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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Es half dem armen Ellrich gar nichts, daß er mit seiner von dem Professor Leutold aufgeschnappten Wissenschaft seiner Begleiterin zu imponieren versuchte. Fräulein Mallner ließ sich nun einmal nicht imponieren, sie fiel ihm ärgerlich ins Wort.

„Bleiben Sie mir mit den vertrackten Namen vom Leibe, Sie wissen, ich kann die alten Mumien nicht leiden! Also heiraten wollen Sie noch auf Ihre alten Tage? Mein seliger Martin hat es freilich auch so gemacht, aber dafür mußte er es noch im Grabe erleben, daß seine Witwe wieder heiratete und jetzt drei Jungen hat, die sich den ganzen Tag prügeln. Das hatte er davon! Aber wenn sich die Männer einmal eine Dummheit in den Kopf setzen, dann hilft es nichts, wenn man ihnen Vernunft predigt – die Dummheit wird gemacht!“

Herr Ellrich schwieg tiefgekränkt, er wurde schon wieder schlecht behandelt von der rücksichtslosen Dame, die in den zehn Jahren nicht das Geringste von ihrer Grobheit eingebüßt hatte, eher schien sie Fortschritte darin gemacht zu haben. Aber er war doch bedenklich geworden: das Schicksal des seligen Martin, „der im Grabe noch so etwas erlebte“, schien ihm nicht gerade beneidenswert.

Man war inzwischen bei der Bertramschen Villa angelangt, aus deren Garten lauter fröhlicher Lärm ertönte. Die drei Jungen spielten natürlich wieder „Wilde“ und hatten sich dazu mit dem nötigen afrikanischen Beiwerk ausgestattet. Sogar der kleine Hans trug einen Büschel von alten Hahnenfedern auf dem Kopfe und bemühte sich, die allerentsetzlichsten Grimassen zu schneiden, während er eine kleine Gartenspritze als Mordinstrument schwang. Bei dem Anblick des Fräulein Mallner jedoch wurde das Spiel unterbrochen und die ganze Gesellschaft stürzte mit lautem Hallo der Tante entgegen, umringte sie und begann eine Art Kriegstanz um sie herum aufzuführen. Ulrike drohte ihnen scheltend mit dem Sonnenschirm und versuchte, ihre Tasche in Sicherheit zu bringen, aber gerade darauf hatte es die wilde kleine Bande abgesehen, sie mochte wohl schon ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht haben.

„Tante ist die Karawane,“ kommandierte der Aelteste. „Die überfallen und plündern wir. Eins – zwei – drei – Hurra!“

„Hurra!“ schrieen auch die beiden anderen und dann stürzten sie sich gemeinsam auf die Karawane, die in aller Form geplündert wurde und das Gepäck hergeben mußte. Es wurde allerdings nicht ernstlich verteidigt und die Sieger fielen schleunigst über die eroberte Beute her.

Herr Ellrich traute seinen Augen nicht, als aus der Tasche, die ihm so gefährlich erschienen war, allerhand gute Dinge zum Vorschein kamen. Ein großes Paket Chokolade, verschiedene Tüten mit Kuchen, ein Körbchen mit überzuckerten Früchten und zuletzt ein Bilderbuch. Jeder einzelne Gegenstand wurde mit lautem Freudengeschrei begrüßt und Fräulein Ulrike stand dabei, sah mit grimmigem Behagen zu und fragte dann, zu ihrem Begleiter gewendet: „Nun, habe ich nicht recht? Sind es nicht gottlose ungezogene Rangen?“

„Die Kinder scheinen nicht gerade Furcht vor Ihnen zu hegen,“ meinte Herr Ellrich, der maßlos erstaunt war.

„Diese heillose Bande hat vor niemand Furcht, und wenn der Gottseibeiuns in eigener Person käme, sie würde ihn auslachen,“ sagte das Fräulein entrüstet. „Jetzt teilt Euch in den Kuchen, das übrige wird bis morgen aufgehoben und das Bilderbuch gehört dem Hansel, verstanden?“

Damit marschierte sie nach dem Hause und winkte ihrem Begleiter, zu folgen. In der Veranda fanden sie denn auch Bertram und seine Frau, die beim Kaffee saßen und mit freudiger Ueberraschung den alten Bekannten begrüßten.

„Herr Ellrich!“ rief der Hofrat, ihm die Hand hinstreckend.

„Das ist brav, daß Sie Wort halten und uns einmal in Kronsbcrg besuchen. Wie ist es Ihnen denn ergangen?“

Herr Ellrich hatte seine Höflichkeit ebenso unverändert bewahrt wie Fräulein Mallner ihre Grobheit. Er sprach in wohlgesetzten Worten seine Freude über das Wiedersehen aus, war entzückt über das blühende Aussehen der Frau Hofrätin, gratulierte zu den drei Jungen, deren Bekanntschaft er soeben gemacht habe, und nahm dann den angebotenen Platz ein.

„Ja, ich habe ihn unterwegs aufgefischt,“ sagte Ulrike. „Ich kam gerade von Birkenfelde. Uebrigens ist die Sache dort abgemacht, wir sind handelseins geworden.“

„Bravo!“ rief Bertram, „Sie werden mit dem Kaufe zufrieden sein,“ und zu Ellrich gewendet, fügte er erläuternd hinzu: „Fräulein Mallner ist im Begriff, sich hier anzukaufen und unsere hochverehrte Mitbürgerin zu werden – sie kann nämlich nicht leben ohne meine Jungen, und nur um in ihrer Nähe zu bleiben, kauft sie Birkenfelde.“

„Dergleichen Scherze verbitte ich mir!“ fuhr Ulrike zornig auf. „Sie wissen doch am besten, daß ich nur fortgehe, um Ruhe im Hause zu haben. Hier macht Ihre Berserkergesellschaft ja einen Lärm, daß man aus der Haut fahren möchte. Aber in Birkenfelde bin ich Herr und Meister, da sollen mir die Jungen nur kommen, ich werde ihnen die Wege weisen!“

Sie nickte dräuend mit dem Kopfe, unterbrach sich aber plötzlich und horchte auf, denn draußen im Garten gab es in der That schon wieder Lärm, die drei hoffnungsvollen Sprößlinge waren einander in die Haare geraten. Hansel hatte sich in aller Bescheidenheit die allergrößte Portion Kuchen zugeeignet, und als seine Brüder ihm dieselbe wieder abnehmen wollten, wehrte er sich und schrie aus vollem Halse: „Tante Ulrike! Tante Ulrike!“

Diese säumte denn auch nicht, ihrem Liebling zu Hilfe zu kommen, sie ließ ihren Kaffee im Stich und schoß wie ein Stoßvogel davon und mitten hinein in die streitende Gruppe. Sie hatte sich längst den praktischen Griff angewöhnt, mit dem Frau Selma bei ihren Jungen Ruhe zu stiften pflegte, und so faßte sie denn auch jetzt den Adolf mit der Rechten und den Ernst mit der Linken und schüttelte sie, daß ihnen Hören und Sehen verging. Dann nahm sie den triumphierenden Hansel samt seinem Kuchen auf den Arm und trug ihn nach der Veranda.

„Fräulein Mallner scheint sich ja ganz merkwürdig verändert zu haben,“ sagte Herr Ellrich, der sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen konnte. Bertram lachte.

„Ja, sie stellt sich noch grimmig genug an, allein sie ist ganz unschädlich geworden, und das haben unsere Jungen zustande gebracht. Sie zankt zwar den ganzen Tag mit ihnen, aber dabei verzieht und verwöhnt sie sie in der unglaublichsten Weise und der Hansel hat sie nun vollends zu seiner Sklavin gemacht.“

Die beiden ältesten Knaben schienen sich in der That nicht viel aus der empfangenen handgreiflichen Zurechtweisung zu machen, denn sie hingen wie die Kletten an der Tante, als diese mit hochrotem Gesichte wieder erschien und dem Hofrat erklärte, er könne es vor Gott und den Menschen nicht verantworten, daß er der Welt eine so heillose Bande erziehe.

„Ja, das sind auch meine Jungen – das ist das Gesetz der Vererbung!“ sagte Bertram, ihr freundschaftlich zunickend, während Selma drängte: „So erzähle uns doch von Birkenfelde, Du liefst ja mitten in dem Berichte davon.“

„Nun, da ist nicht viel zu erzählen, die Sache ist in Ordnung,“ erklärte Ulrike. „Dein Mann hatte ganz recht, mir den Kauf anzuraten, die Besitzung ist sehr preiswert, das Haus hübsch und geräumig und gerade so viel Landwirtschaft dabei, um nicht aus der Uebung zu kommen. Morgen wird der Kaufvertrag unterzeichnet und in vier Wochen ziehe ich hinaus. – Ja, ja, Ihr Jungen, dann gehe ich fort und komme nicht wieder.“

Die Jungen machten große Augen bei dieser Ankündigung und die beiden älteren erhoben sofort leidenschaftlichen Wiederspruch. Hansel aber, der noch auf dem Schoße der Tante saß, nahm die Sache sehr gemütsruhig und erklärte mit großer Entschiedenheit: „Ich gehe mit!“

„Das wirst Du bleiben lassen,“ sagte der Vater strafend. „Die Tante geht überhaupt nur fort, weil sie Euren Lärm und Eure Ungezogenheiten nicht mehr aushalten kann. Wenn Ihr Euch in Birkenfelde sehen laßt, wirft sie Euch zur Thür hinaus.“

„Das geht Sie gar nichts an, was ich in Birkenfelde mache,“ rief Fräulein Mallner, ihm einen wütenden Blick zuwerfend. „Sie gönnen Ihren Kindern wohl nicht das bißchen Vergnügen? Nun gerade sollen sie mich besuchen und den Hansel nehme ich überhaupt gleich mit auf acht Tage. Dann bekommt er auch einen kleinen Wagen mit zwei Ziegen, wie er ihn sich längst schon gewünscht hat, aber Sie erfüllen ihm natürlich den Wunsch nicht, da kann er lange bitten.“

Hansel jauchzte laut auf bei dieser Verheißung und strampelte vor Vergnügen, die andern beiden aber benutzten schleunigst die Gelegenheit, um der Tante nun auch verschiedene Wünsche ans Herz zu legen. Diese hielt sich die Ohren zu, der Hofrat aber sagte mit ernster Miene: „Tante Ulrike, Sie können es vor Gott und den Menschen nicht verantworten, wie Sie meine Jungen verziehen. Ich lege als Vater feierlichst Verwahrung dagegen ein.“

(Fortsetzung folgt.)


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0296.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)