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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Das sähe doch aus … Wahrhaftig, der Gedanke wäre mir furchtbar. Also die Hand darauf, daß Du mich nie wieder bei dem Professor erwähnst, geschweige denn gar von dem redest, was Du so aus mir herausgefragt hast. Versprich mir das, oder, bei Gott, es geschieht ein Unglück!“

Feodor blickte ihr staunend in das erregte Antlitz.

„Gut,“ sagte er zögernd. „Wenn Du’s denn absolut haben willst. Aber im Grunde seh’ ich nicht ein …“

„Dein Ehrenwort!“

„Ja, ja, mein Ehrenwort! Du hast es in aller Form! Aber Du wirst mir gestatten, daß ich zu Deiner Forderung nachträglich eine Bemerkung mache. Ich sehe nämlich durchaus nicht ein, in wie weit es Dich kompromittieren könnte, wenn er’s erführe, daß Du ihn lieb hast. Sieh’ mal, er ist in gewisser Beziehung ein Unikum. Er bildet sich ein, daß er der unscheinbarste, häßlichste Mensch unter der Sonne ist …“

„Das ist ja unmöglich!“

„Doch. Es ist so! Und das macht ihn so über die Maßen schüchtern, so ungewandt – wie soll ich nur sagen? Ich wette, Lotichius hat in Herzensangelegenheiten nicht einmal die Erfahrungen eines Primaners. Jedenfalls hält er es für undenkbar, daß ein Geschöpf wie Du, so schön, so gefeiert, so vornehm, sich auch nur im entferntesten für seine Persönlichkeit interessieren könne. Vielleicht ein wenig für seine Forschungen, aber doch niemals für ihn selbst. Da fände ich es nun ganz in der Ordnung, wenn man ihm diese Thatsache, die er nicht zu erhoffen wagt, irgendwie zu Gemüt führte. Neulich hab’ ich erst noch gelesen, wie der berühmte italienische Dichter Anselmo Colombi zu seiner Frau kam …“

„Wie denn?“

„Nun, der war auch so ein schüchterner Herr. Monatelang hat er geschmachtet, und jedesmal, wenn die Gelegenheit da war, an seine Flamme das entscheidende Wort zu richten, war er wie auf den Mund geschlagen. Bis dann endlich einmal das kluge junge Mädchen, das später Frau Dichterin werden sollte, ihm bei einem solchen Tete-a-tete mütterlich sanft in die Augen sah und ihn fragte: ‚Nicht wahr, Herr Doktor, Sie möchten mich heiraten?‘ Und Anselmo Colombi sank der freimütigen Jungfrau mit einem aufjauchzenden Ja in die Arme. Siehst Du, aus dieser später sehr glücklichen Ehe wäre nie ’was geworden, wenn sich das junge Mädchen auf den Standpunkt gestellt hätte: es ist unweiblich, in solchen Dingen die Initiative zu ergreifen. Es handelt sich ja gar nicht um die Initiative – denn die hat er ja längst innerlich selbst ergriffen – sondern nur um das erlösende Wort. Na, Du weißt nun, wie Du daran bist! Leb’ wohl und überlege Dir, was Du zu thun hast! Ich denk’ nicht daran, gegen Deine Erlaubnis Schritte zu thun. Aber wenn Du zur Einsicht gelangst, daß die Vermittlung eines geistvollen Jünglings ihre Vorzüge hat, dann, liebes Tantchen, steh’ ich Dir jederzeit zur Verfügung.“ Er lachte, strich ihr zärtlich über das blonde Haar und trat in den Garten hinaus, wo rechts und links unter den halb gefärbten Bäumen die Astern und Georginen leuchteten. Dann verschwand er im Hause.

Marie Sanders blieb nachdenklich bei ihrem Buche zurück. Sie konnte nicht weiter lesen. Ja, sie liebte den ernsten, klugen, dabei so weichen und gütigen Mann mit der ganzen Unwiderstehlichkeit einer ersten Leidenschaft. Und was Feodor ihr erzählt hatte, war in der That eine frohe Botschaft für sie; denn bis jetzt hatte sie immer noch heimlich daran gezweifelt, daß ihre Liebe erwidert sei. Die neue glückverheißende Lage flößte ihr aber zugleich eine wühlende Unruhe ein. Sie fühlte, daß Feodor den Professor nur zu richtig beurteilte. Dieser scheue, zaghafte Mann würde ohne Aufmunterung die entscheidende Frage niemals über die Lippen bringen. Diese Aufmunterung jedoch, gleichviel in welcher Form, widerstrebte ihr. Die Anekdote von dem Dichter Colombi klang in ihr nach. Sie rief sich jedes Wort Feodors ins Gedächtnis zurück. Nein! Bei aller Glut ihres Herzens würde sie doch niemals imstande sein, ihr weibliches Zartgefühl so sehr zu vergessen. Das war völlig undenkbar.


2.

Die Eltern Feodors, der Justizrat Merck und seine Frau Karoline, gaben zur Feier der zwanzigsten Wiederkehr ihres Vermählungstages ein kleines Familienfest. Außer den nächsten Verwandten hatte man auch ein paar gute Freunde geladen: vor allem Professor Lotichius und den Rittmeister Scholl, der unbedingt für den glänzendsten Offizier der Glaustädter Garnison galt. Feodor, der mit seiner noch jugendlichen Mama auf einem fast kameradschaftlichen Fuße stand, hatte sich die Vergünstigung ausgewirkt, bei der Tafelordnung ein Wort mitzureden. Die Folge war natürlich ein Arrangement, das den Professor Lotichius zum Tischherrn der blonden Marie Sanders machte. Die andere Seite des liebenswürdigen jungen Mädchens mußte man allerdings zum Leidwesen Feodors dem Rittmeister Scholl gönnen. Feodor hatte ursprünglich die Absicht gehabt, diesen schneidigen Kavalier möglichst am entgegengesetzten Ende der Tafel kalt zu stellen. Aber er fügte sich, da ihn die Mutter belehrte, es sei geradezu unartig, wenn man die offenkundigen Sympathien der Gäste so wenig berücksichtige.

Bei nochmaliger Ueberlegung fand er die Anordnung auch gar nicht so zweckwidrig. Wenn der Professor sah, wie eifrig der Rittmeister bei seinen Huldigungen ins Zeug ging, so übte das doch vielleicht einen günstigen Einfluß auf seine Zaghaftigkeit aus. Die Eifersucht war ja ein mächtiger Hebel.

Das kleine Diner verlief zur allgemeinsten Befriedigung. Küche und Keller boten Vorzügliches. Ein jovialer Onkel des Hausherrn brachte den Toast auf das glückliche Paar aus, rühmte das traute Familienleben, dessen die Mercks nun seit zwanzig Jahren sich ohne Trübung erfreuten, warf ein paar liebenswürdige Streiflichter auf die zwei hoffnungsvollen Kinder des Hauses, Feodor und die fünfzehnjährige Frieda, und wob zuletzt auch die reizende junge Schwester der Hausfrau mit vielerlei blumigen Schmeicheleien in das Gespinst seiner Rede. Allem Liebenswürdigen, was dieser Tante galt, pflichtete Feodor, der ihr schräg gegenüber saß, durch lebhaftes Kopfnicken bei, nicht ohne im stillen den guten Professor Lotichius mit hoffender Aufmerksamkeit zu beobachten. Der junge Gelehrte aber hielt seinen Blick starr auf den Teller gerichtet, preßte die Lippen fest aufeinander und spielte mit unsicherem Finger am Stengel seines Champagnerglases.

Stürmische Hochrufe unterbrachen diese Versunkenheit. Flüchtig errötend stieß Professor Lotichius mit seiner blonden Nachbarin an. Er brachte kein Wort über die Lippen, sondern wandte sich gleich zu den übrigen, vorab zu dem Jubelpaar. Der Rittmeister dagegen drehte sich mit einem vielsagenden Lächeln seinen mächtigen Schnurrbart und flüsterte seiner lieblichen Nachbarin schmeichlerisch zu:

„Mir ganz aus der Seele gesprochen – besonders was er da über Sie bemerkt hat! Famoser Herr, dieser Onkel! Ich gestatte mir, gnädiges Fräulein …“ Er leerte das Glas bis auf den letzten Tropfen und seine tiefschwarzen Augen schleuderten einen flammenden Blitz in die ihrigen.

Feodor sah zu seiner tiefsten Betrübnis, daß die Angelegenheit seines lieben Professors nicht den geringsten Fortgang nahm. Und wenn er die beiden Herren da rechts und links von Tante Marie vorurteilslos miteinander verglich, so gab es für ihn doch gar keinen Zweifel, wem von den Zweien der Kranz gebühre. Professor Lotichius war nicht nur ein genialisch veranlagter Mensch, sondern auch eine stattliche Männererscheinung; wohl gewachsen und von gewinnenden Zügen. Nur der Mangel an Selbstvertrauen, die trübe Scheu einer weltfremden Natur und dann auch eine gewisse Traumhaftigkeit und Zerstreutheit lieh ihm etwas vom Sonderling. Der Rittmeister dagegen war nur ein flotter, vielerfahrener Courmacher, ein liebenswürdiger Schwadroneur, aber im Grund seines Wesens hohl und ohne andere Interessen als die seines Dienstes und seines Amüsements. Wenn dem Professor erst einmal diese holde Marie als Lebensgefährtin zur Seite stand, würde sich alles, was ihn jetzt vielleicht in den Augen gewisser Leute beeinträchtigte, völlig verlieren; der wahre Kern seines Wesens würde siegreich zum Durchbruch gelangen. Der Rittmeister dagegen war und blieb ein gefälliger Durchschnittsmensch, der zu einem so tiefen, wundervollen Geschöpf wie Marie durchaus nicht paßte.

Feodor wunderte sich, daß er jetzt überhaupt solche Betrachtungen anstellte. Marie war ja doch ganz seiner Ansicht. Sie hatte ihm ja ihre Neigung zu dem Professor eingeräumt. Und streng genommen lieferte auch die Art, wie sie mit beiden Herren verkehrte, den Beweis für diese Neigung. Wenn sie mit dem Professor sprach, schien sie ganz eigentümlich befangen, während sie mit dem Rittmeister ohne Rückhalt scherzte und lachte und seine unbedeutendsten Späße mit augenscheinlicher Dankbarkeit aufnahm.

Freilich konnte ja diese Dankbarkeit von Professor Lotichius mißdeutet werden … Die Möglichkeit eines derartigen Irrtums

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0015.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)