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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

irgendwo hängen bleibt, die Taue an diesen Stellen und nicht oben am Tragringe reißen.

Ob nun eine Ballonfahrt nach dem Nordpol Aussicht auf Erfolg überhaupt haben kann, darüber sind die Meinungen der Fachleute geteilt. Ist es wirklich möglich, einen Ballon mit so geringen Gasverlusten zu bauen, daß er eine Fahrt von 30 Tagen aushalten würde, was Andrée erstrebt, dann würde er wohl die in Frage kommenden Strecken zurücklegen können. Man nimmt an, daß er am Schlepptau mit einer Geschwindigkeit von 13,68 km in der Stunde fortfliegen würde. In 30 Tagen könnte er also 9849,6 km zurücklegen. Andrée meint aber, daß er nur 3700 km zu fliegen brauchte, um, nachdem er den Nordpol passiert, wieder bewohnte Länder zu erreichen. Selbstverständlich sind das nur bloße Annahmen, da wir über die Windverhältnisse am Nordpol nicht unterrichtet sind. Es ist auch fraglich, ob die Luftschiffer immer in der geplanten Höhe von 200 bis 300 m werden bleiben können; sie können ja auf Landmassen stoßen, die sich 1000 m und mehr über den Meeresspiegel erheben, dann wird ihr Ballon entsprechend steigen müssen, was das Opfern des Ballastes und Gasverluste zur Folge haben wird. Dadurch würde aber die Tauglichkeit des Ballons zur längeren Fahrt wesentlich beeinträchtigt werden.

Schließlich muß noch die Landung in Betracht gezogen werden. Sie ist das schwierigste Stück jeder Ballonfahrt. Andrée will Schlitten und Boot mitführen, um, falls er zur Landung vorzeitig gezwungen würde, auf diesen in bewohnte Stätten wandern zu können. Wird es ihm nun bei den schwierigen Terrainverhältnissen des zerklüfteten Polareises möglich sein, den Schlitten oder über offenem Meerwasser gar das Boot klar zu machen? Man kann mit vollem Rechte daran zweifeln.

Die Luftfahrt über den Nordpol hinweg bleibt darum auf alle Fälle ein Wagstück im vollsten Sinne des Wortes. Es giebt Fachleute, die das Beginnen einfach als einen Selbstmord bezeichnen und von ihm abraten, da das Ergebnis einer solchen Fahrt kein besonders großes sein kann. Die Nebel der Polargegend werden zumeist den Luftfahrern den Ausblick verhüllen und bei der Schnelligkeit der Fortbewegung werden auch genauere Beobachtungen nicht gut möglich sein. Anderseits wird aber betont, daß schon ein solcher Rekognoscierungsflug die wertvollsten Aufschlüsse über Verteilung von Land und Wasser am Nordpol geben könnte.

Im Grunde genommen setzt jeder, der eine Erforschungsreise in die Polarmeere antritt, sein Leben aufs Spiel. Schiffer wie Schlittenfahrer sind ebenso auf das Glück angewiesen wie der Luftschiffer. Der Passagier des Windes umgeht aber viele Gefahren, die den an der Erde und am Eise klebenden Polarfahrern drohen. Er braucht auch nicht so lange zu ringen wie diese. Dauerten die Entscheidungen über das Schicksal der bisherigen Polarexpeditionen lange, langsam dahinschleichende Jahre, so wird über das Schicksal der Passagiere des Windes in wenigen Wochen, wenn nicht Tagen von den Mächten der Eiswelt entschieden werden.

Ein Wagnis ist dieser kühne Flug nach dem Nordpol – aber doch ein Wagnis im Dienst der Wissenschaft! Es steht jedem frei, für diese hohen Ziele sein Leben in die Schanze zu schlagen, und wenn der Polarballon wirklich von Spitzbergens Boden sich über die Einöden des Eismeeres erheben sollte, dann mögen die Passagiere des Windes sicher sein, daß alle Herzen ihnen den günstigsten Wind und glückliche Heimkehr wünschen. C. Falkenhorst.     


Im Banne des Lichts.

Von M. Hagenau.


Seit uralten Zeiten wird die Sonne als die Quelle alles Lebens auf Erden anerkannt. In ihren Strahlen sind geheimnisvolle Kräfte vereint, die von der Wissenschaft als Wärme, Licht und chemische Kraft bezeichnet werden. Ein Sonnenschein, der in das Zimmer dringt und auf den zitternden Luftstäubchen erglitzert, bietet eine ganze Anzahl von Mysterien, an deren Entschleierung der menschliche Geist unablässig arbeitet. Wie vieles ist uns aber bis heute im Wesen und in den Wirkungen des Sonnenlichtes unerklärlich! Zweifellos bestehen die wichtigsten Beziehungen zwischen dem Lichte und dem Leben – aber wir kennen nur ihre Gesamtsumme; die Einzelheiten der verwickelten Vorgänge entziehen sich unseren Blicken. Was wir jedoch bereits mit bloßen Augen sehen können, das ist auffallend genug. Wir wissen, daß die Pflanzenwelt völlig unter der Herrschaft des Lichtes steht. Wir sehen, daß die Sonne auf das Wachstum der Pflanzen eine richtende Kraft ausübt. Werden gerade Sproßachsen oder Wurzeln wachsender Pflanzenteile nur von einer Seite allein oder von der einen stärker als von der anderen beleuchtet, so krümmen sie sich so lange, bis sie die Richtung des auffallenden Lichtstrahles angenommen haben. Wir nennen diesen Vorgang Heliotropismus und diejenigen Organe der Pflanzen, welche sich dem Lichte zuwenden, positiv heliotropisch, diejenigen, die sich dagegen von dem Lichte abwenden, negativ heliotropisch.

Diese Erscheinungen vollziehen sich nach gewissen Gesetzen. Die Richtung der Lichtstrahlen ist zunächst für diese Orientierungsbewegungen der Pflanzen bestimmend, ferner werden dieselben nur oder in höherem Maße durch die stärker brechbaren, also blauen und violetten Lichtstrahlen hervorgerufen.

Giebt es nun nicht ähnliche Beziehungen zum Lichte in der Tierwelt? Gewiß, und jeder von uns hat sie gesehen. Fliegt nicht die Motte ins Licht? Werden nicht die Ameisen durch die Sonnenstrahlen, die ihr Nest treffen, zum Hochzeitsfluge hervorgelockt? Ziehen nicht sogar wir selbst helle, sonnige Wohnungen dunkeln Räumen vor? Erheitert uns nicht der Sonnenschein, während die Finsternis uns niederdrückt? Gewiß steht auch die Tierwelt und mit ihr der Mensch im Banne des Lichts, nur daß die Wirkung desselben bald deutlicher, bald schwächer zu Tage tritt. Es giebt Forscher, welche von der seelischen Stimmung, die das Licht in uns erzeugt, und von der Thatsache, daß es Tiere giebt, die ohne Licht leben, ausgehen und die Tierwelt in eine lichtliebende und eine lichtscheue teilen. Sie haben es leicht, viele der rätselhaften Erscheinungen auf ihre Weise zu erklären. Die Motte fliegt nach ihnen ins Licht, weil ihr der Gegenstand neu ist, und sie stirbt den Flammentod – aus Neugierde. Solche Uebertragung menschlicher Gefühle und Geistesregungen auf Motten- und Mückenseelen ist mindestens gewagt. Vielleicht ist die Motte bei ihrem Todesfluge gar nicht neugierig, sondern folgt einem Naturgesetz, das sie zwingt, diese Flugbahn zu beschreiben, wie die heliotropische Pflanze sich in der Richtung der sie treffenden Lichtstrahlen krümmt. Vielleicht! Es giebt auch einen Heliotropismus der Tiere, untersuchen wir ihn und sehen wir zu, ob seine Erscheinungen nach einem Gesetz verlaufen!

Die Männer der Wissenschaft haben sich bis jetzt wenig mit diesen Vorgängen befaßt. In älteren Werken finden sich nur einige wenige gute Beobachtungen verstreut. Die besten hat ohne Zweifel der berühmte Erforscher der Polypen Trembley gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts angestellt. Er brachte das Kunststück fertig, Wasserflöhe durch eine bewegte Kerze im Kreise herumzutreiben. „Ich observierte,“ schreibt er in seinen „Abhandlungen“, „Polypen bei dem Lichte eines Wachsstockes, denen ich den Tag über viele Wasserflöhe gegeben hatte; des Abends waren davon noch einige im Glase übrig, welche die Polypen nicht verzehrt hatten. Ich merkte, daß sie sich größtenteils nach der Seite des Wachsstockes gezogen hatten. Ich veränderte den Platz und sie auch. Sie begaben sich wieder dahin, wo ich den Wachsstock hingesetzt hatte. Da ich nun selbigen viele Male auf eine andere Stelle gesetzt und gesehen hatte, daß sich ihm die Wasserflöhe allezeit wieder näherten, so führte ich den Wachsstock langsam um das Glas herum, ohne anzuhalten. Sie folgten und machten solchergestalt einige Touren in selbigem herum. Ich habe auch mehreremal Gelegenheit gehabt, diesen Versuch zu wiederholen.“

Ferner beobachtete Trembley, daß sich die Polypen an die „hellste“ Seite des Glases begaben; er setzte ein mit Polypen gefülltes Glas in ein Mufffutteral, an dessen Längsseite sich eine Oeffnung befand, und konnte beobachten, daß die Polypen sich nach der Glasseite hinzogen, die der beleuchteten Oeffnung gegenüberlag, dergestalt, daß sie zusammen die Figur eines Dachsparren bildeten.

Spätere Forscher, die sich mit der Frage beschäftigten, prüften die Tiere auf ihr Verhalten gegen gewisse Lichtwirkungen ohne besonderes System, so daß wir diese Arbeiten hier nicht zu erwähnen brauchen. Einen bedeutenden Fortschritt brachten erst die Untersuchungen an Infusorien, welche von einigen Forschern im Laufe des letzten Jahrzehnts gemacht wurden und aus welchen hervorging, daß diese Tierchen ihre Bewegungen nach den Lichtstrahlen einrichten. Die eingehendsten und grundlegenden Versuche verdanken wir aber Dr. J. Loeb. Das Ergebnis seiner Arbeiten hat dieser neuerdings in dem Werke „Der Heliotropismus der Tiere“ (Würzburg, Verlag von Georg Hertz) veröffentlicht, und wir erfahren daraus, daß diese Erscheinungen im Tierreiche völlig mit dem Heliotropismus der Pflanzen übereinstimmen. – –

Die Gesetze des tierischen Heliotropismus lassen sich sicher an

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0218.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)