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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Ich bitte Sie,“ fuhr das geschwätzige Mädchen fort, „ich will nichts gesagt haben. Aber man hat doch seine Augen und Ohren. Und ich hörte unsere Gnädige zum Herrn sagen: „beim Reinigen der Pistole, die er ungeladen glaubte, durch die Lunge …“ und der Herr seufzte und sagte „unser armes Kind“.

„Grüßen Sie Fräulein Sibylle, wenn sie heimkommt,“ brachte Magda hervor.

Sie stand dann lange noch allein auf dem Flur. Durch das offene Hausthor wehte die herbe Winterluft herein. Draußen ging der Verkehr der Straße vorüber. Magda sah Wagen und Menschen im Rahmen der Thürpfosten an sich vorbeiziehen. Es fehlte ihr an Mut, hinauszutreten, und doch dachte sie immer: „ich kann hier nicht stehen bleiben!“

Ihr war es, als wisse sie nicht wohin, als habe sie kein Heim. Sie müßte bei René sein – sie durfte nicht; sie müßte mit Sibylle an Wallwitz’ Lager wachen – sie konnte nicht!

Ueberall sonst in der Welt war ihr Sein zwecklos, ihre Umgebung eine Qual für sie!

Da erschien eine Frauengestalt im Hausthor, die das Gesicht tief geneigt und gegen einen vorgehaltenen Muff gepreßt hatte.

„Sibylle!“ rief Magda.

Sie fielen sich um den Hals.

Sibylle sah bleich und verweint aus.

„Ich war bei Dir.“

„Weißt Du …?“

„Dein Mädchen erzählte allerlei –“

„Er ist tödlich verwundet!“

„Wissen Deine Eltern …?“

„Nicht einmal die – niemand. Es heißt, er habe sich beim Reinigen einer Pistole verwundet,“ flüsterte Sibylle. „Es ist keine Hoffnung, glaube ich. Verlaß mich nicht, komm mit mir!“

Magda stieg hinter ihr drein wieder die Treppe hinauf.

Oben ging Sibylle ihr voran in das Wohnzimmer. Etwas befremdet erhob sich Frau von Lenzow, als sie Magda in ihrer Tochter Gesellschaft sah. Die Dame war eine noch jugendliche und schöne Frau, zierlich und dunkel wie die Tochter und von einer heiteren Liebenswürdigkeit, die aber jetzt hinter Verlegenheit und Unbehagen zurücktrat.

„Magda weiß alles,“ erklärte Sibylle. „Sie darf bei mir bleiben, nicht wahr, Mama? Sie thut mir so gut.“

Dabei erfaßte sie Magdas Hand.

Frau von Lenzow sagte hastig:

„Aber gewiß – wenn Fräulein Ruhland Dir ein Stündchen opfern will – wie geht es Wallwitz?“

„Ich habe ihn gesehen. Er lag mit geschlossenen Augen, aber nicht bewußtlos. Großmama war bei ihm. Sie sagen, er sei jung und kräftig und werde es überstehen. Das sagen sie aus Mitleid mit mir! Großmama hat mich geküßt und gesagt, ich solle vor der Nacht noch wiederkommen, so oft ich wolle.“

Frau von Lenzow umarmte ihre Tochter. „Wir wollen hoffen!“ sprach sie innig.

Die beiden Mädchen gingen in Sibyllens Stube. Es war ein bescheidener Raum, mit billigen Sächelchen zierlich herausgeputzt, so daß man kaum bemerkte, wie alt und hinfällig die Möbel waren. Sibylle hatte sie sich vom Boden geholt und so lange gebettelt, bis die Mama sie etwas herrichten ließ. Ihr eigenes kleines Reich zu haben, war schon lange ihr Wunsch gewesen. (Fortsetzung folgt.)


Lorenzo Magnifico.

Zur Auffindung seiner Grabstätte.
Von Isolde Kurz.
I.

Das Wappen der Medici.

Tausende von Pilgern besuchen jährlich die berühmte Grablege der Mediceer in der Kirche San Lorenzo zu Florenz, wo alle Glieder dieser an Ruhm und Größe einzigen Familie ihre letzte Ruhestatt gefunden haben. Man staunt Michelangelos unsterbliche Marmorgruppen in der „Neuen Sakristei“ („Sagrestia nuova“) an, die zwei wenig bedeutenden Epigonen des großen Geschlechtes gewidmet sind, man durchwandert nebenan die Fürstengruft mit ihrem höfisch leeren Prunk, wo die Großherzöge aus dem Hause Medici unter Porphyr und Lapis Lazuli den Schlaf der Vergessenheit schlafen, aber auf die Frage: Wo liegt der Mann, der seinem Zeitalter den Namen gab, wo ist Lorenzo Magnifico begraben? – auf diese Frage gab es bis vor wenig Wochen keine Antwort. Aus den Geschichtskunden des 15. und 16. Jahrhunderts wußte man nur, daß der Größte der Familie Medici wie alle seine Vorfahren in der Basilika von San Lorenzo bestattet worden sei, aber kein Mal, keine Inschrift bezeichnete die Stelle.

Zwar nahm man gemeinhin an, daß der porphyrne Sarkophag des alten Cosimo, des „Pater patriae“, in der „Alten Sakristei“ unter dem Boden der Kirche auch die Gebeine seiner beiden Enkel, des großen Lorenzo und des ritterlichen, bei der Verschwörung der Pazzi ermordeten Giuliano, umschließe, und noch Lorenzos jüngster Biograph, der hochverdiente A. von Reumont, trat dieser Annahme unbedenklich bei. Neuere Forscher dagegen wollten aus aufgefundenen Briefstellen auf eine andere Oertlichkeit schließen.

In der „Neuen Sakristei“ nämlich, gegenüber dem Altar, befindet sich eine langgestreckte Nische, die durch drei sitzende Marmorfiguren ausgefüllt ist: rechts und links die Heiligen Cosmus und Damianus, die Schutzpatrone des Hauses Medici, von den Bildhauern Montorsoli und Rafaello da Montelupo, und in der Mitte Michelangelos herrliche Madonna mit dem Kinde. Wie sie dastehen, auf einem langen formlosen Unterbau eine neben die andere geschoben, hat ihre Aufstellung etwas Gleichgültiges oder Provisorisches, das zu der wohldurchdachten Anordnung der Kapelle nicht passen will. Doch war gewiß noch keinem der Besucher eingefallen, hinter dem Postament, das nach dem Innern der Kapelle zu mit einer platten Marmortafel abgeschlossen ist, etwas Besonderes zu suchen. Dieser schmucklose Aufbau, hieß es nun mit einmal, umschließe die sterblichen Reste Giulianos und des großen Lorenzo, den die Geschichte den Prächtigen nennt.

Um dem Zweifel ein Ende zu machen, erteilte das Ministerium kürzlich den Befehl, an dieser Stelle nach den Gebeinen der Brüder Medici zu forschen.

Zu diesem Zwecke begab sich eine Kommission von Archäologen und Magistratspersonen am Morgen des 3. Oktober in die Gruftkapelle. Nachdem die drei Statuen entfernt waren und die deckende Steinplatte abgehoben, wurden in der ausgemauerten Höhlung zwei übereinanderstehende Särge oder, besser gesagt, zwei einfache hölzerne Laden von ungleicher Größe sichtbar. Die obere, nicht über einen Meter lange war noch in sehr gutem Zustand und trug mit Tinte geschrieben die Aufschrift: Giuliano di Piero di Cosimo dei Medici. Die untere längere war zermorscht und zerfallen, besonders der Deckel, auf dem Giulianos Sarg gestanden hatte, so daß eine Inschrift nicht mehr nachzuweisen war. Die Gebeine, die dieser Sarg enthielt, waren vermodert, aber der wohlerhaltene Schädel konnte nach den vorhandenen Bildnissen des Magnifico identifiziert werden, da die Linien völlig übereinstimmten; auch soll ein Knochenvorsprung unter der Nase, der für Lorenzos Physiognomie charakteristisch gewesen, an dem Schädel wahrgenommen worden sein.

Ueber die Gebeine Giulianos konnte kein Zweifel herrschen. Sie lagen, die Schenkelknochen über dem Brustkorb gekreuzt, in dem kleinen Behälter, in den sie offenbar bei Lorenzos Begräbnis gesammelt wurden, nachdem sie schon vierzehn Jahre im Grabe geruht hatten. Ihr Anblick mag auch damals dem Beschauer ein mitleidiges Entsetzen eingeflößt haben: bis heute zeigen sie deutlich die Spuren der Dolchstöße, unter denen der unglückliche Jüngling

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_847.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)