauen, so lange sie noch in der Blüte der Jugend stehen, so lange sie noch frisch sind wie die farbigen Blumen, mit denen sich diese Töchter der Tropen so ungemein gern schmücken. Die Kleidung der Damen, die sich in Berlin sehen lassen, ist in ihrem Schnitt, wie unsere Bilder zeigen, dem europäischen Geschmack etwas angepaßt, aber der Stoff ist ein Erzeugnis einheimischen Fleißes. Wandert man durch den polynesischen Busch, so vernimmt man zuweilen ein taktmäßiges Schlagen, das dem Lärm des Dreschens in unsern Dörfern nicht unähnlich klingt. Diese Laute zeigen dem Wandrer an, daß er sich in der Nähe eines Dorfes hefindet, und folgt er ihnen, so kommt er vor die Hütten der Eingeborenen und sieht, wie die Frauen die Rinde des Papiermaulbeerbaumes bearbeiten, um aus ihr Kleiderstoffe zu fertigen. Diese Stoffe, Tapa genannt, werden oft in wunderbarer Feinheit, gleich unserm Musselin, hergestellt und sie lassen sich auch bunt färben. Daraus kann man wohl schmucke Ballkleider oder, richtiger gesagt, – Ballettröckchen nähen. Kakala, die schöne Figur aus der Samoatruppe (vergl. ihr Bild auf S. 780), dürfte wohl beweisen, wie gut ein solches Kostüm dem Naturkinde steht.

Die Samoanerinnen sind wie die meisten Töchter Evas keine Schmuckverächterinnen; sie tragen Halsketten und Armbänder und Ohrringe, aber sie sind nicht anspruchsvoll, das Material ihrer „Juwelen“ ist nicht kostspielig, diese braunen Schönen begnügen sich mit Ketten und Kettchen aus Glaskorallen, Muscheln des Meeresstrandes, Hunds- und Schweinezähnen. Auch das Schmücken der Haut durch Tättowieren ist dort Mode. Früher war dies wohl ein Teil religiöser Ceremonien, heute, wo die Samoaner „Christen“ sind, wird die Tättowierung aus Gewohnheit fortgesetzt. Allerdings huldigen ihr weniger die Frauen, sondern sie wird vor allem von den Männern geübt. Diese lassen ihren Leib vom Nabel bis an die Knie mit dichten Figurenmustern beritzen, bei einem der Tanzführer auf unseren Abbildungen bemerkt man diese Tättowierung an den Oberschenkeln.

Den Glanzpunkt der Aufführungen der Samoatruppe bilden allerlei Tänze und da kann man, ohne nach der Südsee dampfen zu müssen, sich wohl überzeugen, wie hoch entwickelt die Kunst der Terpsichore auf jenen paradiesischen Eilanden sein muß. Unser Maler hat einige dieser originellen Tänze getreu wiedergegeben. Obenan steht eine Scene aus dem samoanischen Kriegstanze, ein Triumphumzug der Frauen. Die Schönen schwingen buntbebänderte längere und kürzere Stäbe, mit denen sie Takt schlagen. Diese Stäbe sind die einfachsten „Musikinstrumente“ der Südseeinsulaner. Das darunter stehende Gruppenbild giebt einen pantomimischen Tanz wieder, der dem Tierleben abgeguckt ist, ein Ballett, das den Namen „Hundetanz“ führt, weil dabei das Bellen der Hunde nachgeahmt wird und die Tänzerinnen nach Art der Kläffer aufeinander losgehen. Die dritte Gruppe führt uns endlich eine samoanische Specialität, einen Tanz im Sitzen, vor. Um ihn zu würdigen, muß man ihn in Wirklichkeit schauen und dann erfährt man, wie lebhaft er sich gestalten kann; das lebendige Mienenspiel, der lachende Mund, die feurigen Blicke der dunkeläugigen Tänzerinnen erhöhen seine überraschende Wirkung.

Die Samoaner sind ein heiteres Völkchen, der Frohsinn ist ihnen angeboren, aber auf dem Tanzboden will er überall noch durch anregende Mittel gesteigert werden. Bei den meisten Völkern erhöht der Alkohol die rauschenden Tanzvergnügen; Wein und Bier perlen in Krügen; gleichviel ob sie nach der Landessitte aus dem Blut der Reben oder dem süßen Saft der Palmen gekeltert, ob sie aus Gerste oder reifen Bananen gebraut sind – ihr erheiternder Bestandteil ist derselbe, ist Alkohol. Die Südseeinsulaner kannten früher keine gegohrenen Getränke, den Branntwein haben sie erst von den Europäern erhalten und trinken ihn jetzt mitunter mehr, als es ihnen gut ist. Aber diese Naturkinder lebten auch früher nicht ohne ein erregendes Genußmittel. Es wächst auf ihren Inseln ein Halbstrauch, in dessen Wurzeln ein berauschendes Gift enthalten ist, Rauschpfeffer heißt darum der Strauch, der von den Botanikern Piper methysticum genannt wird. Aus dieser Wurzel wurde in Polynesien seit uralter Zeit ein erregendes Getränk gebraut, das auf Samoa unter dem Namen Kawa-Kawa bekannt ist. Die Bereitung derselben ist nach europäischen Begriffen keine appetitliche; denn die Wurzel wird vorher gekaut. Die Mädchen oder Jünglinge, welche damit beauftragt sind, reinigen sich sorgfältig den Mund und machen sich an die ihnen zugeteilten, zerschnittenen Wurzelstücke, In ihrer Mitte steht auf vier Füßen eine große hölzerne Bowle, deren Inneres durch langen Gebrauch wie emailliert aussieht. Ist ein Stück Wurzel gekaut, so wird das Ergebnis dieser Arbeit in die Bowle gelegt; dann gießt man Wasser aus Kokosschalen darauf, rührt die Mischung mit den Fingern um und entfernt die holzigen Reste der Wurzel durch häufiges Eintauchen von Bastfasern, die man zwischen den Fingern auspreßt. Während des Brauens wird ein Gesang angestimmt, der erst aufhört, wenn alles fertig ist.

Es giebt noch eine reinlichere Bereitungsart der Kawa-Kawa, bei der das Kaugeschäft wegfällt und die Wurzel einfach mit Wasser angerührt wird; einheimische Kenner behaupten jedoch, daß die nach dem zuerst genannten Rezept bereitete Mischung bei weitem besser munde. Im Berliner Panoptikum wird die Wurzel von den Samoanern zwischen Steinen zerrieben.

Die Kawa-Kawa ist nun eine trübe, gelbe Flüssigkeit, die etwas herb und nach Seife schmeckt. Gewohnheitstrinker haben ein unbezähmbares Verlangen danach; ein übermäßiger Genuß zerrüttet aber den Körper, wie dies bei allen erregenden Genußmitteln der Fall ist.

Wie interessant auch die Tänze der Schautruppe sind, reizvoller tanzen die Schönen in ihrer sonnigen Heimat. Wenn dort eine Feier stattfindet, wenn der Häuptling heiratet, dann geht es hoch her auf dem Faletele, dem Gemeindcplatz in der Mitte des Dorfes; die edlen Brotfruchtbäume, die ihn beschatten, werden reich geschmückt und den Boden belegt man über und über mit Matten. Dort in der Heimat tönen freudiger die Lieder, schlagen eifriger die Taktstäbe und ausgelassener geben sich die blumengeschmückten Jungfrauen der Tanzlust hin, rauschenden Beifall

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_782.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2023)