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die Tochter des französischen Bürgerkönigs Ludwig Philipp, der nach der Absetzung des legitimen Herrschers, Karls des Zehnten, den Thron bestiegen. Sie selbst war ein sehr lebhaftes und intelligentes Mädchen, welches durchaus von der Tradition der Häuser Orleans und Sachsen-Koburg erfüllt war, wonach erst die persönliche Tüchtigkeit die Vorrechte der Geburt rechtfertigt. Im frühen Alter von siebzehn Jahren schloß sie im Jahre 1857 die sehr standesgemäße Ehe mit Maximilian, dem ältesten Bruder des Kaisers von Oesterreich, der nur um acht Jahre älter war als sie. Diese Verbindung war, wie üblich, zum voraus von den beiden Höfen abgemacht worden, da aber beide ihrem Charakter gemäß es durchsetzten, sich erst kennen und schätzen zu lernen, bevor sie den Bund fürs Leben schlossen, so ist ihre Heirat, soweit das in dynastischen Kreisen irgend möglich ist, eine Neigungsheirat zu nennen.

Das Hochzeitsgeschenk des kaiserlichen Bruders war die Ernennung des Erzherzogs Max, der sich bereits einige Verdienste um die österreichische Marine erworben hatte, zum Generalgouverneur der Lombardei. Das junge Paar gefiel sich sehr in dieser fast königlichen Stellung, welche ihnen das schöne Mailand zur Residenz gab. Beide hatten Geschmack an einer großen Hofhaltung und suchten sich bei ihren Unterthanen beliebt zu machen, indem sie ihnen das Joch der Fremdherrschaft möglichst erleichterten. Leider dauerte die Herrlichkeit nur zwei Jahre. Man fand gar bald in Wien, daß das erzherzogliche Paar viel zu viel Geld verbrauche und sich in der Politik zu wenig an die von der kaiserlichen Regierung ausgehenden Vorschriften halte, und berief daher den im Jahre 1857 ernannten Generalgouverneur schon im Jahre 1859 wieder ab. Max und Charlotte kehrten ziemlich mißmutig auf ihr herrliches Schloß Miramar bei Triest zurück, von wo aus der Erzherzog nach wie vor sein Flottenkommando ausübte. Aber Miramar kam ihnen nun zu eng vor. Sie suchten daher Zerstreuung auf Reisen, welche Charlotte bis nach Madeira und Max bis nach Brasilien führten und welche die erstere in einer gedruckten Schrift „Voyages à bord de La Fantaisie" mit schriftstellerischem Talente beschrieb. „La Fantaisie“ hieß nämlich die Jacht des Erzherzogs.

So lagen die Verhältnisse, als im Jahre 1862 der Versucher nahte, welcher den schwärmerischen Geist des Erzherzogs und dem brennenden Ehrgeiz seiner jungen Gattin einen glänzenden Ersatz für die verlorene Herrscherpracht von Mailand und Monza bot. Es war der Kaiser Napoleon der Dritte, der unter dem Vorwand, daß die mexikanische Republik ihre europäischen Gläubiger nicht bezahle und daß man in der Hauptstadt Mexiko auf den französischen Gesandten geschossen habe, eine kriegerische Expedition unternommen hatte und den Einfluß Frankreichs in Mexiko dadurch am besten befestigen zu können glaubte, daß er dem Lande einen europäischen Fürstensohn seiner Wahl zum Monarchen gab.

Maximilian, der wie seine Gemahlin einen großen Respekt vor dem Willen der Völker empfand, stellte für die Annahme der mexikanischen Krone nur die eine Bedingung, daß ihn das Land selbst berufe. Dem willfahrten die Franzosen, nachdem sie erst einmal die Hauptstadt Mexiko am 10. Juni 1863 eingenommen, mit Leichtigkeit, indem sie eine Versammlung von 216 Notabeln, die der franzosenfreundlichen klerikalen Partei angehörten, einberiefen, welche am 10. Juli dem österreichischen Erzherzog die Krone anbot. Maximilian zögerte dennoch, während Charlotte, die das Beispiel ihres Vaters und Großvaters vor Augen hatte, sofort Feuer fing. Sie übersah nur das eine, daß weder Leopold I. noch Ludwig Philipp ihre Kronen fremden Waffen verdankt hatten. Der Kaiser von Oesterreich suchte seinen Bruder dadurch zum Bleiben zu nötigen, daß er seine Zustimmung zur mexikanischen Thronbesteigung an die Bedingung knüpfte, daß Max auf jede Erbfolge im Hause Habsburg verzichte. Da reiste Charlotte eigens nach Wien, um sich dem Kaiser zu Füßen zu werfen und um die Zurücknahme der harten Bedingung zu flehen. Der Kaiser ließ sich jedoch nicht erweichen, und Max gab nunmehr nach und unterzeichnete die Verzichtleistung. Doch soll er in jener Zeit einmal zu einem Freunde gesagt haben: „Wenn ich jetzt plötzlich erführe, daß trotzdem aus der ganzen Geschichte nichts wird, so würde ich mich in mein Zimmer einschließen und vor Freude tanzen, aber Charlotte ...!“

In Paris bekam das Herrscherpaar einen Vorgeschmack der neuen Würde, indem der Kaiser, die Kaiserin und die ganze vornehme Gesellschaft ihnen kaiserliche Ehren erwiesen und sie in jeder Weise auszeichneten. Dumas ließ gerade damals im Gymnase-Theater ein neues Stück „L’Ami des Femmes“ aufführen. Max und Charlotte wohnten der Vorstellung in der kaiserlichen Loge bei und erregten das Interesse des Publikums fast mehr als das Stück.

Der erste Eindruck, den Charlotte von ihrer neuen Heimat, die sie mit ihrem Gatten im Juni 1864 betrat, erhielt, war nicht günstig. Die reichen Handelsleute der Hafenstadt Veracruz waren gegen die klerikale Partei eingenommen, welche die Franzosen ins Land gerufen hatte, und daher thaten sie nichts, um den Schützling Napoleons zu begrüßen. Das Unglück wollte überdies, daß der Regent Almonte, der die provisorisch ausgeübte Gewalt dem neuen Herrscher übergeben sollte, auf dem Wege von Mexiko nach Veracruz aufgehalten worden war und der Landung nicht beiwohnen konnte. Aber Puebla, die zweitgrößte Stadt Mexikos, tröstete alsbald durch seinen begeisterten Empfang über die Kälte von Veracruz. Charlotte war so gerührt, daß sie ein langes Dankschreiben an den Präfekten dieser Stadt richtete und 25 000 Franken zur Ausbesserung des Spitals spendete. Das war nur ein Anfang, dem sie während ihrer ganzen Regierungszeit treu blieb, denn sie gab in den zwei Jahren vom Juni 1864 bis zum Juni 1866 jeden Tag durchschnittlich 10 000 Franken zu wohlthätigen Zwecken aus und erfreute sich schon deswegen bald der größten Beliebtheit im ganzen Lande. Während einer Reise ihres Gatten in die nördlichen Provinzen führte sie in der Hauptstadt die Regentschaft und leitete zur großen Zufriedenheit der Bevölkerung das Unabhängigkeitsfest. Sie war mit Leib und Seele Mexikanerin geworden und Max, dem das seine germanische Natur weniger leicht machte, richtete ebenfalls sein ganzes Streben darauf, sich heimisch zu machen und Mexiko durch und für die Mexikaner zu regieren. Anfangs ging auch alles gut. Der republikanische Präsident Juarez irrte von allen Anhängern verlassen in der Wildnis umher und alle civilisierten Teile des Landes huldigten dem neuen Kaiser. Ein besonders starkes Zeichen der Anhänglichkeit an die neue Heimat gab das kinderlose Kaiserpaar dadurch, daß es die Enkel des im Jahre 1826 erschossenen Kaisers Augustin Jtúrbide adoptierte, damit diese die Dynastie fortpflanzen sollten.

Dem guten Anfang sollte leider der Fortgang nicht entsprechen. Maximilian ließ es gar bald in allen Dingen an Entschlossenheit fehlen. Er folgte heute dem einen, morgen dem andern Ratgeber und mißtraute schließlich allen. Selbst Charlotte, die an allen Staatsgeschäften den lebhaftesten Anteil nahm, hatte unter dieser Eigentümlichkeit zu leiden. Es gab Zeiten, wo sich ihr Gatte ganz in seine Gemächer verschloß und selbst sie sich anmelden lassen mußte, wenn sie mit ihm sprechen wollte; und nicht immer fand sie Zutritt. Zur Entschuldigung des Kaisers muß gesagt werden, daß seine Gesundheit, die schon früher nicht die beste war, in Mexiko von allen Leiden der heißen Länder heimgesucht wurde.

Napoleon hatte sich verpflichtet, seine Truppen drei Jahre lang in Mexiko zu lassen, beschloß aber, da er einsah, daß die Sache hoffnungslos sei, und da das mexikanische Abenteuer in Frankreich Unwillen erregte, schon am Ende des zweiten Jahres das Land zu räumen. Er ließ den Entschluß rechtzeitig Maximilian mitteilen, um ihm die Zeit zur Abdankung und zur gefahrlosen Abreise zu lassen. Dieser glaubte jedoch mit Recht oder Unrecht, daß der Marschall Bazaine, der die französischen Truppen in Mexiko befehligte, an allem Unheil schuld sei, daß er, der kurz nach dem Tode seiner ersten Frau eine vornehme Mexikanerin geheiratet hatte, das neue Kaisertum absichtlich unmöglich machen wolle, um nachher selbst als französischer Generalgouverneur oder auf andere Weise Mexiko zu regieren. Charlotte teilte diese Ansicht, und daher beschlossen beide, daß sie nach Paris reisen solle, um Napoleon den Sachverhalt darzulegen und ihn zur ferneren Unterstützung ihres Thrones durch französische Truppen unter einem andern Chef zu bewegen.

Ueber diese Reise der Kaiserin Charlotte, die sie im Sommer 1866 mit großen Hoffnungen antrat und die in Rom mit dem Ausbruch der Raserei enden sollte, liegt uns nun heute jener neue Bericht vor, der nicht nur mit Herz und Geist geschrieben ist, sondern auch eine ganze Fülle bisher nur den Eingeweihten bekannter Einzelheiten enthält. Die von einigen französischen Geschichtschreibern des mexikanischen Abenteuers hartnäckig geleugnete Annahme, daß der Wahnsinn der unglücklichen Fürstin durch die Weigerung Napoleons, seine Truppen in Mexiko zu lassen, verursacht worden sei, findet hier eine unwiderlegliche Bestätigung. Wir verdanken diesen Bericht dem als Engländer naturalisierten hannoverschen Diplomaten Baron von Malortie, der ihn einer Sammlung von Erinnerungen aller Art einverleibt hat, welche kürzlich in London unter den: Titel „Here,

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