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langsam das Antlitz dem jungen Manne zu, der finster vor sich niederblickte.

„Also – Du giebst mich auf?“ fragte sie leise.

„Ich nicht, Zenaide,“ entgegnete er dumpf. „Aber frage Dich selbst, ob irgend ein Verhältnis zwischen mir und Deinem Vater möglich ist.“

„Mein Vater?“ wiederholte sie mit aufquellender Bitterkeit. „Nun ja, er ist trennend zwischen uns getreten, aber ich habe dennoch den Weg zu Dir gefunden und ich zeigte Dir auch den Weg, der uns trotz alledem vereinigt hätte – Du aber willst ihn nicht gehen!“

„Du thust mir unrecht,“ fiel Reinhart heftig ein. „Ich wiederhole es Dir, ich darf Dein Opfer nicht annehmen, um Deinetwillen nicht.“

„Wenn Du mich liebtest, würdest Du es ebenso freudig annehmen, wie ich es Dir biete, da giebt es kein Abwägen und kein Bedenken. Ich war bereit, alles zu wagen, mich an Deine Brust zu werfen und offen vor aller Wett zu bekennen, daß ich Dir allein angehören will, Du bist es, der das zurückweist – also müssen wir wohl scheiden!“

Ehrwald stand wie im inneren Kampfe da. Es wurde ihm ja nicht leicht, das holde Wesen aufzugeben, das ihm eine so grenzenlose Hingebung zeigte. Noch einmal stand er am Scheidewege. Ein heißes Liebeswort aus vollem Herzen, ein Ausbreiten der Arme und das Mädchen war trotz alledem sein, die Augen, die so angstvoll, so flehend die seinigen suchten, schienen dies Wort von ihm zu fordern – aber es wurde nicht ausgesprochen, der Groll war stärker als die Liebe.

„Ja, wir müssen,“ sagte er endlich düster. „Das Schicksal trennt uns unerbittlich für immer.“

Zenaide richtete sich empor, noch zuckte das Weh um ihre Lippen, aber ihr tief verletzter Stolz bäumte sich jetzt auch empor, als der Mann, der sonst alles erstürmte und erzwang, sich so ruhig einem „Schicksal“ beugte, dem sie zu trotzen bereit war.

„So leb’ wohl!“ sagte sie tonlos.

Reinhart zog sie noch einmal in seine Arme und drückte seine Lippen auf ihre Stirn.

„Leb’ wohl, Zenaide! Vergiß, daß ich in Dein Leben getreten bin und Dir Schmerz gebracht habe – ich werde Dich nie vergessen!“

Sie antwortete nicht, sondern machte sich los aus seinen Armen und wandte sich zum Gehen. Vielleicht hoffte sie, er werde ihr nachstürzen, sie zurückhalten, aber er verharrte unbeweglich an seinem Platze und blickte ihr nach. Er sah, wie die weiße Gestalt über den Tempelhof schritt, wie sie in den breiten Mondesstreif trat, der den Säulengang erhellte, und zuletzt im Schatten dieser Säulen verschwand.

War es wirklich sein Glück, das ihm da entschwand? Hatte er es von sich gestoßen?

Reinhart war allein mit den starren Riesenbildern und wieder erhob sich jenes Raunen und Flüstern, das wie aus Geistermunde zu kommen schien, aber eine Antwort auf jene Frage gab es nicht! – –




Der Tag war soeben angebrochen, und an dem Ufer von Luksor war die ganze Bevölkerung des Ortes und der größte Teil der hier weilenden Fremden trotz der frühen Stunde versammelt. Es galt einen Anblick, den man nicht oft hatte, den Aufbruch eines Entdeckungszuges in das Innere von Afrika unter einem der berühmtesten Führer. Es war in der That eine ganze Karawane; einen Teil der Leute hatte man erst hier angeworben, die andern waren gestern aus Kairo gekommen, und was noch fehlte, das sollte an Ort und Stelle ergänzt werden, sobald man erst die bekannten Gegenden hinter sich ließ und in das eigentliche Innere eindrang.

Sonneck hatte beschlossen, den Weg, der noch einige Tagereisen nilaufwärts ging, zu Lande zu machen. Die Leute und die Reit- und Lasttiere, welche man mitnahm, waren schon über den Strom gesetzt und eben stieß das Boot ab, in dem sich der Führer mit seinem jungen Gefährten befand. Es war schon völlig hell, aber noch lag die Landschaft grau und farblos da, nur im Osten kündete ein roter Schein, der immer größer und dunkler wurde, den nahenden Sonnenaufgang.

Während Sonneck freundlich die Grüße erwiderte, die man vom Ufer aus den Scheidenden nachwinkte, stand Ehrwald aufrecht im Boote, den Blick gleichfalls nach dem Ufer zurückgewandt, aber sein Auge hing an dem weißen palastähnlichen Hause, das sich dort aus den Palmen erhob und in welchem noch alles in tiefem Schlafe zu liegen schien.

„Nun, Reinhart, willst Du nicht noch einmal grüßen?“ fragte Sonneck. „Professor Leutold und Doktor Bertram winken uns ja fortwährend.“

Reinhart schreckte wie aus einem Traume auf, rasch zog er sein Tuch hervor und erwiderte die Grüße, aber dann kehrten seine Augen wieder zu jenem Punkte zurück und glitten von da zu den Tempelruinen hinüber, die jetzt, wo das Boot die Mitte des Stromes erreichte, sichtbar wurden. Auch sie lagen öde und grau da in dem fahlen Morgenlichte, so ganz anders als in dem träumerischen verklärenden Mondesglanz, der sie gestern abend erfüllte.

Sonneck mochte wohl ahnen, was den jungen Mann so ernst und schweigsam machte bei diesem doch so lang und heiß ersehnten Aufbruch, obwohl ihm Reinhart nichts von der letzten Zusammenkunft mitgeteilt hatte. Aber er berührte die Sache mit keinem Worte. Sie war zu Ende, mußte zu Ende sein, wozu sie wieder berühren?

Das Morgenrot leuchtete hell und heller auf, schon stand der ganze Osten im Purpurscheine und in seinem Abglanz gewann auch die Landschaft Licht und Farbe, es floß wie ein Hauch von Glut und Leben darüber hin.

Jetzt landete das Boot und die beiden Herren sprangen an das Ufer, von dem lauten Zuruf ihrer Leute begrüßt. Es war ein malerisches, bewegtes Bild, all diese schwarzen und braunen Gestalten der Eingeborenen, meist prächtige Erscheinungen, in allen möglichen Trachten, die sich um den Führer drängten. Ein riesiger Neger hielt zwei Pferde am Zügel, die für die beiden Europäer bestimmt waren, kraftvolle, feurige Tiere, ein Geschenk des Herrn von Osmar an seinen Freund. Sonneck stand wie ein Feldherr inmitten seiner Truppe, befehlend und ordnend, Reinhart war bald hier bald dort. Es kostete immerhin einige Mühe, Ordnung in dem Gewühl zu schaffen.

Endlich war alles bereit, der Führer setzte sich an die Spitze des Zuges und nun schwang sich auch sein junger Begleiter in den Sattel und ritt an seine Seite.

Der ganze Himmel loderte jetzt in blutroter Pracht, die Sonne sandte ihren Flammengruß voran und die Erde empfing ihn in leuchtenden Morgengluten. Die Höhenzüge am Ufer des Nils standen im roten Feuerschein, während die Wogen des alten heiligen Stromes sich purpurn färbten, und wie auf flammendem Hintergrunde erhob sich drüben der Tempel mit seinen Säulen und seinen Riesenbildern. Dort über der fernen Wüste schoß es jetzt empor wie feurige Lohe und mitten darin zuckte ein Blitz auf – der erste Sonnenstrahl – dann stieg es langsam auf und schwebte immer höher, das leuchtende Gestirn, das die Alten als einen Gott verehrten.

„Nun, Reinhart, bist Du jetzt endlich zufrieden?“ fragte Sonneck, sich zu seinem jungen Gefährten wendend. „Jetzt sind wir auf dem Wege, nun geht es hinein in die ersehnte Ferne.“

Reinhart hatte sich hoch im Sattel aufgerichtet, kein Blick flog mehr zurück nach den Stätten, die man soeben verlassen hatte, er schaute nur vorwärts und sein ganzes Wesen schien wieder aufzuflammen in stürmischer Lebensfreude, in glühendem Freiheitsdurst, als er rief:

„Ja, es geht vorwärts – der Sonne entgegen! Schelten Sie nicht, Herr Sonneck, aber ich kann jetzt nicht im Schritt reiten, nur auf eine Viertelstunde lassen Sie mich voranjagen, ich muß hinaus!“

Sonneck schüttelte lächelnd das Haupt.

„Nun, so reite, Du Ungestüm! Wirst endlich auch wohl müde werden. Jage voran, wir holen Dich schon noch ein.“

Mit einem Jubelruf ließ Reinhart seinem Roß die Zügel und es stob dahin wie vom Winde getragen. Der Sand wirbelte auf unter seinen Hufen und der Reiter jagte hinein in den flammenden, leuchtenden Morgen, hinein in das Wunderreich der Fata Morgana!

(Fortsetzung folgt.)




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