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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

den Brief, dessen Lektüre sie mir so freundlich empfahl, oben darauf und ging eilig in das Haus zurück.

Nein, es fiel mir nicht ein, „ein bißchen geschwind mit den Bohnen zu machen“ – durchaus nicht. Ich sank ganz vernichtet auf die Bank und schlug die Hände vor das Gesicht.

Ich weinte nicht, aber mir war ganz trostlos ums Herz.

Nachdem Franz dies alles mit angehört hatte, konnte er mich nicht mehr lieb haben, das wußte ich. Das, was ihm an mir gefallen hatte, mußte ihm nun erscheinen wie eine Komödie, die ich ihm vorgespielt hatte – es war aus zwischen uns!

Ein Windhauch trieb mir das unglückliche Briefblatt gerade auf den Schoß. Mechanisch griff ich danach und las es. Ich glaube nicht, daß ich verstand, was es enthielt, meine Augen glitten nur darüber hin, aber ich habe das Blatt aufbewahrt und weiß deshalb, was darauf stand. Es war nicht einmal so arg, wie Mutter gemeint hatte, sie mußte wohl hastig gelesen haben; aber schmeichelhaft war der Brief allerdings nicht gerade.

„Sehr geehrtes Fräulein! Leider müssen wir das beifolgende Manuskript unbenutzt wieder in Ihre Hände zurücklegen, da es in den Rahmen unseres Blattes durchaus nicht paßt. Sie bitten uns um unser Urteil über die Arbeit, und obschon wir ein solches infolge unangenehmer Erfahrungen nur sehr ungern abgeben, wollen wir doch diesmal eine Ausnahme machen. Ihnen ein Talent zur Schriftstellerei ganz absprechen zu wollen, wäre zu weit gegangen, doch fehlt es Ihnen bis jetzt noch durchaus an Lebenserfahrung, Korrektheit des Stils und der Fähigkeit, die Personen aus sich selbst heraus handeln zu lassen, ganz abgesehen von derjenigen, eine so verwickelte Handlung übersichtlich anzuordnen. Jedoch Sie sind offenbar noch sehr jung. Wenn Sie nach zehn oder zwölf Jahren, nachdem Sie das Leben kennengelernt und recht viel Gutes mit Verstand gelesen haben, uns wieder einmal eine kleine Arbeit, jedoch von sehr viel geringerem Umfange als die vorliegende, zur Prüfung einsenden wollen, so ist die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, daß sich dieselbe dann als druckreif erweist. Inzwischen zeichnen wir – etc.“

Ich las darüber hin, ohne es zu verstehen, aber meine Thränen lösten sich nun und fielen auf das Blatt, die Schrift befleckend und verwischend. Nicht um den so grausam vernünftigen Brief weinte ich; der war mir in dem Augenblick ganz gleichgültig, nein, nur um das eine Wort, das auf des Doktors Lippen geschwebt hatte und das er nun nie aussprechen würde, das wußte ich. Ich war ja nicht das, was er sich unter mir vorgestellt hatte – durchaus nicht!

Wo war er nur? Ob er so fortgegangen war, selbst ohne Gruß, nachdem Mutter sich entfernt hatte? Nein – da kam er langsam den schmalen Steig entlang, der durch die Bohnen führte, auf mich zu. Nachher erst, viel später, fiel es mir ein, wie blaß er ausgesehen hatte. Er zog den Hut.

„Ich habe um Entschuldigung zu bitten, Fräulein Peters, daß ich hier wider Willen den Lauscher spielen mußte“, sagte er, an mir vorbeisehend, „auch wegen meines unbefugten Urteils vorhin über die schriftstellernden Damen. Es konnte mir unmöglich einfallen, daß ich Sie damit träfe.“ Es kam sonderbar und unnatürlich heraus, gar nicht so, wie Franz sonst zu sprechen pflegte.

Ich schlug einen Augenblick die Augen zu ihm auf. „Bitte, bitte,“ sagte ich leise, mit zitternden Lippen, „sprechen Sie nicht so zu mir, – sprechen Sie jetzt gar nicht zu mir, – gehen Sie weg. – Ich – ich wollte Sie nicht belügen! Ich hätte Ihnen auch von selbst alles gesagt, – daß ich ganz, ganz anders bin als Sie sich eingebildet haben, – daß ich immer nur daran gedacht habe, berühmt zu werden, – nun haben Sie es auf diese Weise – o bitte, bitte, gehen Sie weg!“

Sah er denn meinen Jammer nicht? Verstand er nicht, wie ich es meinte? Daß mein „Gehen Sie weg“ im tiefsten Herzensgrund doch nur hieß „Bleibe! bleibe! bleibe!“ – Es schien nicht so. Wie schwer von Begriff doch Männer manchmal sind!

„Wenn Sie das so dringend wünschen, kann ich ja nicht anders als Ihrem Wunsche nachkommen,“ sagte er steif. „Sie sind jetzt wohl auch zu sehr hingenommen von Ihren eigenen Angelegenheiten, um den meinigen Aufmerksamkeit schenken zu mögen. Es scheint, daß wir beide eine Enttäuschung erfahren haben. So wünsche ich Ihnen denn, Fräulein Peters, daß Sie den so schmerzlich ersehnten Ruhm einst erlangen. Mögen Sie dann nie finden, daß er zu teuer erkauft ist!“

Ich denke mir, daß er nun ging, wenigstens war er, als ich eine Weile später die Hände vom Gesicht nahm, fort und ich saß allein da mit meinem Manuskript, meinen Bohnen und meinen Thränen.

Nun war mein Traum ausgeträumt, mein schöner, holder Traum – oder vielmehr beide Träume, der vom Ruhm und der von der Liebe! Aber mir lag nur an dem einen. Ich wußte nun, wenn ich auch die größte Schriftstellerin der Welt hätte werden können, was ich ja ohnehin keineswegs konnte, ich würde solches Glück freudig hingegeben haben für meines Doktors Liebe! Mein Talent mußte wirklich nicht gerade überwältigend groß sein, denn es pochte gar nicht mehr auf sein Recht, sondern verkroch sich wie ein gescholtenes Kind in einen Winkel. Mochte es da bleiben – mir war es nur recht! Ach, wenn doch nur Franz geblieben wäre, mich nach dem allen auch nur gefragt hätte, vielleicht wäre doch noch alles gut geworden! Aber er war fort, ich selbst hatte es so gewollt, und er dachte nun in Zukunft immer an mich als an ein unwahres, eingebildetes Ding, das sich ihm aus Koketterie oder sonst irgend einem gräßlichen Grunde ganz anders gezeigt hatte als es in Wirklichkeit war. Das verzeiht ein so ehrlicher Mensch nicht, das fühlte ich. Und doch hatte ich nie heucheln wollen; ich mochte sonst sein wie ich wollte, eine Lügnerin war ich nie gewesen! Aber ich empfand mit schmerzlicher Bitterkeit, daß ich ihm so erscheinen mußte.

Den unglücklichen Roman, der mir so teuer zu stehen gekommen war, verbrannte ich am Nachmittage, als niemand in der Küche war, auf dem Herd bis auf das letzte Blatt. Vater klagte über den „unausstehlichen Brandgeruch“ im Hause und Male über die viele Papierasche, die sie nachher vorfand, aber Mutter sagte nichts, und mir hatte es förmlich wohlgethan, die Blätter in Brand und Rauch aufgehen zu sehen. Daß ich mein Manuskript noch irgend einer anderen Zeitschrift hätte anbieten können, kam mir gar nicht in den Sinn; daß ich überhaupt nach den heutigen Erfahrungen jemals wieder darauf verfallen könnte, berühmt werden zu wollen, schien mir undenkbar. Der Weg zu den Ruhmesrosen ging gar zu sehr durch Dornen. Von allem, was mein unglückliches Paket enthalten hatte, hob ich nur den Brief des klugen Redakteurs zum schmerzlichen Andenken an diesen verhängnisvollen Tag auf.

Vierzehn Tage lang wunderte sich Vater, daß ihm „sein Doktor“ auf einmal so abhanden gekommen sei – denn Franz mied unser Haus jetzt ebenso beharrlich, wie er es früher aufgesucht hatte. Dann fragte er ihn einmal im Klub nach dem Grunde seines Ausbleibens, erhielt die Antwort, es mangle dem Doktor an Zeit, und beruhigte sich bald über die Sache.

Wohl vier Wochen schüttelten alle Bekannten den Kopf darüber, daß der sonst allezeit fröhliche junge Arzt auf einmal so ernst und still geworden war und so viel zu Hause arbeiten mußte, so daß er fast jede Einladung ablehnte. Da er aber blieb, wie er so plötzlich geworden war, nahm man an, daß nichts dagegen zu machen und auch nichts darüber zu erfahren sei, beschloß großmütig, ihn so zu verbrauchen, und ging zur Tagesordnung über.

Viel länger als ein Vierteljahr staunte meine gesamte Familie mit Mutter an der Spitze über den plötzlichen Wechsel, der mit mir vorgegangen war. So wie jetzt war ich noch nie gewesen! Mir war so viel auf einmal weggenommen, daß ich eine große Leere in mir und um mich fühlte und krampfhaft nach dem Ersten und glücklicherweise auch Besten griff, um sie auszufüllen: zur Pflicht. Die Eltern hatten nicht mehr über Nachlässigkeit, die Geschwister nicht mehr über Unfreundlichkeit zu klagen. Wenn ich nicht berühmt und nicht geliebt sein konnte, so wollte ich wenigstens gut und tüchtig werden, so wie „er“ gemeint hatte, daß ich es schon wäre.

Zuerst sah Mutter die Geschichte mit einigem Argwohn an. Mein Pflichteifer war zu plötzlich erwacht, als daß es ihr ganz geheuer damit hätte scheinen können. Aber der Herbst kam und ich hielt mich – ein wenig still und blaß zwar, aber doch ganz tapfer – auch weiter auf dem eingeschlagenen Wege. Der Winter war da, und ich fing an, Mutter nicht bloß dem Namen nach eine Stütze zu werden. Es wurde Frühling, und ich war mit wirklichem Interesse, wenn auch natürlich immer mit gebrochenem Herzen, beim Reinmachen und wurde von Mutter Tante Jule gegenüber mit ehrlichem Lobe und mütterlichem Stolz für „ihre rechte Hand“ erklärt. Es freute mich natürlich. Ich freute mich jetzt überhaupt viel mehr als früher, wenn Mutter mich einmal lobte; aber so recht fröhlich wurde ich bei alledem doch nicht. Es konnte jetzt sogar geschehen, daß Mutter gelegentlich sagte: „Wenn Du mal heiraten solltest, Lene, mußt Du es Dir so und so einrichten.“ Dann schüttelte ich leise den Kopf. Ich wußte nur Einen, dessen

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