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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

den Eyke von Repkow, einen rechtsgelehrten Schöffen, mit der Zusammenstellung aller derzeit in Sachsen gültigen, geschriebenen und ungeschriebenen gesetzlichen Bestimmungen. Eyke von Repkow entsprach dem Ansinnen des Grafen von Falkenstein und schrieb unter Weglassung der vielgestaltigen Hof- und Stadtrechte zunächst in lateinischer Sprache das Sächsische Land- und Lehnrecht. Späterhin, 1230, abermals auf Veranlassung des Falkensteiners, übertrug er den lateinischen Grundtext seiner Arbeit in der Absicht, derselben eine größere Verbreitung zu sichern, ins Niederdeutsche und nannte sein Buch den „Sachsenspiegel“, unter welcher Bezeichnung dieses älteste deutsche Rechtshandbuch bis auf den heutigen Tag bekannt ist.

Der Burghof des Falkenstein.

Der Sachsenspiegel, obwohl, wie aus dem Gesagten ersichtlich ist, ursprünglich nicht viel anderes als die Privatarbeit eines Rechtsgelehrten, hat dennoch im Laufe der Zeiten das Ansehen eines offiziellen Gesetzbuches erlangt. Noch vor Ablauf des 13. Jahrhunderts hatte der Sachsenspiegel nicht nur in Mittel- und Süddeutschland, sondern auch in Norddeutschland Anerkennung gewonnen und auf die bedeutendsten Rechtsbücher des Mittelalters, vor allem auf den 1257 zu Augsburg verfaßten „Deutschenspiegel“ und den 1275 vollendeten „Schwabenspiegel“ und andere mehr, einen derartigen Einfluß geübt, daß diese Sammlungen nur wie nachgeborene Geschwister ihres älteren Bruders erscheinen.

Es ist kein Zufall gewesen, daß Eyke von Repkows Werk eine so schnelle und weite Verbreitung fand. Der Sachsenspiegel entsprach dem dringendsten Bedürfnisse der Zeit, welche sich nach einem klaren, übersichtlichen Rechte sehnte, und besaß zudem den höchsten Vorzug, der einem Gesetzbuche eignen kann, die Volkstümlichkeit. Wer den Sachsenspiegel las, mußte die Empfindung haben, daß sein Verfasser die Rechtsgedanken des Volkes gesammelt habe und daß er der Mund gewesen sei, durch welchen sich das deutsche Rechtsbewußtsein hatte hören lassen. In der That mag es wohl kaum ein zweites Gesetzbuch geben, aus welchem der deutsche Geist so herzinnig und urkräftig uns anweht, als dieses Buch des sächsischen Schöffen.

Eyke umgiebt den trockenen Buchstaben des Gesetzes sogar mit dem Schimmer der Poesie und läßt seinen Gesetzesparagraphen eine Vorrede von 280 Versen vorausgehen, in welcher er sich über den Zweck des Buches und seinen persönlichen Anteil daran ausläßt, um am Schlusse seinem vornehmen Auftraggeber die Ehre der intellektuellen Urheberschaft zuzuweisen. Sein Beginnen stellt er unter den Schutz Gottes, daß er ihm zur Ehre und der Welt zum Frommen sein Werk vollbringe, und bittet:

„Des heiligen geistes minne
Di sterke al mine sinne,
Daz ich recht unde unrecht der dütschen lute
nach gotis hulden muz bidute
unde nach der werlde vrumen.“

Inneres der Burgkapelle.

Mit jedem weiteren Blatte des Sachsenspiegels enthüllt sich uns immer sympathischer die liebenswürdige und kernige Gestalt seines Verfassers, der herzliche Bescheidenheit mit männlicher Festigkeit zu verbinden wußte und, gut kaiserlich gesonnen, keine Beschränkung des kaiserlichen Ansehens durch kirchliche Uebergriffe dulden wollte. Bei solcher Stellung des Mannes kann es uns dann freilich nicht wunder nehmen, daß der päpstliche Unwille, welcher über Friedrich II. den Bann aussprach, auch Eyke nicht erspart geblieben ist, wenigstens nicht seinem Werke. Im Jahre 1374 erklärte Gregor XI. vierzehn Artikel des Sachsenspiegels als ketzerisch. Trotzdem haben sich über 200 Handschriften des Sachsenspiegels erhalten, darunter vier kulturhistorisch außerordentlich wichtige Bilderhandschriften und vor allem das auf Burg Falkenstein geschriebene Originalmanuskript Eykes selbst.

Und wie ein günstiges Geschick die altehrwürdige Handschrift Eykes vor dem Untergange bewahrt hat, so hat auch ein gleich günstiger Stern über der Stätte gestanden, da sie verfaßt ward. Burg Falkenstein, obwohl mannigfach verändert, befindet sich doch heute noch in einem bewohnbaren Zustande.

Der Falkenstein, unweit von Ballenstedt am rechten Selkeufer auf steilem Bergkegel gelegen, gehört zu den ältesten Burganlagen Deutschlands überhaupt und dürfte, abgesehen von der Wartburg, die besterhaltene Burg Mitteldeutschlands aus frühmittelalterlicher Zeit sein. Am Ausgange des 11. Jahrhunderts, als Kaiser Heinrich IV. seine blutigen Kämpfe gegen die aufrührerischen Sachsen ausfocht, wurde der Falkenstein erbaut. Aus jener frühen Zeit stammen wohl nur wenige Teile der heutigen Burg, ihre Hauptmasse ist bestimmt um einige Jahrhunderte jünger und der Turm wurde, wie das an seiner Haube zu ersehen ist, in seiner jetzigen Gestalt am Schlusse des 16. Jahrhunderts erbaut.

Beim Gasthause „Zum Falken“, am Ausgange des Selkethales, biegt von der Landstraße der Weg ab, der steil ansteigend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0140.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2021)