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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Ware wird ein großer Teil in Kiel und der nächsten Umgebung verzehrt. Wer sie garantiert frisch haben will, kauft sie in der Räucherei selber direkt vom Spillrahmen; daneben aber giebt es außer den oben bereits erwähnten Ellerbeker Buden in der Stadt eine ganze Anzahl von Ladengeschäften, welche lediglich geräucherte und marinierte Fische feilhalten; und endlich fehlen auch die Hausiererinnen nicht, welche, oft wenig reizvoll von Gestalt und Angesicht, zwei Körbe am Arm, sich bald an dieser, bald an jener Ecke postieren oder in den Vororten von Haus zu Haus schleichen, um ihre „Kieler Bückeln“ stückweise und freilich nicht selten in ziemlich betagtem Alter an den Mann zu bringen.

Der bei weitem erheblichere Teil sämtlicher Fische gelangt jedoch zur Versendung nach sämtlichen Ländern Europas, sowie nach Amerika und selbst nach dem fernen Australien, wobei wir erwähnen wollen, daß ein Kollo Sprotten, nach Chicago geschickt, keine höhere Fracht erfordert, als wenn die gleiche Menge Ware nach München geht.

Was an Bücklingen innerhalb der Provinz Schleswig-Holstein oder nach Hamburg zum Versand gelangt, wird in Körbe verpackt; nach allen anderen Ländern des Kontinents hingegen erfolgt die Versendung in mit Pergamentpapier ausgelegten Kistchen, nach überseeischen Gebieten gelangen luftdicht verlötete Blechdosen zur Verwendung. Wie groß das Exportgeschäft in geräucherten Fischen in Kiel ist, läßt sich daraus ermessen, daß eine der hervorragenderen Räuchereien in einem Jahre 35 691 Postkolli, je im Gewicht von fünf Kilogramm, ausführte, eine Ziffer, die verneunfacht werden muß, um die Mengen von Bücklingen und Sprotten zu ermitteln, welche alljährlich allein von Kiel und Ellerbek aus in alle Welt geschickt werden.


„Vons.“

Erzählung von Hermine Villinger.

An dem Porzellanschild einer kleinen Parterrewohnung, in einem regen Geschäftsviertel der Stadt, war das Wörtchen „von“ mit schwarzer Tinte so kräftig nachgezogen, daß der Name Feldern daneben sich beinahe unansehnlich ausnahm. Dies und der Umstand, daß Frau von Feldern auch beim Sprechen ihr „von“ über alles Maß zu betonen pflegte, hatte der Familie die überaus kurze, aber vollwichtige Benennung „Vons“ eingetragen.

Man lächelte in der Nachbarschaft, wenn das Paar miteinander über die Straße ging; sie immer in schwarzer Seide, schlank und hager, mit Augen, die eigentlich sehr lebhaft waren, denen sie aber einen blasiert vornehmen Ausdruck zu geben bemüht war.

Auch Herr von Feldern war schlank, er ging immer in Grau, trug einen schön gepflegten Backenbart und weiße glänzende Manschetten bis vor auf die Fingerspitzen. Dies war seine Haupteigentümlichkeit; im übrigen war er die Harmlosigkeit selbst und hatte nur ein einziges Mal in seinem Leben ausgeschlagen – damals, als er mit neunzehn Jahren als junger Fähnrich urplötzlich selbständig im Leben stand.

Am ersten Tag seiner neuen Würde war er noch brav und wohlerzogen zwischen seinen Eltern nach dem Stadtpark gegangen; am zweiten Tag hatte er mit Kameraden gespielt und getrunken, auch sonstige Excesse verübt, wobei er sich in hervorragender Weise blamierte, und – nach zwei Monaten wurde er seinen Eltern heimgeschickt, mit tausend Mark Schulden und der bündigen Erklärung, daß er sich zur militärischen Laufbahn nicht eigne.

Nachdem es sich bei wiederholten Versuchen erwiesen, daß seine Fähigkeiten überhaupt nicht für einen selbständigen Beruf ausreichten, brachte ihn sein Vater schließlich zu einem Advokaten; und hier, als Schreiber und unter beständiger Aufsicht, machte der junge Feldern seine Sache brav wie ein Schulkind und gab keine Veranlassung mehr zum Klagen.

Da er nie mit seinen Kollegen sprach, noch über einen Witz lachte, hielten ihn diese für hochmütig und richteten ihrerseits auch nie das Wort an ihn.

Allein seine Zurückhaltung entsprang einzig und allein seiner schüchternen Gemütsart. Lucia Höpfer, das „Fräulein“ eines gräflichen Hauses, die dem jungen Manne jeden Morgen begegnete, hatte dessen wahre Natur sehr bald durchschaut.

Erst hatte sie ihn angesehen, er sah sie wieder an; sie lächelte, er lächelte ebenfalls; sie grüßte, er zog den Hut. Darauf fingen sie an, miteinander zu reden – das heißt, sie redete, und er hörte voll Andacht zu. Das war ein Schwirren von erlauchten Namen! Seit ihrem sechzehnten Jahre verkehrte Lucia in „hohen Kreisen“ und hatte deren Gewohnheiten, Manieren und Denkungsart überall angenommen; o, sie hatte einen feinen Instinkt, sofort das Richtige zu erraten, und war abwechselnd in einem Hause strenggläubig, im andern aufgeklärt, im dritten exklusiv und im vierten die Leutseligkeit selbst gewesen. Aber im Grunde, ein Dienen war es doch, und sie fühlte sich oft nicht zum sagen unglücklich, so ohne eine Menschenseele, die an ihr hing. Lucia brach in Thränen aus und ließ ihren Begleiter in großer Bestürzung mitten auf der Straße stehen.

Sie ging nun ein paar Tage stumm und steif grüßend an ihm vorbei, und erst nach einer Woche, als die junge Dame einmal eine kleine Wendung nach ihm hinmachte, faßte er Mut und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Sie überschüttete ihn mit einem Wortschwall von Vorwürfen: er habe kein Herz, sie habe sich ihm anvertraut, aber das rühre ihn nicht, o nein, er bleibe kalt, er sei eben auch ein Mann und wisse die feinfühligen Empfindungen eines Mädchens nicht zu schätzen.

Feldern verteidigte sich so gut er konnte, wußte absolut nicht, was er gethan haben sollte, und bat dringend um eine nähere Erklärung. Nun, meinte sie schüchtern, als Mädchen könne sie doch nicht zuerst sprechen, ob es schön und männlich von ihm sei, dies zu verlangen?

Ein neuer Thränenstrom entstürzte ihren Augen, und Feldern fing an zu begreifen und stammelte in höchster Verlegenheit: „Sprechen Sie mit meinem Vater –“

Die Mutter war tot, und der alte Herr von Feldern, der über eine bescheidene Pension verfügte, kam trotz seiner vernünftigen Bedenken, daß er nicht ewig lebe und sein Sohn zu wenig verdiene, um ein mittelloses Mädchen zu heiraten – gegen die Beredsamkeit einer Lucia Höpfer nicht auf. Sie hätte lieber das Leben gelassen als dieses „von“, durch das sie jenen Kreisen einverleibt zu werden glaubte, in deren Luft sie allein atmen zu können vermeinte.

Der alte Feldern war ein einfacher Mann; er hatte es zum Rechnungsrat gebracht, sein Vater war Geometer gewesen, und man hatte von dem „von“ in der Familie niemals ein Aufhebens gemacht. Er hatte nichts gegen die Freude, die seine Schwiegertochter täglich an den Tag legte, nunmehr Lucia von Feldern zu heißen, wenn sie aber mit ihren „höhern Richtungen“ kam, wie er ihre Versuche nannte, die Gewohnheiten und die Lebensweise ihrer ehemaligen Herrschaften in dem kleinen Haushalte einzuführen, da legte der alte Herr sein Veto ein, und Lucia war so gescheit, sich zu fügen. Sie bewies, daß sie in der That etwas gelernt hatte, denn sie ließ sich nichts anmerken von ihrem Aerger

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0047.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2023)