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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Einen Mahnruf an Schulbehörden und Eltern veröffentlicht Dr. Röse, von dessen Untersuchungen an den Zähnen der Schulkinder wir kürzlich (Jahrg. 1895, S. 876) berichteten, in dem Sonderabdruck seines Artikels „Die Zahnpflege in den Schulen“ (Hamburg, Voß). Die kleine Schrift ist so vortrefflich, geht dem wahrhaft schreienden Uebelstand der schlechten Mundpflege so energisch zu Leibe und legt die Abhilfe so klar und eindringlich dar, daß wohl eine Mutter, welche sie las, nicht umhin können wird, andere Gewohnheiten in ihrer Kinderstube einzuführen als das einmal tägliche oberflächliche Bürsten und Spülen, womit man glaubt, der Reinlichkeit zu genügen. Aufs einleuchtendste zeigt der Verfasser, daß der böse Zahnfraß, die caries, nur dadurch zustande kommt, daß an schwer zugänglichen Stellen Speisereste liegen bleiben und in Gärung übergehen. Zucker- und stärkehaltige Speisen bilden die größte Gefahr für den Zahnschmelz; hartes Schwarzbrot und kräftige, die Kaumuskeln stark in Bewegung setzende Fleischstücke stärken und erhalten die Zähne, während Kuchen zerstörend wirkt, wo nicht ungewöhnliche Widerstandskraft vorhanden ist oder wo nicht eine sorgfältige Mundpflege die Folgen der Schädlichkeit aufhebt. Da heißt es also einfach, die Mundhöhle gründlich reinigen, damit sie nicht zur Brutstätte von Spaltpilzen wird, die entweder unmittelbar als Krankheitserreger oder doch durch ihre Fäulnis verderblich und verpestend wirken. Die Ergebnisse der Untersuchung in den Schulen sind wahrhaft niederschlagender Natur, Abhilfe thut dringend not, deshalb schlägt Dr. Röse vor, daß die Lehrer, die ja heute schon auf die äußere Reinlichkeit der Kinder achten, in ihren Seminarien über die Wichtigkeit einer geordneten Mundpflege durch allgemein verständliche Schriften belehrt werden, so daß sie später im Anschauungsunterricht sowie im Schulaufsatz dafür wirken können. Die Hauptsache muß dennoch das Haus thun: die feste Gewohnheit geben, welche nach einigen Jahren dem Kinde zur zweiten Natur wird. Mit Zahnbürsten, Zahnstochern und dünnen Fäden, wo die Zahnwände zu dicht stehen, muß nach jedem Essen gründlich gereinigt werden. Die meisten Zahnbürsten sind zu groß; sehr praktische 2½ cm lange und 1 cm breite, bogenförmig den Zähnen entsprechend ausgeschnittene giebt es nach Röses Angabe bereits im Handel zu dem geringen Preis von 4 Mark 80 Pfennig für das Dutzend, sie sind ungemein bequem und handlich. Eine Fülle von guten praktischen Ratschlägen findet sich in der Schrift, welcher dringend die weiteste Verbreitung bei Familien und Schulbehörden zu wünschen ist! Bn.     

Verlassen! (Zu dem Bilde S. 245.) Eine bittere Stunde für die Arme hier im einsamen Kirchenstuhl! Mit eigenen Augen hat sie’s sehen wollen und hätte doch besser gethan, ihre Verzweiflungsthränen in der stillen Kammer daheim zu weinen, denn, wie zerrissen auch ihr Herz sein mag, sie kann sich nicht einmal wirklich betrogen nennen von dem glücklichen Bräutigam da vorn am Altar. Es ist alles ganz „korrekt“ zugegangen, er hat ihr schon vor Monaten gesagt, daß es nun zwischen ihnen ein Ende nehmen müsse, und sie hat auf seine wiederholte Frage: „denn was sollte schließlich daraus werden?“ keine Antwort gewußt. Freilich – die Frage stellte er nicht, als er im vorigen Frühling stürmisch um die Liebe der schönen jungen Putzmacherin warb und sie – sie war viel zu glücklich, um an die Zukunft auch nur zu denken. Die Gegenwart war ja so wonnevoll! … Und nun? Frühling und Sommer sind dahingegangen, im Herbst hat sich der ehrgeizige junge Assessor auf die Pflichten gegen seine Zukunft besonnen und dieser eine ganz vortreffliche Basis verliehen durch die Verlobung mit dem schönen reichen Mädchen, das ihn schon seit ihrem ersten Ball still im Herzen trug. Die blonde Anna ist für ihn eine abgethane Episode; wie sie’s verwindet, „das ist ihre Sache“, „er braucht sich keinen Vorwurf zu machen!“

Nun, bis die Trauung zu Ende ist und das junge Ehepaar Arm in Arm den Kirchengang zurückschreitet, wird der Stuhl hier leer sein. Und die junge Frau erfährt vielleicht niemals, mit welchem Jammer ihr Glück dereinst bezahlt wurde!

Es ist eine leider recht alltägliche Geschichte, die uns der Künstler erzählt, aber durch die einfache Kontrastwirkung weiß er sie ergreifend genug darzustellen. Bn.     

Baumkänguruhs. (Zu dem Bilde S. 253.) Brehm sagt: „Alle Beobachter stimmen darin überein, daß man sich keine merkwürdigere Erscheinung denken kann als ein Baumkänguruh, welches sich lustig auf den Zweigen bewegt und fast alle Kletterkünste zeigt, die in der Klasse der Säugetiere überhaupt beobachtet werden.“ Als ich im vergangenen Sommer zum erstenmal Baumkänguruhs sah – es war im Londoner Zoologischen Garten – da konnte ich meine Augen lange Zeit nicht abwenden von dem seltsamen Anblick, den die hoch oben in den Aesten herumhüpfenden, schweren, großen Tiere mir darboten. Es waren Känguruhs, in der äußeren Erscheinung sehr wenig von den allbekannten Känguruhs verschieden, und doch wirkten sie eigentümlich und fremdartig. Man ist eben gewohnt, Känguruhs auf flacher Erde sich bewegen zu sehen, und würde ebenso erstaunt sein, wenn ein Hase sich die Kronen der Bäume zum Tummelplatz wählte. Dem eifrigen Direktor des Berliner Zoologischen Gartens, Herrn Dr. L. Heck, gelang es, einige dieser seltenen Tiere zu erwerben. Seit längerer Zeit leben sie in einem für diesen Zweck hergerichteten Käfig des neuen Affenhauses, und die Aufmerksamkeit der Besucher teilt sich zwischen ihnen und dem Orang. Es sind im allgemeinen recht langweilige, schläfrige Gesellen, und man muß schon längere Zeit seinen Beobachtungsposten vor dem Käfig festhalten, wenn man sie in Bewegung sehen will. Gegen Abend werden sie munter; dann hüpfen sie von Ast zu Ast und klettern an den Baumstämmen in die Höhe, indem sie mit den Vorderbeinen den Stamm umklammern und mit den Hinterbeinen in der Rinde Halt suchen. Rüben, Kartoffeln und Reis bilden die Hauptbestandteile ihrer Nahrung in der Gefangenschaft. Die Berliner Exemplare haben einen besonderen wissenschaftlichen Wert deswegen, weil sie einer erst vor neun Jahren entdeckten Art, Dendrolagus Bennettianus, angehören, welche das nördliche Queensland in Australien bewohnt.

Ueber das Leben der Baumkänguruhs sind nur sehr unvollkommene Nachrichten bekannt. Man weiß nicht einmal recht, was sie in der Freiheit fressen. Wahrscheinlich ernähren sie sich von Früchten, jungen Knospen, vielleicht auch von zarten Zweigen und Blättern. Sie sollen eine bestimmte Baumart mit Vorliebe besteigen, verbringen den Tag still in den höchsten Spitzen der Bäume und steigen in der Nacht häufig auf den Boden herab. Man jagt sie wegen ihres vorzüglichen Fleisches, und zwar mit Dingohunden. Sobald der Hund die Spur eines Baumkänguruhs bis dahin verfolgt hat, wo dasselbe aufgebäumt ist, kann man mit ziemlicher Sicherheit auf eine ergiebige Jagd rechnen; denn gewöhnlich sitzen auf einem Baume mehrere in tiefem Schlaf. Ein Eingeborener steigt dann hinauf, erfaßt den langen Schwanz des Tieres und erschlägt es mit einer Keule oder er jagt es hinunter auf die Erde, wo es von den Hunden gefaßt wird. Auf unserer Abbildung geben namentlich die im Hintergrunde gezeichneten Tiere ein gutes Bild von den eigentümlichen Stellungen, welche diese merkwürdigen Springbeutler einnehmen. P. Matschie.     

Künstlicher Zucker. Aus den Laboratorien der Chemiker sind schon verschiedene süße Stoffe hervorgegangen. Wir brauchen ja nur an das Saccharin zu erinnern, das mit dem Zucker in unserm Haushalte und in der Herstellung von Genußmitteln in Wettbewerb getreten ist. Das Saccharin vermag jedoch den natürlichen Zucker nicht zu ersetzen, denn dieser ist ein Genußmittel und ein Nahrungsmittel zugleich, während das Saccharin dem Körper keine Kraft zuzuführen vermag und nur dem Gaumen mit dem süßen Geschmack schmeichelt. Neuerdings ist es aber dem italienischen Chemiker Pellegrini gelungen, wirklichen Zucker auf chemischem Wege herzustellen. Er brauchte dazu drei Stoffe, Kohlensäure, Wasserdampf und Aethylen, das u. a. auch einen Bestandteil unseres Leuchtgases bildet. Diese Stoffe wurden von Pellegrini unter hohem Druck gegen einen porösen Körper, wie Bimsstein, geleitet; sie vereinigten sich zu einer Flüssigkeit und diese war reiner Rohrzuckersirup. So kann der Süßstoff, den uns die Rübe und das Zuckerrohr liefern, nunmehr auch im chemischen Laboratorium hergestellt werden. *      

Ankündigung des Stierkampfes. (Zu dem Bilde S. 249.) Eine sehr lebensvolle, frisch aus dem spanischen Volksleben herausgegriffene Scene bietet uns G. J. Franke in seinem Bilde, zu dem er in einer andalusischen Stadt Studien gesammelt haben mag. Ein großes Plakat ist soeben an die Mauer angeschlagen worden; auf diesem wird angekündigt, daß der berühmte Stierkämpfer Frascuelo am nächsten Donnerstag auf der Plaza de Toros in der Stierkampfarena erscheinen wird, und diese Benachrichtigung bringt eine gewaltige Erregung bei der gesamten Straßenbevölkerung hervor. Alle Geschäfte werden plötzlich unterbrochen. Der Fischhändler hört auf, auszurufen, der Wasserverkäufer bietet sein frisches Agua nicht mehr an, der Barbier läuft aus seinem Laden, der Weinwirt tritt aus seiner Thür, der Zwiebelbauer stellt seinen Korb ab und alles wendet sich voll Teilnahme der Ankündigung dieses nationalen Schauspieles zu, das den Spaniern das Höchste neben der Messe ist. Nun wird mit Eifer und Erregung das große Ereignis besprochen und eine gewaltige Spannung bemächtigt sich des Volkes – der Markt und die Plätze wimmeln von bunten Volksgestalten und der Name Frascuelos schwirrt umher und ist auf aller Lippen – die Cafés, die Limonadenschenken füllen sich und in den dunkeln Weinwirtsstuben wird viel herber dunkler Wein aus seltsamen Glaskannen mit langem Glasschnabel daran direkt in den Mund gegossen und dazwischen viel und gewichtig über den berühmten Stierkämpfer diskutiert. Ja, man ist in Spanien und der Held der Plaza de Toros ist dem Volke eine wichtigere Person als ein neuer Gouverneur oder Staatsminister – das spricht aus dem Bilde Frankes uns lebhaft entgegen.

Andere Völker, andere Sitten. Wir können Stier- und Hahnkämpfen keinen Geschmack abgewinnen, ja, müssen solche Schaustellungen als Roheit verdammen. Orientalische Barbaren haben die Stiergefechte nach Spanien verpflanzt und sie haben leider nicht nur bei den Spaniern, sondern auch bei den Südfranzosen Anklang gefunden. Seit Jahrhunderten werden jährlich Tausende von Stieren und Pferden in grausamster Weise zerfleischt und Menschenleben aufs Spiel gesetzt. Hoffen wir, daß die fortschreitende Gesittung endlich diesen barbarischen Spielen in Europa ein Ende bereiten werde!

Gefälschte Kiebitzeier. In Wien ist der Verkauf von Kiebitzeiern durch Landesgesetz verboten. Trotzdem werden dort diese Eier im geheimen verkauft und von den Feinschmeckern erst recht teuer bezahlt. Wie nun in der „Zeitschrift für Nahrungsmittel-Untersuchung“ (Wien, Moritz Perles) berichtet wurde, schickte man nach der Kaiserstadt an der Donau aus Galizien einen Posten Kiebitzeier, die sich bei näherer Untersuchung als gefälscht erwiesen. Der Lieferant hatte einen Posten möglichst kleiner Hühnereier ausgesucht und dieselben mit entsprechenden Farbstoffen bemalt. Dieser Vorfall beweist wieder, daß vor der Zunft der Nahrungsmittelfälscher nichts sicher ist, nicht einmal die Kiebitzeier! *      


Inhalt: In die Welt hinaus. Gedicht von Martin Greif. Mit Bild. S. 241. – Fata Morgana. Roman von E. Werner (14. Fortsetzung). S. 242. – Verlassen. Bild. S. 245. – Der „heilige Herr“ zu Offenbach. Die Geschichte eines Abenteurers. Von C. Wellnow. S. 246. – Ankündigung des Stierkampfes. Bild. S. 249. – Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit. Eine neue Accumulatorenbahn. Von Franz Bendt. S. 251. Mit Abbildung S. 252. – Der Klageschrei. Eine türkische Geschichte von Rudolf Lindau (Schluß). S. 252. – Baumkänguruhs. Bild. S. 253. – Im Seemannshaus zu Kiel. Von Georg Hoffmann. Mit Abbildungen S. 257, 258 und 259. – Blätter und Blüten: Otto Roquette, der Dichter von „Waldmeisters Brautfahrt“. S. 259. – Ein Mahnruf an Schulbehörden und Eltern. S. 260. – Verlassen! S. 260. (Zu dem Bilde S. 245.) – Baumkänguruhs. Von P. Matschie. S. 260. (Zu dem Bilde S. 253.) – Künstlicher Zucker. S. 260. – Ankündigung des Stierkampfes. S. 260. (Zu dem Bilde S. 249.) – Gefälschte Kiebitzeier. S. 260.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0260.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)