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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Hartley aber rief mit komischer Entrüstung: „Natürlich, Du bist immer der Bevorzugte, Beneidenswerte! Guten Tag, Herr Ehrwald. Haben Sie es schon gehört, welcher Verlust uns allen bevorsteht? Sie bleiben ja auch noch einige Wochen in Kairo.“

„Das hat sich inzwischen geändert,“ erklärte Reinhart, der jetzt herantrat. „Unsere Abreise ist schon auf übermorgen festgesetzt, aber wir gehen einstweilen nur bis Luksor. Sonneck und Professor Leutold wollen gemeinsam die Königsgräber durchforschen.“

Ein zornerfüllter Blick, wie man ihn den matten Augen Marwoods gar nicht zugetraut hätte, traf den jungen Mann und dann wandte sich der Blick auf Zenaide. Sie sprach auch diesmal kein Wort der Zustimmung, der Einladung, aber ihre Augen strahlten in so verräterischer Glückseligkeit auf, daß Francis sich auf die Lippen biß. Hartley dagegen rief halb lachend, halb ärgerlich:

„Sie auch? Nun dann bleibt mir wahrhaftig nichts übrig, als einen Einfall der Madhisten herbeizuwünschen, damit mein Regiment schleunigst nach dem Nil kommandiert wird – selbstverständlich mit einer längeren Station in Luksor.“

Er unterbrach sich plötzlich und trat mit einer Verbeugung seitwärts, denn eben kam die Gemahlin seines Kommandanten angerauscht und nahm ihn und seinen Freund in Beschlag, zum großen Mißvergnügen dieses letzteren. Es half ihm nichts, daß er sich einer außerordentlichen Schweigsamkeit befleißigte, die Dame sprach umsomehr. Sie war weitläufig mit seiner Familie verwandt, wollte Nachrichten darüber haben und verwickelte ihn rettungslos in eine Unterhaltung, der er sich ohne direkte Unart nicht entziehen konnte. Er sah es trotzdem, daß Fräulein von Osmar im Gespräch mit Ehrwald sich dem Ausgange zuwandte und schließlich mit ihm auf die Terrasse hinaustrat.

Durch die große Mittelthür fiel ein breiter heller Lichtstreifen auf die Marmorfliesen, der übrige Teil der Terrasse lag im Halbdunkel. Im Gegensatz zu den heißen, menschenerfüllten Sälen mit ihrem grellen Lichte und ihrem glänzenden Treiben herrschte hier die vollste Stille und Einsamkeit. Dort standen Zenaide und Reinhart, zu ihren Füßen lag der Garten der Villa im nächtlichen Dunkel, aber aus diesem Dunkel stiegen süße Düfte empor und umwehten die beiden wie ferne, geheimnisvolle Grüße, über ihnen funkelte die leuchtende Sternenpracht des Nachthimmels. Aber diesmal verlor sich der Blick des jungen Mannes nicht in jene endlosen Weiten, er haftete auf der schlanken, weißen Gestalt, die dort an der Brüstung lehnte. Er hatte es ja auch gesehen, das Aufleuchten jener Augen bei der Nachricht, die ein Wiedersehen verhieß.

Sie sprachen deutsch miteinander und hatten bisher von gleichgültigen Dingen geredet, aber die Stimme Zenaidens klang gedämpft, verschleiert und der Ton Ehrwalds hatte eine eigentümliche Weichheit, die ihm sonst gar nicht eigen war.

„Lord Marwood wird Sie nach Luksor begleiten?“ fragte er.

„Wenigstens wird er uns dahin folgen. Mein Vater hat ihn eingeladen, ich –“ sie brach plötzlich ab und unterdrückte die Aeußerung, die sie schon auf den Lippen hatte.

„Sie hätten es nicht gethan?“ ergänzte Reinhart.

„Nein!“ erklärte Zenaide mit voller Bestimmtheit.

„Ich fürchte, er hat eine Ahnung davon,“ spottete der junge Mann. „Aber Seine Lordschaft besitzt die Tugend der Beharrlichkeit im höchsten Grade. Sie werden mir freilich das Gleiche vorwerfen, aber ich versichere feierlichst, daß ich unschuldig bin an dem Reiseplan, für den Professor Leutold allein verantwortlich ist, ich erfuhr erst gestern abend davon.“

„Sie verteidigen sich ja förmlich dagegen, als wenn es ein Unrecht wäre,“ sagte Zenaide lächelnd. „Warum denn?“

„Weil ich nicht auch ein unwillkommener Gast sein möchte. Die Herren werden Sie und Herrn von Osmar jedenfalls aufsuchen.“

„Gewiß, das ist doch selbstverständlich, ebenso wie unsere Freude an dem Besuch. Herr Sonneck ist ein Freund meines Vaters und steht unserem Hause sehr nahe.“

„Und ich?“

Zenaide schwieg.

„Und ich?“ wiederholte Reinhart. „Sie haben auch mir kein Wort der Zustimmung gesagt, als ich von unserem Reiseplane sprach. Ich weiß ja nicht einmal – ob ich kommen darf.“

Sie sprach auch jetzt nicht, aber in ihren Augen, die sie zu ihm emporhob, stand die Antwort und sie war deutlich genug. Er trat einen Schritt nähcr und beugte sich zu ihr nieder.

„Zenaide – darf ich kommen?“

Sie bebte leise zusammen, als sie ihren Namen von diesen Lippcn hörte, aber kein zorniger Blick, kein Verbot traf den Kecken, der sich unterfing, sie so anzureden. Ihm wurde eine Kühnheit verziehen, die sich Francis Marwood nie hätte erlauben dürfen, und er fühlte das Zugeständnis, das darin lag.

„Ein Glück, um das Dich ganz Kairo beneiden würde!“ hatte ihm Sonneck damals zugerufen. Ja, es war ein hoher Preis! Das schöne gefeierte Mädchen, an dessen Hand ein fürstliches Vermögen hing, und dieser Preis war sein, sobald er wollte! Reinhart hätte kein Mann sein müssen, wenn dies Bewußtsein ihn nicht berauscht hätte, wenn sein trotziges Selbständigkeitsgefühl, sein glühender Freiheitsdrang davor standgehalten hätten. All die phantastischen Zukunftsträume wichen zurück in weite Ferne, er sah jetzt auch nur die holde Wirklichkeit, die ihm zur Seite stand.

„Darf ich kommen?“ fragte er noch einmal, aber dringender, leidenschaftlicher.

„Ja,“ kam es leise von den Lippen Zenaidens, und wie einer plötzlichen Eingebung folgend, zog sie eine der Rosen aus dem Strauße, der ihre Brust schmückte, und reichte sie dem jungen Manne; sie wehrte ihm auch nicht, als er die Hand festhielt, die ihm die duftende Gabe spendete, und sie an seine Lippcn zog.

Aber in dem gleichen Augenblick fiel ein Schatten in den hellen Lichtkreis vom Saale her. Lord Marwood stand auf der Schwelle. Er konnte bei der halben Dämmerung, die hier draußen herrschte, den Handkuß wohl kaum gesehen haben, aber er sah, daß die beiden dicht nebeneinander standen in leiser angelegentlicher Unterhaltung und daß sie sofort verstummten bei seinem Nahen.

Langsam kam er näher und verbeugte sich vor der jungen Dame, während er Ehrwald nicht zu bemerken schien.

„Sie entziehen sich uns so ganz, gnädiges Fräulein? Man vermißt Sie sehr in der Gesellschaft und Herr von Osmar sucht Sie überall.“

Zenaide hatte sich rasch gefaßt, sie war zu sehr Weltdame, um auch nur mit einem Blick oder einer Bewegung zu verraten, wie unwillkommen ihr die Störung war. Sie wandte sich zu dem jungen Lord und erwiderte scheinbar unbefangen:

„Es ist so erstickend heiß in den Sälen! Papa hätte meinen Vorschlag annehmen und den Garten mit in unser Fest hineinziehen sollen, aber er fand das bedenklich in dieser Jahreszeit. Doch ich werde ihn jetzt wohl aufsuchen müssen.“ Sie neigte leicht das Haupt gegen die beiden Herren und verließ die Terrasse.

Marwood folgte ihr nicht, er hatte längst die Rose in der Hand Ehrwalds bemerkt und ein Blick auf den Strauß Zenaidens hatte ihm auch gezeigt, woher sie stammte. Seine Haltung war kalt und hochmütig wie immer, aber auf seinem Gesichte lag eine fahle Blässe. Es gab doch einen Punkt, wo die Kälte und Gleichgültigkeit seiner Natur nicht standhielt, und das war seine Neigung zu der schönen Tochter Osmars. Er sah es freilich, daß sie nicht erwidert wurde, aber mit der ganzen Zähigkeit und Hartnäckigkeit seines Charakters hielt er den Gedanken fest, Zenaide zu besitzen. Als er sich nun vollends in diesem Besitze bedroht sah, von einem Manne bedroht, den er unendlich tief unter sich glaubte, da flammte seine Eifersucht hell auf und er beschloß, um jeden Preis den kecken Glücksritter unschädlich zu machen.

„Sie sprachen vorhin die Absicht aus, nach Luksor zu gehen, Herr Ehrwald,“ begann er. „So viel ich weiß, haben Sie keine Einladung dorthin erhalten.“

Reinhart lehnte in sehr nachlässiger Haltung an der Brüstung und ebenso nachlässig klang sein Ton, als er erwiderte: „Haben Sie die Einladungen für Luksor zu vergeben, Lord Marwood? Das erfahre ich wirklich erst in diesem Augenblick, werde aber nicht verfehlen, Herrn Sonneck mitzuteilen, daß er sich bei Ihnen die Erlaubnis zu unserem Ausfluge holen muß.“

„Herr Sonneck und sein Begleiter verfolgen wissenschaftliche Zwecke,“ sagte Francis, der es unter seiner Würde hielt, den Spott zu bemerken. „Welchen Zweck verfolgen Sie?“

„Interessieren Sie sich so sehr dafür?“ lautete die kühle Gegenfrage. „Das ist mir sehr schmeichelhaft, doch bedaure ich, keine Auskunft darüber geben zu können.“

Die spöttische Ueberlegenheit seines Gegners reizte den jungen Lord um so mehr, als er ihr nicht gewachsen war. Es war überhaupt nicht seine Absicht, sich in einen Wortstreit mit diesem Menschen einzulassen, er bemerkte daher kurz und scharf: „Es ist nicht jedermanns Sache, ein unwillkommener Gast zu sein.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0086.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)