Seite:Die Gartenlaube (1896) 0179.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

sei ein albernes Märchen, daß jemals Steine vom Himmel gefallen wären. Es traf sich indessen, daß gerade in Frankreich sich der nächste beobachtete Meteorsteinfall ereignete, und zwar am 13. September 1768 zu Lucé im Sarthe-Departement. Dort erschien gegen Abend plötzlich eine schwarze Wolke, es erfolgte ein Kanonenschlag und unter Lärm, „wie das Brüllen eines Ochsen“, fiel ein 7½ Pfund schwerer Stein auf den Rasen. Als man ihn aufhob, war er so heiß, daß er nicht berührt werden konnte. Er zeigte eine matte schwarze Kruste, unter derselben aschgraue Farbe und zahlreiche metallische Punkte von Eisen. Als über das Ereignis nach Paris berichtet worden war, sandte die Akademie drei ihrer Mitglieder ab, die an Ort und Stelle die Sache untersuchten und zu dem Ergebnisse kamen, es sei nicht wahr, daß der Stein vom Himmel gefallen wäre, sondern er habe unter dem Rasen gelegen, sei vom Blitze getroffen, angeschmolzen und herausgeschleudert worden. Damit war die Sache erledigt. Allein 22 Jahre später, am 24. Juli 1790, wurde, wiederum in Frankreich, zu Juillac und Barbotan eine Feuerkugel gesehen, welche mit furchtbarem Donner explodierte und zahlreiche Steine zur Erde schleuderte. Der Bürgermeister nahm über den Vorfall ein Protokoll auf und sandte dasselbe nach Paris. Dort wußte man indessen besser als die Augenzeugen, was an der Sache war, und erklärte den Vorgang für unmöglich. Kurz darauf begann indessen ein einfacher deutscher Professor, Florenz Friedrich Chladni, der Sache vorurteilsfrei nachzuforschen, indem er aus der großen Göttinger Bibliothek alle Nachrichten sammelte, welche über Feuermeteore und Meteorite sich vorfanden. Dadurch kam er zu der Ueberzeugung, daß es sich nicht um ein Hirngespinst handle, sondern daß die Sache ihre Richtigkeit habe, und 1794 sprach er in einer Schrift seine Ueberzeugung aus, daß thatsächlich von Zeit zu Zeit Steine vom Himmel gefallen seien, ja, daß eine große 1600 Pfund schwere Eisenmasse, die auf dem Gipfel eines Berges in Sibirien gefunden worden war, nichts anders als ein früher vom Himmel gefallener Meteorit sei.

Chladnis Behauptung erregte fast überall Widerspruch, ja ein Fanatiker erklärte den harmlosen deutschen Gelehrten deshalb öffentlich für einen Feind der moralischen Weltordnung. Am heftigsten war der Widerspruch von seiten der Pariser Gelehrten, und als kurz darauf zu Siena in Italien ein Steinregen stattfand, den man absolut nicht leugnen konnte, wurde in allem Ernste behauptet, die Steine seien vom Vesuv ausgeworfen worden, obgleich dieser Vulkan 150 Meilen von Siena entfernt ist. Die Frage war indessen jetzt auf die Tagesordnung gesetzt und wurde von verschiedenen Seiten behandelt, wobei auch die Ansicht auftauchte, jene Meteorite könnten von den Vulkanen des Mondes ausgeworfen sein. Da ereignete sich am 26. April 1803 abermals ein Meteoritenfall, und zwar wiederum in Frankreich, nahe bei dem Orte l’Aigle im Orne-Departement. Es fielen 2000 bis 3000 meist kleine Steine, die sämtlich heiß, jedoch nicht rotglühend waren, als sie den Boden erreichten. Das außerordentliche Aufsehen, welches dieses Ereignis in ganz Frankreich erregte, veranlaßte die Pariser Akademie, eines ihrer Mitglieder an Ort und Stelle zu senden, um die Sache gründlich zu prüfen. Als Resultat ergab sich, daß dem Steinfalle das Auftreten einer geschweiften Feuerkugel vorausgegangen sei, deren Zerplatzen in einem Umkreise von 30 Meilen vernommen wurde, worauf zahlreiche Steine aus der Luft fielen. Die Thatsache des Steinfalls war also endlich in einer auch für die Akademie zu Paris genügend erscheinenden Weise dokumentiert, man hatte jetzt die Steine in der Hand und wußte, daß sie aus den Wolken herabgefallen waren; allein nun entstand die Frage: wie sind sie aus dem Himmel gekommen? Chladni hatte behauptet, die Meteoriten stammten aus dem Weltraum, woselbst sie sich in unbekannten Bahnen bewegten, bis sie in die Nähe der Erde kamen. Von dieser angezogen, stürzen sie herab, wobei durch den Widerstand der Luft Erhitzung bis zur Glut und oberflächliche Schmelzung sowie eine Zertrümmerung des Meteoriten stattfindet. Im großen und ganzen hat sich diese Erklärung in allen folgenden Erscheinungen und Untersuchungen von Meteoriten bewahrheitet. Die Zahl der Feuerkugeln, welche alljährlich erscheinen, ist nicht gering, aber selbst solche, welche mit ungeheurem Donner zu explodieren scheinen, liefern nur in sehr wenigen Fällen Meteoriten, Stein- oder Eisenmassen. Von dem großen Meteor in Madrid sind nur wenige und verhältnismäßig kleine Bruchstücke gefunden worden. Der Grund mag zum Teil wohl darin liegen, daß das Auffinden solcher Bruchstücke sehr vom Zufall abhängt, außerdem ist aber auch zu bemerken, daß der furchtbare Donner eines Feuermeteors nicht immer von einer Explosion, einer Zertrümmerung desselben verursacht wird. Eine Kanonenkugel, die mit 600 Meter Geschwindigkeit die Luft durchschneidet, erzeugt ein pfeifendes Geräusch, würde sie dagegen mit einer Geschwindigkeit von 60 000 Metern in der Sekunde fliegen, so würde sie donnern und glühend werden, d. h. Blitze auszusenden scheinen. Die Meteoriten besitzen solche Anfangsgeschwindigkeiten und durch Hemmung derselben in der Luft müssen sie sich bis auf mehrere tausend Grad erhitzen, wodurch Teilchen derselben verdampft werden, die den Rauch sowie den Schweif des Meteors bilden.

Was die Herkunft der Meteoriten anbelangt, so ist nach den neuesten Untersuchungen nicht mehr daran zu zweifeln, daß diese Körper aus dem fernen Weltraum stammen, also unserm Sonnensystem nicht als Glieder angehört haben. Man darf aber nicht wähnen, sie trieben sich im Weltraum in Gestalt von Feuerkugeln umher, sondern dort sind sie nur als dunkle, durch und durch erkaltete Massen denkbar, die erst in unserer Atmosphäre glühend werden und aufleuchten. Wenn aber die Meteoriten aus fernen Fixsternsystemen zu uns gelangen, so müssen wir schließen, daß sie sich Millionen Jahre lang auf ihrer Reise befunden haben, ehe sie endlich ihre dauernde Ruhestätte auf der Erde fanden. Sie bringen uns jetzt Kunde und Proben von Gesteinen und Metallen, welche sich in den fernsten Räumen des Universums befinden, und gewähren damit ein Interesse, welches kein anderer Naturkörper in gleicher Weise besitzt. In der That ist es höchst merkwürdig, in den Meteoriten Gesteinsarten und Mineralien zu begegnen, welche bei uns auf der Erde vorkommen: Quarz, Olivin, Augit, ferner nickelhaltigem Eisen, Magnetkies, Chromeisenerz u. s. w. Mit Hilfe des Spektroskops hat man in einigen Eisenmeteoriten Kobalt, Kupfer, Calcium, Natrium, Kalium und andere einfache Substanzen gefunden, auch sind einzelne Meteoriten reich an Gasen, vor allem an Wasserstoffgas. Zuletzt hat man in einigen Meteorsteinen, aber auch in Meteoreisen, kleine schwarze Diamanten entdeckt, sowie Kohle, welche auf das frühere Vorhandensein einer organischen Substanz hindeutet. Letztere Wahrnehmung ist von außerordentlicher Wichtigkeit, denn bis jetzt kennen wir organische Gebilde, also Lebewesen, direkt nur auf unserer Erde und der Nachweis verkohlter Reste derselben in Körpern, die aus dem fernsten Weltraum stammen, ist etwas Unerwartetes. Im ganzen kennt man jetzt 4 oder 5 Meteoriten, die kohlehaltig sind. Am merkwürdigsten ist derjenige, welcher am 14. Mai 1864 in der Nähe des Dorfes Orgueil in Frankreich niederfiel. Von diesem Meteoriten hat man ungefähr 20 Stücke gefunden, die meisten davon sind mit einer schwarzen Schmelzrinde umgeben, welche andeutet, daß der Meteorit ursprünglich, also vor seiner Explosion, schon aus mehreren Stücken bestand, die gemeinsam in unsere Atmosphäre traten. Die chemische Untersuchung ergab mit zweifelloser Sicherheit, daß in diesen Meteoriten Wasser und eine organische Materie, eine Art Huminsubstanz, enthalten war. Es ist schwer begreiflich, wie solche organische Materie auf einem Meteoriten entstehen konnte. Wir wissen, daß Organismen zu ihrer Existenz Wasser, eine Atmosphäre aus Sauerstoff, Kohlensäure und Stickstoff, sowie eine Temperatur zwischen 0° und 100° Wärme bedürfen. Diese Bedingungen sind aber auf den Meteoriten, wie wir diese kennen, nicht erfüllt, und wenn trotzdem auf diesen kleinen Steinen Spuren von organisierter Materie gefunden werden, so folgt daraus, daß diese Meteorsteine Trümmer eines großen Weltkörpers sein müssen. Wir werden auf diesem Wege zu der Ansicht geleitet, die Meteoriten als die Fragmente eines Planeten zu betrachten, der durch irgend eine Katastrophe vor unzählbaren Jahrtausenden zerschmettert worden ist, wobei seine einzelnen Stücke in den Weltraum hinausgeschleudert wurden. Unserem Sonnensystem aber kann dieser Planet nicht angehört haben, sondern er war Zubehör des fernen Fixsternreiches. Vielleicht haben auch viele Vorgänge dieser Art stattgefunden, ja, man muß dieses eigentlich annehmen, weil sonst es unbegreiflich wäre, daß trotz der Unermeßlichkeit des Weltraums so zahlreiche Meteoriten auf die Erde stürzen. So ist denn auch der Meteorit, welcher jüngst Madrid in Schrecken versetzt hat, ein Abkömmling aus fernen Himmelsräumen, mit einer Katastrophe hat er vor uralter Zeit seine Laufbahn begonnen und mit einer Explosion sie jetzt für immer geendigt.




Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0179.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)