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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

begleiten werde. Dieser schritt voran und machte bald vor einer schmalen Thüre Halt, die in der Mauer angebracht war und Eingang zu dem Blumengarten des Harems gewährte. Dort verschwand der Diener, die Pforte hinter sich schließend; aber nach wenigen Minuten wurde diese ein wenig geöffnet, und der Fischer erblickte eine junge weiße, verschleierte Sklavin, deren dunkle Augen sich freundlich auf ihn richteten.

„Wir bemerkten Dich soeben, als Du Dein Netz aufzogst,“ sagte die Sklavin; „es schien viele Fische zu enthalten. Würdest Du uns einige davon überlassen?“ Und damit reichte sie dem Jüngling einen kleinen Korb aus feinem Geflecht.

„Gern thue ich das,“ antwortete der Fischer. Er wählte aus seinem Vorrat die besten und schönsten Fische, füllte das Körbchen damit und reichte es der Dienerin zurück.

„Hab’ Dank!“ sagte diese. „Und hier … nimm Deinen wohlverdienten Lohn!“ Sie streckte die Hand aus und wollte dem jungen Fischer ein Goldstück geben. Der aber machte eine artig abwehrende Bewegung und sagte: „Es freut mich, Euch gefällig sein zu können; aber ich treibe keinen Handel und kann deshalb die Gabe, die Ihr mir anbietet, nicht nehmen.“

„So bist Du kein Fischer?“

„Ich bin ein Freund vom Fischfang und habe mich fleißig darin geübt, aber ich betreibe ihn nicht als Gewerbe.“

Die Sklavin dachte einige Minuten nach, dann wandte sie sich wieder zu dem Jüngling. „Es wäre unschicklich, Dir einen Lohn aufdringen zu wollen; aber Du mußt uns ermöglichen, unsere Erkenntlichkeit auszudrücken für das Geschenk, das Du uns so artig machst und das wir annehmen. Darum bitte ich Dich, sei morgen nachmittag, eine Stunde vor Sonnenuntergang, an dieser selben Stelle. Dann werden wir uns wiedersehen. Und wenn Du uns einige von Deinen schönen Fischen mitbringen willst, so sollen sie mit Dank angenommen werden … Willst Du mir Deinen Namen nennen?“

„Ich heiße Murad.“

Am nächsten Tage war der junge Fischer zur bestimmten Stunde an der kleinen Thür des Blumengartens. Nachdem er sich dem Schwarzen, der dort Wache hielt, gezeigt hatte, ging dieser davon, um bald darauf in Begleitung der Sklavin zurückzukehren. Sie begrüßte Murad wie einen guten Bekannten und nahm mit freundlichem Dank einen kleinen Korb entgegen, der zwischen frischem Gras und grünen Blättern eine Auswahl schöner Fische enthielt. Dann übergab sie Murad eine kleine Schachtel aus Silber. „Dies zum Dank für Deine Gefälligkeit,“ sagte sie dabei. „Hoffentlich ist es Dir nicht unbequem,“ fügte sie hinzu, „uns auch in Zukunft mit Deinen Fischen zu versorgen. Uns würdest Du damit eine Freude machen. Ich werde Dich morgen und während der folgenden Tage zu dieser Stunde hier erwarten.“

Die silberne Schachtel enthielt einen kostbaren Ring, dessen Wert Murad jedoch nicht zu schätzen wußte. Da er zu klein für seine Hand war, so steckte er ihn in seinen Gürtel.

Die täglichen Zusammenkünfte zwischen dem Fischer und der Sklavin dauerten seit einer Woche. Während dieser Zeit hatte Murad noch zwei andere Geschenke erhalten: eine Pfeifenspitze aus Bernstein mit Edelsteinen verziert und eine seidene Schärpe. Murad, der weder habgierig noch eitel war, beachtete diese Sachen nur wenig. – „Ihr seid zu gütig,“ sagte er der Sklavin beim Empfang des dritten Geschenkes. „Eure Freigebigkeit macht mich verlegen. Ich bitte, setzt derselben Schranken! Sie vermindert allzusehr den schon so geringen Wert der Gefälligkeit, die ich Euch erweise; diese gleicht nun beinahe einem vorteilhaften Geschäft, das ich mache; doch möchte ich, daß mein einziger Verdienst wäre, Euch Freude zu bereiten.“

Die Sklavin war erstaunt, den jungen Fischer so gewandt sprechen zu hören. „Ich wünschte,“ sagte sie, „daß meine Freundin Dich hörte. Vielleicht wird sie mich nächstens begleiten.“

Es war am Morgen nach dieser Unterhaltung, als Ali Bey die Schönheit und Gewandtheit des jungen Fischers zuerst bemerkte. Als dieser ans Land stieg, begrüßte ihn der Zwerg mit freundlichen Worten.

Wenn man Ali Bey in die Augen gesehen hatte, so vergaß man seine Häßlichkeit und erkannte, daß man es mit einem guten und traurigen Menschen zu thun hatte. Murad antwortete auf den Gruß des Zwerges mit großer Höflichkeit und ließ sich bereitwillig in eine Unterhaltung mit ihm ein. Im Verlauf derselben sagte er, es wäre seine Absicht, im Laufe des Nachmittags wiederzukommen und bis gegen Sonnenuntergang zu fischen.

„So werden wir uns wohl in einigen Stunden wieder treffen,“ antwortete Ali Bey, und damit trennten sich die beiden. Ein jeder nahm eine freundliche Erinnerung an den andern mit auf den Weg.

Ali Bey begab sich vom Seraï-burnu zu seinem Bruder Nassuch Haga, dessen Mahl er teilte. Nach dem Essen sagte Ali: „Ich habe auf der Seraïspitze einen jungen Fischer kennengelernt, über den Du mir Auskunft verschaffen sollst.“ Er beschrieb darauf Murad, dessen Aussehen und Wesen sich seinem Gedächtnis eingeprägt hatten.

Nassuch Haga lauschte ehrerbietig, bis der ältere Bruder zu Ende gesprochen hatte, dann sagte er: „Es trifft sich so, daß ich Euch die Auskunft, die Ihr verlangt, sogleich geben kann. Hättet Ihr von einem Fischer gesprochen, der seine Netze bei Topané oder Sirkédschi auswirft, so hätte ich Euch bitten müssen, mir einige Tage Zeit zu geben, um Erkundigungen über ihn einzuziehen; aber da es meine Pflicht ist, jedermann zu kennen, der sich in der Nähe des kaiserlichen Palastes zu schaffen macht, so kann ich Euch sogleich die Lebensgeschichte des jungen Fischers erzählen, nach dem Ihr fragt. – Er ist in Stambul geboren und führt den türkischen Namen Murad, aber er ist fremder Abkunft, der Sohn Timbooks, des vor zwanzig Jahren vom Throne gestoßenen und aus seiner Heimat verbannten Chans von Georgien. Timbook besitzt einiges Vermögen und hat einen Konak in der Nähe der Hagia Sofia gekauft, den er, seitdem er in Stambul weilt, bewohnt. Da nach langer und sorgfältiger Beobachtung seiner Person festgestellt worden ist, daß er keinerlei politische Verbindungen unterhält oder sucht, vielmehr ein ruhiges, zurückgezogenes Leben führt, so wird er allseitig mit der Ehrerbietung behandelt, die ein fremder Fürst, der die türkische Gastfreundschaft nicht mißbraucht, beanspruchen darf. Dies ist auch der Grund, weshalb ich Murad, den einzigen Sohn Timbooks, nicht in seinem Vergnügen störe, an der Seraïspitze zu fischen. Eigentlich soll sich, außer den Fahrzeugen des Palastes, kein Boot dort aufhalten; aber der Pascha, mein hoher Vorgesetzter, hat sich auf meinen Vortrag damit einverstanden erklärt, daß zu Gunsten des jungen Fürsten eine Ausnahme gemacht werde. – Dieser scheint übrigens nicht einmal zu wissen, daß er hoher Abkunft ist – sein Vater wird es ihm verheimlicht haben, um ihn nicht in gefährliche Unternehmen zu verwickeln und führt ein so ehrenhaftes, harmloses Leben, daß ich schon seit Monaten es aufgegeben habe, ihn überwachen zu lassen. Doch kann ich dies sogleich wieder anordnen, falls Ihr, Bey, Wert darauf legen solltet, Näheres über ihn in Erfahrung zu bringen.“

„Es ist mein Wunsch, daß Murad in keiner Weise behelligt werde,“ antwortete Ali; „ich finde Gefallen an dem jungen Mann.“

„Es wird geschehen, wie Ihr befehlt, Bey.“

Im Laufe des Nachmittags begab sich Ali wieder nach der Seraïspitze, wo er Murad bereits bei der Arbeit fand. Er selbst setzte sich am Strande nieder und schaute trübselig auf die See. Er grämte sich nicht darüber, eine einflußreiche Stellung verlören zu haben; was an seinem Herzen nagte, war die Gleichgültigkeit des Sultans, der ihn wegen einer verzeihlichen Leichtfertigkeit zum Tode verurteilt und, nachdem er ihn begnadigt, ohne einen Schatten von Bedauern aus seiner Nähe verbannt hatte. Und doch war Ali dem Großherrn jahrelang ein treuer Diener gewesen und er liebte ihn! Aber das hatte er niemand zeigen können, und der Sultan wußte es nicht.

Ali Bey und Murad hatten sich durch eine Handbewegung begrüßt. Seitdem hatte der junge Fischer den Zwerg von Zeit zu Zeit beobachtet und dessen Trübsinn bemerkt. Nun trieb er sein leichtes Boot dem Ufer zu, und als er wenige Schritte vor Ali angelangt war, sagte er: „Auf dem Wasser weht eine erfrischende Brise. Wenn Ihr mit meiner Gesellschaft fürlieb nehmen wollt, so bitte ich Euch, in meinen Kaïk zu steigen.“

Ali Bey folgte der Einladung, und auf dem Meere, während der langen Pausen zwischen dem Auswerfen und dem Einziehen des Netzes, ließ er sich in eine Unterredung mit Murad ein, die alsbald eine vertrauliche wurde. Doch erkundigte sich Ali Bey nicht nach Murads Verhältnissen, noch ließ er durchblicken, daß er bereits vieles davon kenne; er erzählte vielmehr, ohne auf Einzelheiten einzugehen, von seiner eigenen Vergangenheit: daß er den Hof kenne und während einer Reihe von Jahren in der Gunst des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0214.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)