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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Die Kleine sah fragend zu ihm auf, da hob er sie plötzlich mit beiden Armen hoch empor, wie damals in jener geheimnisvollen Mittagstunde, als die Fata Morgana vor ihnen auftauchte, und flüsterte in einem seltsam leidenschaftlichen Tone: „Und Dich sehe ich auch wohl niemals wieder im Leben, kleine Elsa. Wenn Du heimkommst, dann vergiß nicht den Gruß, den ich Dir aufgetragen habe, den Gruß an die Heimat, hörst Du? Leb’ wohl, Du böses – Du süßes kleines Ding!“

Und rasch, ehe das Kind sich noch sträuben konnte, küßte er es, setzte es dann auf den Boden nieder und stürmte davon.




Es war in den Morgenstunden des nächsten Tages. Zenaide befand sich in ihrem Zimmer, mit Lothar Sonneck, der vor einer halben Stunde gekommen war. Man sah es an ihrem bleichen, überwachten Antlitz, daß sie die Nacht durchweint hatte, und ihr ganzes Wesen verriet eine fieberhafte Erregung.

„Also auch Sie versagen uns Ihren Beistand?“ fragte sie mit schmerzlichem Vorwurf. „Auf Sie hatte ich gebaut, Sie waren meine letzte, meine einzige Hoffnung und Sie wollen uns nicht helfen?“

„Ich kann nicht, Zenaide,“ entgegnete Sonneck ernst. „Ihr Vater würde es als einen Verrat an unserer Freundschaft ansehen, wollte ich heimlich begünstigen, was er offen verbietet – und mit vollem Rechte.“

„Mit vollem Rechte – wo er selbst so ungerecht, so grenzenlos hart ist?“

„Gleichviel, es ist Ihr Vater und Sie müssen sich seinem Willen fügen, für den Augenblick wenigstens.“

„Ich will mich aber nicht fügen!“ rief das junge Mädchen ungestüm. „Ich will mir nicht durch ein bloßes Machtwort mein ganzes Lebensglück zertrümmern lassen. Sie wissen ja, was geschehen ist.“

„Allerdings, und eben deshalb halte ich jedes Eingreifen für nutzlos. Hier ist nichts mehr zu vermitteln.“

„Weil Reinhart bis auf den Tod beleidigt ist? Ich weiß es, und eben deshalb muß ich ihn noch einmal sprechen. Ich muß, koste es, was es wolle, und Sie müssen uns dazu helfen. Wenn unsere Zusammenkunft in Ihrer Gegenwart, unter Ihrem Schutze geschieht, kann sie nicht mißdeutet werden.“

„Aber ich trage die volle Verantwortung dafür!“ fiel Sonneck mit schwerem Nachdruck ein. „Ich wiederhole Ihnen, daß ich das nicht kann und darf. Erzwingen Sie sich von Ihrem Vater die Erlaubnis zu diesem letzten Wiedersehen, und ich bin gern bereit, es unter meinen Schutz zu nehmen, aber heimlich, hinter seinem Rücken – nein!“

„Aber wenn ich Sie bitte!“ Zenaide legte wie beschwörend beide Hände auf seinen Arm. „Wenn ich Sie anflehe in Todesangst? Mein Gott, es ist ja nichts Böses, was ich will! Ich kann Reinhart nicht zumuten, das Haus wieder zu betreten, wo man ihm das angethan hat, und wenn er jetzt geht, mit dieser grenzenlosen Bitterkeit im Herzen, dann geht er für immer. Ich will ihn ja nur noch einmal sehen, ihm sagen, daß ich bei meinem Worte bleibe, trotz allem, was man versucht hat und noch versuchen wird, um uns zu trennen; daß ich sein bin im Leben und Tod! Herr Sonneck, Sie haben mich schon als Kind gekannt, Sie haben mich lieb gehabt und sind mir stets ein väterlicher Freund gewesen, können Sie mir denn wirklich diese erste, diese einzige Bitte versagen?“

Ihre Stimme bebte in angstvollem, rührendem Flehen und aus den Augen, die zu ihm aufblickten, stürzten heiße Thränen. Sonnecks Züge verrieten die mühsam unterdrückte Bewegung, aber er nahm sanft die Hände des jungen Mädchens und schloß sie in die seinigen.

„Halten Sie mich nicht für hart und grausam, Zenaide, wenn ich bei meinem Nein bleibe, ich habe einst eine bittere Lehre erhalten. So wie Sie bat damals mein Freund, der meinem Herzen am nächsten stand, und seine Braut, von der ihn der Wille des Vaters trennte, war mir lieb wie eine Schwester. Ich gab nach, ich führte die beiden heimlich zusammen – und es ist Unheil daraus geworden! Der Vater schleuderte mir den Vorwurf zu, daß ich es verschuldet hätte; ich trug ohnehin genug an meinen Selbstvorwürfen. Einmal habe ich auf solche Weise eingegriffen in fremdes Leben, zum zweitenmal geschieht es nicht wieder, die Lehre war allzu hart.“

Zenaide zog plötzlich ihre Hände aus den seinigen und, sich mit einer jähen Bewegung abwendend, trat sie an das Fenster.

„Nun gut, dann müssen wir uns allein helfen.“

„Was haben Sie vor?“ fragte Sonneck unruhig.

„Nichts – da Sie uns verlassen!“ entgegnete sie herb; aber ihre Züge hatten einen Ausdruck verzweiflungsvoller Entschlossenheit. Lothar trat zu ihr.

„Zenaide, unternehmen Sie nichts Gewaltsames, ich bitte Sie. Ich gehe jetzt zu Ihrem Vater und werde versuchen, es von ihm zu erreichen, daß er dies letzte Wiedersehen gestattet – vielleicht gelingt es mir.“

Zenaide antwortete nicht und schien kaum auf die tröstenden Worte zu hören, mit denen er sich verabschiedete, aber als er gegangen war, schlang sie krampfhaft die Hände ineinander und es brach wie ein Verzweiflungsschrei aus ihrem Innern hervor: „Auch er verläßt mich! Jetzt habe ich niemand als Dich, Reinhart! Rette mich – für Dich!“

Herr von Osmar war gleichfalls in einer gereizten Stimmung, als Sonneck bei ihm eintrat; er sprang hastig von seinem Schreibtisch auf und ging ihm entgegen.

„Gut, daß Sie kommen,“ sagte er mit einer gewissen Unsicherheit. „Wir werden uns doch wohl über den peinlichen Vorfall von gestern abend aussprechen müssen.“

„Ich komme von Zenaide,“ entgegnete Sonneck mit kühler Zurückhaltung. „Sie sandte heute morgen zu mir und bat dringend um meinen Besuch, sonst wäre ich nicht gekommen.“

„Wollen Sie mir etwa Vorwürfe machen?“ fragte der Konsul, dem der Ton und die zurückweisende Haltung des Freundes nicht entgingen. „Ich hätte wohl eher das Recht dazu. Sie wußten jedenfalls um die Sache, warum gaben Sie mir nicht rechtzeitig einen Wink?“

„Sollte das wirklich notwendig gewesen sein? Ich dächte, die Neigung Ihrer Tochter wäre auch Ihnen kein Geheimnis geblieben. Sie mußten gleichfalls darum wissen.“

„Nun ja, aber ich habe das nicht für ernst, nicht für bedrohlich gehalten, und um Ihretwillen, Sonneck, wollte ich keinen Schritt thun, der Sie verletzen konnte. Nun ist mir doch nichts übrig geblieben, nachdem Ihr Schützling sich so weit vergessen hat.“

„Vergessen? Daß ich nicht wüßte!“

Osmar sah ihn befremdet an.

„Ich denke, Sie sind unterrichtet über die Sache. Ehrwald hat eine förmliche Werbung versucht.“

„Allerdings – nun?“

„Sie scheinen das ganz in Ordnung zu finden,“ rief der Konsul verletzt. „Ich muß gestehen, ich war nicht gefaßt auf eine derartige Keckheit des jungen Mannes, dessen einziges Verdienst es ist, Ihr Schützling zu sein. Mit welchem Rechte wagt er es, um meine Tochter zu werben?“

„Mit dem Rechte der Zukunft, die er sich jetzt erobern soll und auch, wenn er am Leben bleibt, erobern wird, dafür bürge ich Ihnen.“

Der ernste Nachdruck, mit dem die Worte gesprochen wurden, machte sichtlich Eindruck auf Herrn von Osmar, aber er zuckte die Achseln.

„Ein Wechsel auf die Zukunft ist immer etwas Ungewisses, im besten Falle wird er erst nach Jahren eingelöst. Ich würde meiner Tochter nie gestatten, sich durch ein übereiltes Versprechen zu binden und ihre ganze Jugend zu opfern; selbst wenn es sich um einen Bewerber aus unseren Kreisen handelte, und nun vollends hier. Wer und was ist denn dieser Ehrwald? Seine Herkunft und seine Vergangenheit sind dunkel. Sie selbst wissen nichts Näheres darüber. Sie brauchen auch nicht danach zu fragen, wenn Sie einen Gefährten für Ihren Zug wählen, wo es nur Kraft und Verwegenheit gilt, aber ich habe denn doch andere Rücksichten zu nehmen bei der Wahl meines Schwiegersohnes.“

Sonneck schwieg, er mußte diesen Standpunkt gelten lassen, und was er von Reinharts Vergangenheit wußte, ermöglichte ihm nicht, den Konsul zu entwaffnen. Endlich sagte er: „Ich bestreite Ihnen sicher nicht das Recht, die Hand Ihrer Tochter zu versagen, aber die Form, in der das hier geschah, war mehr als rücksichtslos. Man weist einen Freier ab, aber man beschimpft ihn nicht.“

„Ich wollte der Sache ein für allemal ein Ende machen,“ erklärte der Konsul, der denn doch die Gerechtigkeit dieses Vorwurfes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0138.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)