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Lebenszeichen von sich, indem er langsam mit kaltem finstern Ernst das Haupt in den Nacken zurückbeugte. Die ruhige, jeder Uebereilung und Aufregung bare Gebärde sprach bestimmter, als Worte es gekonnt hätten, von dem festen Entschlusse Murads, den Bitten und Mahnungen Alis nicht nachzugeben.

Der Abgesandte des Sultans setzte seine Bemühungen, Murad zur Nachgiebigkeit zu bewegen, noch zwei Tage fort – erfolglos! Dann entschloß er sich schweren Herzens, unverrichteter Sache nach Stambul zurückzukehren, und verabschiedete sich vom Bey, der ihn, in seinem Innern beunruhigt über den geheimnisvollen Besuch, reichlich beschenkt entließ.

Ali Bey eilte, von zwei Dienern gefolgt, auf schnellen Pferden nach Stambul zurück und wurde sogleich nach seiner Ankunft vom Sultan empfangen. Dieser nahm den Bericht des Zwerges mit verhaltenem Ingrimm entgegen.

„Der hartnäckige Rebell soll mit seinem Leben für seinen Ungehorsam büßen,“ sagte er. „Du kehrst nach Karaman zurück und bringst ihn als Gefangenen nach Stambul. Der Bey wird den Befehl von mir erhalten, Dir dabei behilflich zu sein.“

Mit großer Klugheit und Vorsicht gelang es Ali, den Sultan auf andere Gedanken zu bringen. Er sprach mit anscheinender Entrüstung von Murad, für den keine Strafe zu hart wäre. Ali hatte, so mußte man nach seinen Reden annehmen, nur das Wohl der erlauchten Prinzessin Scheriffeh im Auge, und der Sultan sagte darauf nach einigem Bedenken, er werde später noch einmal auf die Angelegenheit zurückkommen. Damit wurde der Zwerg entlassen.

Scheriffeh Sultana war von dem Zweck der Reise Alis nach Karaman unterrichtet worden und hatte während seiner Abwesenheit in Hoffen und Bangen gelebt. Als sie nun vom Sultan erfuhr, Ali Bey sei unverrichteter Sache nach Stambul zurückgekehrt, brach sie in Thränen aus; aber sobald sie die Einzelheiten der Zusammenkünfte mit Murad vernommen hatte, warf sie sich vor ihrem Vater auf die Kniee und flehte ihn an, er möchte ihr gestatten, nach Karaman zu gehen.

Der Sultan wies dies Vorhaben zunächst zurück; schließlich konnte er aber dem rührenden Flehen der geliebten Tochter nicht mehr widerstehen und gab seine Zustimmung zu dem Unternehmen. Da Scheriffeh jedoch nicht als Sultana reisen konnte, so willigte der Großherr auch darein, daß die Prinzessin, als Knabe verkleidet und von einer schwarzen Sklavin begleitet, die ebenfalls Mannskleider anzulegen haben würde, unter dem Schutze des getreuen Ali und zweier zuverlässiger Haremswächter die Reise antreten sollte. Scheriffeh war dem Sultan so dankbar für die ihr erteilte Erlaubnis und zeigte solch’ fieberhafte Hast, sich auf den Weg zu machen, daß der Sultan die dazu nötigen Vorbereitungen sofort anordnete und Scheriffeh mit ihrem Gefolge bereits am nächsten Tage Stambul verlassen konnte.

Nach schneller Reise, deren Beschwerlichkeiten die verwöhnte Prinzessin mit bewunderungswürdiger Stärke ertragen hatte, langte die kleine Karawane wohlbehalten vor Karaman an, wo sie in einem außerhalb der Stadt gelegenen wenig besuchten Han (Herberge) Halt machte. – Während der Reise hatte die Prinzessin mit Ali Bey verabredet, wie sie sich in unauffälliger Weise Zulaß zu dem Hofe des Bey verschaffen wollte. Die Prinzessin sollte unter dem Namen Sadyk Effendi dem Bey ein Schreiben Alis überbringen, das sie als einen jungen Mann aus guter Familie vorstellte, der sein Glück an einem auswärtigen Hofe zu versuchen beabsichtigte und deshalb eine Anstellung im Dienste des Bey von Karaman erwünschte. Ali bat den Fürsten, dies in Gnaden gewähren zu wollen. – Es war kaum zu bezweifeln, daß der Bey diesem Gesuche Folge geben würde. – Während Scheriffehs Anwesenheit am Hofe sollte keiner aus ihrem Gefolge nach Karaman kommen, Ali vielmehr, auch wenn Wochen darüber vergehen würden, warten, bis ihm neue Befehle der Sultana zugingen. Zunächst wollte sie ihre eigenen Kräfte allein versuchen, um zu dem von ihr angestrebten Ziele zu gelangen.

Der Bey empfing den falschen Sadyk leutselig, denn er vermutete, daß die Ankunft des bleichen schönen Knaben wohl mit der noch immer unaufgeklärten Reise Alis am Hofe von Karaman zusammenhinge. Er wies dem Angekommenen deshalb die freundliche Wohnung eines hohen Hofbeamten an und beauftragte ihn mit leichten Beschäftigungen, die ihn nötigten, sich häufig und lange in der Nähe des Fürsten aufzuhalten. Auf diese Weise traf die Prinzessin täglich stundenlang mit dem Lieblingsdiener des Bey, Murad, zusammen. Dieser konnte Scheriffeh unter ihrer Verkleidung nicht erkennen, denn er hatte sie niemals unverschleiert erblickt; aber er faßte eine große Zuneigung zu dem stillen Knaben und suchte dessen Gesellschaft auf, während er sich von allen andern Mitgliedern des Hofstaates zurückgezogen hielt. Scheriffeh erkannte die Gefühle Murads, und ihre Freude darüber war unbeschreiblich, aber das Unglück hatte sie weise und geduldig über ihre Jahre gemacht, und sie zeigte sich zunächst nur bemüht, Murads Wohlwollen für sie zu vergrößern und zu befestigen. Wenn sie mit ihm allein war, so wurde sie gesprächig: sie erzählte von Stambul, dessen schönste Punkte sie kannte, namentlich auch von der Seraïspitze, von dem blauen Bosporus, dem freundlichen Himmel, und wie schön das Leben darunter sei; dann begann sie vorsichtig vom Sultan und dessen Hof und Harem zu sprechen und daß die Rede in Konstantinopel ging, es herrsche im Palast große Traurigkeit, weil die Lieblingstochter des Großherrn, die Prinzessin Scheriffeh, sich zu Tode gräme, von ihrem Gemahl verlassen worden zu sein.

Murad hörte aufmerksam zu, aber er gab in keiner Weise zu erkennen, daß er tieferen Anteil an den Mitteilungen seines jungen Freundes nehme.

Eines Tages, als die beiden im Schloßpark lustwandelten, sagte Scheriffeh: „Verzeiht mir, Effendim, wenn ich eine Frage an Euch richte. Das Wohlwollen, das Ihr mir bezeigt, und die Dankbarkeit und Verehrung, die Ihr mir einflößt, mögen mir zur Entschuldigung dienen … Seid Ihr stumm geboren, oder habt Ihr durch einen beklagenswerten Unglücksfall die Sprache verloren?“

Murad zog ein kleines Heft, das er stets bei sich führte, aus dem Gürtel und schrieb darauf: „Durch einen Unglücksfall“.

Und als Scheriffeh weitere Fragen darüber an ihn richtete, antwortete er in seiner Weise: „Verlaßt diesen Gegenstand, falls Ihr unser Zusammensein, dessen ich mich erfreue, nicht trüben wollt.“

Scheriffeh seufzte tief und sagte leise: „Ich wollte Euch nicht kränken, noch beunruhigen: verzeiht die Weise, in der ich meine Teilnahme an Eurem Schicksal zu erkennen gegeben habe. Ich werde Euch gehorchen.“

Fortan vermied die Prinzessin, auf die verpönte Frage zurückzukommen; sie bemühte sich dagegen, in jeder Art, die sie nur erdenken konnte, Murad ihre Verehrung und Anhänglichkeit zu zeigen, und dies, gepaart mit Scheriffehs unwiderstehlicher Lieblichkeit, gewann ihr in kurzer Zeit die innige Zuneigung des Stummen, so daß die beiden bald unzertrennlich erschienen, da man sie von früh bis spät vertraulich beisammen sah.

Dem Bey konnte dies nicht entgehen, und er schien seine Freude an dem guten Einvernehmen zwischen seinen Lieblingen zu haben; als aber Scheriffeh ihn eines Tages um die Erlaubnis bat, einen Ausflug mit Murad unternehmen zu dürfen, der die beiden drei Tage lang von Karaman fernhalten würde, verweigerte er, dazu seine Zustimmung zu geben. Die ungerechtfertigte Besorgnis stieg nämlich in ihm auf, Murad und Sadyk beabsichtigten, ihn heimlich zu verlassen. Einen Grund, weshalb sie dies thun sollten, konnte er nicht erfinden, aber der Gedanke war nun einmal in seinem Herzen und ließ sich nicht daraus verscheuchen. Scheriffehs Bitten, die immer dringender wurden, bestärkten ihn nur noch darin.

„Was führst Du im Schilde?“ herrschte er sie mißtrauisch an. „Der Wunsch eines Zusammenseins mit Deinem Freunde Ibrahim kann es nicht sein, da Euch das auch hier im ergiebigsten Maße gewährt ist, und das Vergnügen, das Du Dir von einem Ausflug in die unwirtlichen Gegenden des Taurus versprechen magst, ist zu gering, als daß es Dein Flehen erklärte. Ich vermute, Du hast Arges vor.“

„O, Herr, ich habe nichts Arges vor; glaubt mir!“

„Ich glaube Dir nicht, und ich erteile Dir die erbetene Erlaubnis nicht, es sei denn, daß Du mir den wahren Grund Deines Gesuches offenbarst.“

Da sagte Scheriffeh nach längerem Zaudern: „Darf ich Euch bitten, das, was ich Euch nur anvertrauen will, vor allen, namentlich aber vor Ibrahim, geheim zu halten?“

„Die Bitte sei Dir gewährt.“

„Wohlan, mich schmerzt das Gebrechen meines Freundes; ich will versuchen, ihm die Sprache wiederzugeben, und ich hoffe zuversichtlich, es wird mir gelingen.“

Der Bey erinnerte sich sogleich, daß auch Ali, der Abgesandte des Sultans, den Versuch gemacht hatte, seinen Diener zum Sprechen zu bringen, und der Gedanke kam ihm, daß dieser Ibrahim,

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