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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

eine Gruppe von Männern in bunter polnischer Tracht mit weißen Armbinden, den polnischen Zeichen der Trauer. Hierauf folgte eine Musikkapelle. Nun kam die Leiche selbst, welche von den Getreuen in offenem Sarge zur letzten Ruhe getragen wurde. Rechts neben ihr schritten Fräulein Eva und die beiden Söhne Franks, links begleitete den Toten ein polnischer Magnat, Fürst Martin Lubomirski, mit dem St. Annenorden am Halsbande. Als auf dem Friedhofe der Sarg in die Gruft versenkt wurde, erhob die Schar der Getreuen ein herzzerreißendes Klagegeschrei und dann warf jeder der Leidtragenden eine Handvoll Erde auf das Grab des Patriarchen.

Die Anhänger Franks blieben auch nach dem Tode des Polackenfürsten in Offenbach. Die Söhne traten nicht hervor, dagegen war Fräulein Eva das Haupt der eigenartigen Siedelung. Anfangs wurde der alte Glanz, mit dem sich Baron Frank umgeben hatte, beibehalten, aber nach und nach schienen die großen Hilfsquellen der Fremden zu versiegen. Die Erben Franks begannen Schulden über Schulden zu machen, und in Offenbach und Umgegend fanden sich immerfort gutmütige Gläubiger, die ihr schwer erworbenes Geld den Fremden liehen. Sie hatten keine Ahnung, daß sie einer Bande von Schmarotzern Mittel zum Fortsetzen ihres nichtsnutzigen Lebens boten.

Wenn die guten Offenbacher Kauf- und Geldleute damals in Polen Erkundigungen über den Baron Frank hätten einziehen wollen, so hätten sie erfahren, daß dort eine große Schar bethörter Juden müde geworden war, die Dummen weiter zu spielen und auf dem Altar des falschen Messias zu opfern, aber Polen lag weit von Offenbach. Die Wende des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert war überdies so stürmisch, daß man in der gewerbfleißigen Stadt die nötige kaufmännische Vorsicht außer acht ließ. Fräulein Eva konnte somit das Hofleben ihres seligen Herrn Vaters weiter führen, und als alle Stränge rissen, war ihr der Zufall hold und stärkte in unerwarteter Weise ihren Kredit.

Im Jahre 1800 stand die „Firma Frank“ vor offenkundigem Bankerott, die Gläubiger hatten ihre Geduld verloren und wollten endlich Geld sehen. Die Herrschaften Eva von Frank, Roch von Frank und Josef von Frank ließen am 17. Januar 1800 eine Erklärung an den Straßenecken Offenbachs anschlagen, durch die sie die Gefahr abzuwenden hofften. Sie teilten darin mit, daß einer der Brüder, Roch von Frank, infolge einer Aufforderung am 1. Juli 1800 eine Reise, die sechs Monate dauern dürfte, nach Petersburg unternehmen werde, um Geld zu holen. Bis dahin sollten sich die größeren Gläubiger gedulden. Dagegen wurden kleinere Gläubiger, wie Viktualienhändler, Fleischer und Bäcker, aufgefordert, ihr Guthaben sofort zu erheben. Zum Schluß wurde den böswilligen Verleumdern, die über die Familie Frank ehrenrührige Gerüchte verbreiteten, gerichtliche Klage angedroht.

Bevor Herr Roch von Frank mit barem Gelde zurückkommen konnte, brachen über Offenbach Schreckenstage des Krieges herein. Die Franzosen rückten damals siegreich in Süddeutschland vor und der Zufall wollte es, daß die polnische Legion, die in französischen Diensten stand und die Wiederherstellung des polnischen Reichs von Frankreich her erhoffte, vor Offenbach erschien und die Stadt einnahm. Fräulein Eva wußte nun ihre Landsleute zu bestimmen, daß Offenbach nicht geplündert wurde. Als Dank für diese Vermittlung genoß sie bei den Bürgern von neuem Kredit und suchte diesen noch dadurch zu stärken, daß sie weitere Andeutungen über ihre Verbindungen mit europäischen Fürstenhöfen verbreitete. Da meldeten sich selbst hervorragende Bankhäuser aus Frankfurt a. M. bei dem Fräulein und boten ihm bereitwillig ihre guten Dienste an, die um so lieber angenommen wurden, als der Bruder vorderhand ohne Geld zurückgekehrt war.

Jahre vergingen. Fräulein Eva erhielt von Zeit zu Zeit Geldsendungen aus Polen und zahlte in Gold die Zinsen von ihren Schulden, aber die Summe derselben war doch ins Unermeßliche gewachsen. Der Krach stand wiederum bevor, als sich wiederum etwas Unerwartetes ereignete. Kaiser Alexander I. von Rußland kam im November 1813 nach der Schlacht bei Leipzig nach Frankfurt a. M. und besuchte die Anhänger Franks in Offenbach, wo er feierlich empfangen wurde; ja bald darauf traf er noch einmal mit Fräulein Eva in Homburg zusammen! Diese Thatsache wurde nun weidlich ausgenutzt, um die bereits verbreiteten Gerüchte von der fürstlichen Abkunft des Fräuleins von neuem zu beleben.

Die Schuldenlast war inzwischen zu groß geworden; sie belief sich auf mindestens Hunderttausende, wenn nicht Millionen Gulden. Die Gerichte mischten sich ein und schon stand die Zwangsvollstreckung der vorgefundenen geringfügigen Habseligkeit der alten Dame bevor, als sie am 7. September 1816 von allen Nöten dieser Welt erlöst wurde. Die Gläubiger hatten das Nachsehen, aber viele von ihnen wollten durchaus nicht glauben, daß sie von einer gewöhnlichen Abenteurerin ausgebeutelt worden waren; hartnäckig erhielt sich das Gerücht von ihrer hohen Abkunft und lange hindurch lebte sie in der Erinnerung der Offenbacher als Eva Romanowna aus dem russischen Kaisergeschlechte fort.

Die Geschichtsforschung war später imstande, den Schleier des Geheimnisses, das den alten Baron Frank und seine Tochter umgeben hatte, teilweise zu lüften. Bereits im Jahre 1865 und 1866 sind in der „Gartenlaube“ Artikel unter den Titeln „Ein heiliger Herr“ und „Zwei fürstliche Geheimnisse neuerer Zeit“ erschienen, die in manchen Punkten wahre Thatsachen enthüllten. Wenn aber damals Jakob Frank von dem Vorwurf, ein Abenteurer wie Cagliostro oder Graf St. Germain zu sein, freigesprochen wurde, so war das ein Irrtum. Erst in der Neuzeit ist es einem jüdisch-polnischen Geschichtsforscher, Alexander Kraushaar in Warschau, gelungen, wichtige Schriften und Aktenstücke zu entdecken, deren Inhalt auf die Lebensgeschichte Jakob Franks und seiner Tochter klares Licht wirft. Das Ergebnis dieser Studien hat Kraushaar in dem zweibändigen, polnisch geschriebenen Werke „Frank und die polnischen Frankisten“ (Krakau, Gebethner u. Co.) niedergelegt. Auf Grund dieses Werkes wollen wir nachstehend ein Bild des geheimen Treibens jener rätselhaften Menschen entwerfen, die den deutschen Boden zum Schauplatz der letzten Akte ihrer Thätigkeit erwählt und so lange die Neugierde weiter Kreise erregt hatten.

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In Korolówka, einem kleinen Flecken in Podolien, erblickte der fragwürdige Held im Jahre 1726 das Licht der Welt. Seine Wiege stand somit auf einem Boden, der sich selten eines längeren Friedens erfreute. Stets wurde die Bevölkerung jener polnisch-türkischen Grenzgebiete durch Einfälle der Bekenner des Propheten, durch Aufstände der Kosaken oder blutige Erhebungen der Bauern beunruhigt. Unstet war das Leben der Bedrängten, die auf der Flucht vor dem Feinde gar oft Haus und Hof verlassen mußten, und der unruhige Lebenswandel ließ gar viele der jungen Leute zu Abenteurern werden. Leib hieß der Vater des nachmaligen Baron Frank; er war Pächter einer Schenke und soll dabei auch die Stelle eines Rabbiners versehen haben. So wurde Frank als Knabe Jakob Leibkowitsch genannt. Seine Großmutter stand in dem Rufe einer geschickten Wahrsagerin; sie beschützte den kleinen Jakob vor allerlei Behexung und ermahnte die Eltern, das Kind wohl zu behüten, da durch den Knaben etwas Neues und Großes der Welt offenbart werden sollte. Jakobs Vater wechselte indessen mehrmals seinen Wohnsitz; der Junge lernte wenig bei diesem Wanderleben und wurde zu einem Taugenichts, der sich mit bösen Bubenstreichen die Zeit vertrieb. Später kehrte er dem Kaufmannsladen, in den er gesteckt wurde, den Rücken und ging als Juwelenhändler auf Wanderschaft in ferne Länder. Er machte dabei gute Geschäfte und führte ein ausgelassenes Leben. Geschäfte führten den jungen unternehmenden Lebemann auch nach Smyrna, in welcher Stadt er nun Dinge kennenlernen sollte, die ihn in seine spätere Lebensbahn drängten.

Hier hatte im siebzehnten Jahrhundert ein jüdischer Sektierer Namens Sabbataï Zewi gewirkt, der den Talmud verwarf und sich vor dem leichtgläubigen Volke für einen Auserwählten Gottes und für den erwarteten Messias und König ausgab, der das jüdische Reich wieder errichten sollte. Er fand eine große Schar von Anhängern, die ihm königliche Ehren erwiesen. Das jüdische Volk von Smyrna sank vor ihm auf die Kniee und küßte den Saum seines Gewandes. Man brachte ihm reiche Geschenke dar und der Pseudo-Messias wandelte durch die Straßen der Stadt, umringt von einer Schar gelehrter Rabbiner, Propheten und Prophetinnen, und schwang in seiner Rechten ein goldnes Königsscepter. Bedrängt von den Türken, hatte dieser Prophet, um sich zu retten, sich zum Islam bekannt. Er wurde trotzdem hingerichtet und galt in den Augen der ihn überlebenden Getreuen als Märtyrer. Der notgedrungene Glaubenswechsel brachte seinem Ansehen keine Einbuße; durch Nachfolger wurde seine mystische Lehre weiter gepflegt und verbreitet.

Mit diesen Sabbatianern, die, nebenbei gesagt, sich durch eine verwerfliche Lockerung der Sitten berüchtigt machten, wurde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0247.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2020)