Seite:Die Gartenlaube (1896) 0190.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

den vorüberfahrenden Fremdling die Hand aus und rufen: „Einen Soldo den Nachkommen Masaniellos!“

Die Weizenwäscherei an der Terrasse vor dem Hotel de’ Cappuccini.

Das Volk von heute, mit Ausnahme weniger Begüterter, ist furchtbar arm und meist häßlich, weil es durch überschwere Arbeit in den altväterischen Papiermühlen der Valle de’ Molini, durch Lasttragen, dürftige Kost und Entbehrungen jeder Art in abscheulichen Wohnstätten niedergedrückt wird.

Auch das Schiffer- und Fischervolk ist schlimm dran. Nur wenige Segel gleiten über das Meer. Der weite schöne Golf ist vereinsamt. Alles Leben mit Handel und Wandel, mit Dampf, Segel und Eisenbahnen fließt zusammen auf der andern Seite der Halbinsel, wo Castellamare, Torre Annunziata und Torre del Greco mit Neapel blühen. Hier sind es arme Fischer, die ihre Netze werfen, nur selten verirrt ein Dampfer sich in diese Gewässer. Die kleinen goldbraunen Segel da drüben, sie erscheinen als verblichene Fetzen des einst so glänzenden Purpurmantels, den diese Küste im Mittelalter mit so viel Stolz getragen.

Aber dem armen Volke der Küste ist nicht einmal die Erinnerung an jene Glorie geblieben, gedanken- und wunschlos lebt es seine Tage. Was es verdient, ist zu wenig, um ein einigermaßen menschliches Dasein zu führen, doch noch zu viel, um geradezu Hungers zu sterben; dem kommt allerdings die gänzliche Bedürfnislosigkeit der südlichen Arbeiterklasse entgegen.

Mit dem, was so ein armes braunes Mädchen, das harte Lasten Holz auf dem gebeugten Nacken zu Thal schleppt, was so eine arme dürre Alte, die durch den Staub der Landstraße ungeheure Säcke gebrannten Kalkes keuchend dahinbuckelt, mit dem, was ein Arbeiter in den Maccaronifabriken verdient, würde in Deutschland nicht der allergeringste Handlanger zufrieden sein.

Aber auch die Herren klagen schwer, und gar manches kleine Nudelfabrikchen hat seine Arbeit einstellen müssen. Die Orangen und Citronen blühen noch immer, golden glühen noch immer die Früchte im dunklen Laub, aber sie lassen sich jetzt nur schwer noch in Gold umsetzen. Und wenn heute der Sarazene den tiefen Frieden dieser am Berge prangenden Gärten nicht mehr stört, so ist an seine Stelle der viel unbarmherzigere Steuerbote der jüngsten Regierung getreten. Und wenn man in dem maccaronisierten Neapel drüben die „Maccheroni della costiera“, die den guten Ruf der Stadt erhalten müssen, noch immer für die feinsten der Welt erklärt, so können ihre weltfernen Erzeuger doch nicht die Konkurrenz mit den Eisenbahnstädten, wo man die Nudeln aus Maschinen herstellt, aushalten.

Die Agrumikultur, d. h. der Anbau und Vertrieb der Südfrüchte, ist neben Maccaroni- und Papierfabrikation der bedeutendste Industriezweig der Küste. Jene Kultur ist uralt, denn schon im Jahre 1002 fanden die Normannen hier die Pomeranze vor, arancio forte oder bittere Orange vom Volke genannt. 1279 bezog Karl von Anjou die für seine Gärten in Manfredonia, am Fuße des Monte Gargano, bestimmten Orangenbäume von den Nachbarorten Amalfis Majori und Minori. Zur Zeit der Kreuzzüge brachten Sicilianer und Genueser auch die Citrone oder Limone ins Land und von Salerno bis Amalfi ward sie fleißig angebaut.

Ganz zuletzt, anfangs des 15. Jahrhunderts, erhielt Europa die süße, eigentliche Orange, die in Süditalien fleißigste Pflege fand. Ueber 150 Spielarten haben sich aus den einfachen Einwanderern herausbilden lassen, alle, süße, saure und bittere, heißen Agrumi (Sauerfrüchte) und die Gärten, wo man sie zieht, Agrumeti.

Die Arbeit in diesen Agrumeti ist keine leichte und der Boden ist dem Bauer keineswegs so gnädig, als man meinen sollte. Ehe die Pflanze lohnt, muß mancher Sommer ins Land gehen.

Die aus Samen gezogenen Bäumchen bleiben drei Jahr, immer fleißig begossen, in der Schule, um dann veredelt zu werden. Acht bis zehn Jahre alt, tragen sie die ersten Früchte, wenn sie nicht vorher hundertweise einer einzigen Frostnacht erlegen sind oder den die Agrumeti heimsuchenden Krankheiten, von denen die sogenannte Gummikrankheit Hunderttausende von Stämmen in Italien vernichtet hat. Zu große Nässe nämlich erzeugt die „Morphaea“, diese geht in die „Melasse“ über, bei der ein schleimig zuckeriger Saft der Pflanze entfließt und diese gänzlich entkräftet. Unzählig auch sind die Parasiten und Baumläuse, die die Schalen und Früchte überziehen und ihnen jedes Aroma nehmen.

So ein Orangenbaum im offenen Land wird überhaupt im Mittel nur 25 bis 30 Jahre alt und das nur, wenn er treu und fleißig umhackt, beschnitten, gewässert und gedüngt wird. Er kann dann in seinen besten Jahren bis 5000 Früchte im Jahr geben, ein Citronenbaum bis 8000. Doch ist der Agrumibauer zufrieden, wenn der Baum in seinem Orangengarten im Durchschnitt 400 bis 600 Früchte im Jahr giebt und sein Limonenbaum 700 bis 1000 Citronen reift. Das in Agrumeti angelegte Kapital verzinst sich in guten Jahren mit 4%, in den letzten Jahren war es bedeutend weniger.

Mit dem Transport der Früchte, ihrer Sortierung und Verpackung sind viele fleißige Menschenhände beschäftigt. Es ist ein duftiges Geschäft, die goldenen Früchte zu pflücken, in die Magazine zu tragen und hier die Hunderttausende zu sortieren. Wer dies aber besorgt, meist junge Mädchen und Frauen, hat den ganzen Tag an Kopfweh zu leiden, denn auch unter Orangenbäumen wandelt man

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0190.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)