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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ärgerte den frühreifen Menschenkenner über die Maßen. Und der Professor ward immer schweigsamer. Feodor Merck beschloß daher, in diesen Herzensroman seines Freundes Lotichius fördernd einzugreifen, sobald sich ihm irgendwie die Gelegenheit böte.

Man war beim Dessert. Als er sich eine Handvoll Knackmandeln aus der silbernen Schale nahm, verfiel er sofort auf den Gedanken, Fräulein Marie Sanders müsse mit dem Professor ein Vielliebchen essen. Wenn Professor Lotichius in die Lage versetzt wurde, dem Gegenstand seiner Liebe etwas zu schenken, so begründete das doch immerhin einen Zusammenhang, der bei kluger Berechnung ausgenutzt werden konnte. Noch besser war es, wenn der Professor gewann. Marie mußte ihm dann etwas arbeiten, etwas recht Sinniges, Hübsches, Bedeutungsvolles, und Feodor wollte dann schon dafür Sorge tragen, daß diese Gabe möglichst erkennbar die Gesinnungen der Geberin aussprach. Da lag ja der Punkt, auf den’s hier vor allem ankam. Er mußte unzweideutig erfahren, was in der Seele Mariens vorging....

Feodor schmunzelte stillvergnügt vor sich hin. Beim Aufknacken der dritten Mandel fand er schon, was er suchte. Er legte die beiden Kerne auf einen Teller und reichte sie über den Tisch mit den Worten: „Für Dich, Tantchen, und den Herrn Professor als Deinen Tischherrn! Willst Du?“

„Ah, ein Vielliebchen!“ lachte der Rittmeister selbstbewußt und zwirbelte seine Schnurrbartspitze. „Die alte, fromme Sitte ist noch nicht ausgestorben!“

„Wenn es dem Herrn Professor recht ist …,“ sagte Marie, etwas verlegen. Sie glaubte, es würde auffallen, wenn sie nicht harmlos auf die Idee Feodors einginge.

„Selbstverständlich,“ meinte Lotichius errötend. „Ich muß nur zu meiner Schande gestehen, daß ich auf diesem Gebiet wenig Erfahrung habe.“

„Sehr einfach.“ Marie setzte ihm nun die üblichen Bedingungen kurz auseinander. Er nickte. Und dann vollzog man die Ceremonie mit einer gewissen ans Komische grenzenden Feierlichkeit.

„Absichtliches Verlieren ist ausgeschlossen,“ fügte Feodor in seiner Rolle als Unparteiischer eifrig hinzu. „Nicht wahr, Tante?“

„Natürlich. Sonst wäre ja gar kein Witz bei der Sache.“

„Also aufgepaßt, Herr Professor!“ mahnte der Rittmeister.

„Keine Sorge! Ich werde schon acht geben!“

Und wirklich schien Professor Lotichius von diesem Moment ab all’ seine Gedanken auf den Sieg in dieser scherzhaften Fehde zu richten. Er ward noch schweigsamer als zuvor; nur die Worte „Ich denke dran“ klangen etliche Male von seinen seltsam gekräuselten Lippen.

Kurz vor dem Aufstehen wollte der Zufall, daß Mariens Serviette von ihrem Schoße herab unter den Tisch glitt. Lotichius, voll arger List, bückte sich, hob sie auf und überreichte sie der nichtsahnenden Nachbarin mit einer artigen Handbewegung. Marie war von dieser Aufmerksamkeit des sonst nicht übermäßig galanten Professors derart verblüfft, daß sie die Anwendung des Schutzwortes vergaß und erst durch das triumphierende „Guten Morgen, Vielliebchen!“, das Lotichius ihr zurief, an die Lage der Dinge erinnert ward.

„Bravo!“ rief der übermütige Sohn des Hauses. Marie Sanders aber ward purpurrot, denn sie befürchtete, daß man trotz ihres vorhin so deutlich ausgesprochenen Grundsatzes dies rasche Verlieren für Absicht halten möchte. Sie stammelte ein paar Worte, die ihren Mangel an Aufmerksamkeit entschuldigen sollten, brach aber dann rasch ab.

Den Rest des Tages über war der Professor merkwürdig aufgeräumt. Besonders liebenswürdig und lebhaft unterhielt er sich mit seinem jungen Freunde Feodor, dem er von seiner griechischen Reise erzählte und auch sonst manche vertrauliche Mitteilung machte. In seiner Anspruchslosigkeit freute er sich seines Vielliebchen-Sieges wie eines großen Erfolges. Der Gedanke, Marie Sanders je zu besitzen, lag ihm dabei ferner als je, zumal er fest davon überzeugt war, dieser glänzende Rittmeister Scholl habe die ernsthaftesten Absichten. Mit einem solchen Rivalen aber es aufnehmen zu wollen, wäre ja doch der barste Wahnsinn gewesen. Im Grund seines Herzens hatte Lotichius dauernd entsagt. Für ihn war es Glück genug, wenn er ein kleines Andenken von ihr mit hinüber nach Bonn rettete. Er stand nämlich mit der dortigen Hochschule in Unterhandlung. Bis jetzt hatte er noch gezögert. Nun aber war es beschlossen: er würde den Ruf annehmen. Dieser Entschluß war es, der ihm eine gewisse Klarheit und Festigkeit lieh und ihn fast heiter erscheinen ließ.

Nach dem Kaffee begab sich die ganze Gesellschaft in den Hausgarten. Es war kurz vor Sonnenuntergang. Ueber den Bäumen, Sträuchern und Blumenbeeten lag die wehmütige Poesie des scheidenden Sommers. Feodor wußte es einzurichten, daß der Professor sich plötzlich mit Fräulein Marie allein in der Laube sah. Es entspann sich ein kurzes Gespräch. Lotichius teilte ihr mit, daß er wohl spätestens Anfang November abreisen werde. Er gehe nach Bonn, wo sich ein größerer Wirkungskreis ihm erschließe als hier in Glaustädt. Als sie nicht antwortete, fügte er halblaut hinzu:

„Ja, Fräulein Sanders! Ich verbessere mich ganz augenscheinlich. Auch hoffe ich dort gewisse Aufregungen und thörichte Träumereien leichter vergessen zu können als hier. Nicht jedem ist es auf Erden vergönnt, seine goldnen Phantasmen in Wirklichkeit umzusetzen, – – wie etwa bevorzugte Persönlichkeiten nach Art des Rittmeisters Scholl. …“

Er schwieg, selber erstaunt über die tollkühne Anspielung, die er sich niemals im Leben zugetraut hätte. Mariens Herz pochte. Aber noch ehe sie etwas erwidern konnte, trat der so befremdlich erwähnte Rittmeister Scholl dazwischen und überreichte ihr mit blendender Ritterlichkeit „die letzte Rose“ – „the last rose of summer“ –, die er soeben im großen La-France-Beet für sie gepflückt hatte.

(Schluß folgt.)




Havelschilf.

Ein Bild märkischen Gewerbfleißes von Richard Nordhausen. 0Mit Bildern von W. Pape.

Wie Saphire und Türkise, an schwarzer Schnur aufgereiht, blitzen hier und da die Havelfluten durchs Kieferngehölz; nun treten wir aus dem sommerlich duftenden Hag heraus, und der prachtvolle Strom, dem dieses Gebiet der Mark ihren reizvollsten Zauber, ja vielleicht überhaupt all ihre Schönheit verdankt, liegt im Glanze der jungen Morgensonne vor uns. Von der bewaldeten Höhe lustwandelt das Auge über die mächtigen, sprühenden Wassermassen, über wogende Baummeere und die roten Ziegeldächer der Dörfer hinweg nach Norden und Süden; vom jenseitigen Ufer her winken eigenartig gebaute Gotteshäuser, fern im Westen steigen Türme und Kuppeln, steigt eine Stadt weißleuchtend aus dem glitzernden Gerinne. Es ist sehr still, und nur zuweilen, wenn ein vollbesetzter Dampfer prustend vorüberzieht, wühlt er die ruhenden Wasser auf und läßt sie in kleinen Wellen ans Gestade klatschen. Dann geht ein heftiges Zittern durchs Röhricht, das die flachen Ufer breit umsäumt, geheimnisvolles Rauschen erwacht und schwillt machtvoll an, weckt den schlafenden Wind, der in den schwarzgrünen Kronen des Nadelwaldes seine Fugen orgelt. Mag im Wandel der Jahrtausende, die die Welt entgöttert und aus dem Schlupfwinkel des dreiköpfigen Triglav ein Lieblingsziel hauptstädtischer Sonntagsausflügler gemacht haben, mag hier im Wandel der Jahrtausende durch Menschenhand und Elementarmacht auch alles in seinen Fundamenten geändert worden sein – diese Musik ist doch dieselbe geblieben. Das grüne Schilf dort unten sang die gleiche Melodie, als Sleipnirs Hufe vor dem weißen Rosse Radigasts weichen mußten und das tapfere, gastfreie Wendenvolk seinen Einzug in diese Sumpflande hielt; es brauste und jubelte, als Mistewoi, der schmählich Betrogene und Beschimpfte, von neuem alle Kapellen des Christengottes in Trümmer legte, und es seufzt und weint heute noch wie in jener Zeit, da man den letzten, schweren Kampf gegen deutsche Uebermacht kämpfte und Jaczo, bei Groß-Glienicke geschlagen, auf erhitztem, abgetriebenem Rosse die Havelflut durchschwamm, um sich vor seinen Verfolgern zu retten. Nichts blieb, wie die Vorzeit es sah; der Fluß mußte sich eindämmen und „regulieren“ lassen, die endlosen Waldungen fielen der Axt und kamen unter die Obhut des königlichen Forstärars, die Inseln und die Niederungen selbst wechselten völlig ihr Gesicht. Und nur das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0016.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2022)