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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

von Tropfen, die noch an den Aesten hingen, ergoß sich über den Mann, der da so einsam und düster am Stamm lehnte. Er fuhr auf und strich mit der Hand über die Stirn.

„Ja, es war Zeit!“ sagte er halblaut. „Und auch für mich ist es hohe Zeit – zum Erwachen.“

Er wandte sich zum Gehen, dabei glitt sein Blick noch einmal über die Landschaft und ein unendlich herbes Lächeln zuckte um seine Lippen.

„Da liegt’s! Und das ist kein Luftgebilde, das ist volle Wirklichkeit, aber sie behält doch recht, die alte Wüstensage. Unnahbar, unerreichbar! Und wer sie umfassen will, dem zerfließt sie in den Armen – die Fata Morgana!“

(Fortsetzung folgt.)


Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Moderne Steckbriefe.

Kriminalistische Skizze von C. Richter.


Das „Signalement“ ist die Beschreibung einer Person zum Zwecke ihrer Wiedererkennung. Diese Beschreibung wird oft angewandt und kann in den verschiedensten Lebenslagen von größter Bedeutung sein. Für einen ehrlichen Bürger kann ein flüchtiges ungenaues Signalement die unangenehmsten Folgen haben. Er weiß nicht, daß er das Unglück hat, einem Verbrecher, auf den die Polizei fahndet, ähnlich zu sehen; ein Kriminalbeamter bemerkt dies und nimmt den Mann fest, der nun oft lange Zeit hinter Schloß und Riegel verbringen muß, bis seine Identität festgestellt wird. Auf Reisen ereignen sich solche mißliebige Verwechslungen am häufigsten, weil da zuverlässige Zeugen, welche die Person des unschuldig Verdächtigten festzustellen vermögen, am Orte der Verhaftung fehlen. Entschuldbar sind aber derartige Irrtümer, die von den Kriminalbeamten begangen werden, denn die Aehnlichkeit einzelner Menschen ist oft überraschend groß. Dabei sind die gewöhnlichen Signalements, die in den Steckbriefen erlassen werden, so allgemein gehalten, daß sie auf viele Personen passen können.

Vornahme der Messungen für das anthropometrische Signalement.
1. Körperlänge. 2. Spannweite. 3. Sitzhöhe. 4. Kopflänge. 5. Kopfbreite.
6. Rechtes Ohr. 7. Linker Fuß. 8. Linker Mittelfinger. 9. Linker Vorderarm.

Diese Mangelhaftigkeit der Signalements und die damit verbundene Schwierigkeit in der bestimmten Wiedererkennung einer Person ist den Gewohnheitsverbrechern wohlbekannt, die falsche Namen annehmen und ihr Vorleben der Polizei und den Gerichten verheimlichen. Um diese Bande, welche die öffentliche Sicherheit am ärgsten bedroht, wirksam bekämpfen zu können, haben die Kriminalbeamten zu allen Zeiten nach zuverlässigen Mitteln zur Feststellung der Identität einer Person gesucht; aber lange blieben alle diese Bemühungen nur von einem geringen Erfolge begleitet. Vor dreißig Jahren stellte man die Photographie in den Dienst der Kriminalpolizei, man photographierte die Verbrecher und legte die sogenannten Verbrecheralbums an. Es wurde jedoch mit der Zeit schwierig, sich in diesen Bildergalerien verdächtiger Menschen zurechtzufinden. Während der letzten zehn Jahre hat die Pariser Polizei über 100 000 solcher Photographien gesammelt. Wie sollte es nun möglich sein, jedes einzelne dieser 100 000 Bilder mit jeder einzelnen der 100 Personen zu vergleichen, die täglich in Paris festgenommen werden! Und würde man dies wirklich bei einem besonders verdächtigen Uebelthäter versuchen, so würde die Nachforschung eine wochenlange anstrengende Thätigkeit erfordern, nicht zu gedenken der Fehler und Auslassungen, welche eine für das Auge so langweilige und ermüdende Arbeit mit sich bringen müßte. Die Photographie kann den Beamten in seinen Nachforschungen wohl unterstützen, aber sie ist kein Mittel, das eine sichere Wiedererkennung einer bestimmten Person gewährleistet. Man suchte darum nach anderen Merkmalen, die für einzelne Menschen besonders charakteristisch sein würden, und schlug vor, zu diesem Zwecke Abdrücke der Hautzeichnungen der inneren Fläche des Daumens anzufertigen, da diese Zeichnungen bei jedem einzelnen Menschen andere Figuren ergeben. Diese Methode, die in China gebräuchlich sein soll, ist jedoch völlig unpraktisch, weil die Zeichnungen sich nicht klassifizieren lassen und das Vergleichen derselben eine unverhältnismäßige Mühe und Arbeit bereiten würde. Zweckmäßiger sind schon die Vorschläge, die Farbe und Zeichnung der Regenbogenhaut des Auges wiederzugeben oder von den Ohren eine Photographie oder einen Gipsabguß herzustellen, da diese beiden Körperteile ihre Form von der Kindheit bis ins höchste Alter fast gar nicht verändern. Aber für sich allein konnten auch diese Kennzeichnungssysteme keinen Anspruch auf völlige Sicherheit erheben.

Die vollendetste Lösung der Aufgabe lieferte erst Alphons Bertillon in Paris; seine Methode, die unter dem Namen das „anthropometrische Signalement“ bekannt wurde, wird seit etwa einem Jahrzehnt in Paris und anderen Städten angewandt und hat in der That ausgezeichnete Erfolge aufzuweisen. Die Wiedererkennung der einmal festgenommenen Uebelthäter geschieht mit solcher untrüglichen Sicherheit, daß sie zu einem wahren Schrecken der Gewohnheitsverbrecher geworden ist. In seinem Werke „Das anthropometrische Signalement“[1] führt Bertillon folgendes Beispiel an: „Die Kategorie der internationalen Taschendiebe hat sich seit Einrichtung unseres Dienstes in Paris jährlich vermindert. Diese Industrieritter haben die Gewohnheit, jedesmal ihren Namen zu wechseln, um der Strafe des Rückfalles auszuweichen. Seitdem


  1. Von diesem Werk ist kürzlich im Verlage von A. Siebert in Bern und Leipzig eine deutsche Ausgabe erschienen, die Dr. v. Sury, Professor der gerichtlichen Medizin an der Universität Basel, besorgt hat.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0268.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)