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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

um möglichst rasch der Situation ein Ende zu machen. Der Direktor verlangte mit Entschiedenheit eine Tracht Stockprügel für den Heulmeier und Karl und Ludwig rasten hinter Männe her, der seine Fessel nachschleifte und in großen Sätzen in der Ferne verschwand.

Von diesem Tage an begann der Guerillakrieg zwischen Männe und dem Direktor. Männe, der genau merkte, daß die Sympathien der Pension auf seiner Seite waren, wurde immer frecher. Er war des Abends nicht zu finden, als man ihn nach seiner Pension bringen wollte, und mußte bis um 12 Uhr mit der Laterne und dem Nebelhorn in den Dünen gesucht werden. Als man ihn da auch nicht fand, triumphierte der Unausstehlius bereits, in der Hoffnung, daß die See am Ende mal energisch „Buu!“ gemacht und seinen Feind verschlungen hätte.

Als aber die landgerichtsrätliche Familie zu Bett war, nachdem sie zuvor die ganze Pension für die Verzögerung der Schlafenszeit flehentlich um Entschuldigung gebeten hatte, hörte Karl unter seiner Lagerstätte tiefes, regelmäßiges Atmen. Er griff zu; da packte er Männes weiches Fell und zog den Uebelthäter hervor, der sanft und süß da geschlafen hatte, während alles nach ihm die Dünen abrannte.

Beide Jungen, die sich in diesem unvorhergesehenen Fall nicht zu benehmen wußten, tappten nun im Nachtkostüm aus den Betten und weckten die Eltern mit der Frage: „Was sollen wir machen?“

Der Landgerichtsrat weinte fast vor Empörung. Er sah aber die Unmöglichkeit ein, den Teckel jetzt, nachts um Zwölf, in seinen Schuppen zu bringen, und beförderte Männe und Jungen mit der ingrimmigen Versicherung: „Dazu bin ich nicht in Ehren grau geworden, um wie ein Schmuggler in beständiger Angst zu leben,“ in ihre Schlafkammer.

„Beschwert sich morgen jemand über den Männe,“ setzte er mit großer Entschiedenheit hinzu, „so reist Ihr beide ohne Gnade mit dem Hunde ab und kommt zum Ordinarius in Pension!“

Karl und Ludwig wankten bei dieser Aussicht als an Leib und Seele gebrochene Männer davon. Die Nacht verging aber soweit ruhig, nur gegen Morgen, als sich Schritte dem Hause nahten, stieß Männe ein kurzes, zorniges: „Wuff!“ aus. Die Jungen, mit dem glücklichen Schlaf der Jugend, hatten nichts gehört – hingegen war die Mutter im Nebenzimmer erwacht und lag, in Angstschweiß gebadet, mit wild schlagendem Herzen da in der Sorge, daß jemand den gesetzwidrigen Laut gehört hätte. Es war nicht geschehen, aber die Landgerichtsrätin versicherte am nächsten Morgen, sie wäre in dieser Nacht um Jahre gealtert.

Männe empfand mit seinem ganzen Feingefühl, daß seine Stellung durch die Vorgänge der letzten Zeit erschüttert war. Er hatte sogar gesehen, daß der Landgerichtsrat auf einem gemeinsamen Spaziergang einen der wenigen auf der Insel gedeihenden Sträucher um eine biegsame Gerte geschädigt hatte, über deren Zweck er sich nicht näher aussprach und die in Männe die dumpfe, peinigende Ungewißheit hervorrief, ob sie für ihn, oder für Ludwig, oder für sie beide bestimmt sei! In jedem Fall empfand Männe die Notwendigkeit, etwas zu thun, um sich zu rehabilitieren. Er hatte wohl bemerkt, daß er bei kleinen Angriffen gegen den Direktor zwar öffentlich getadelt, aber nachher öfter mit der unvorsichtigen Wendung: „Das war recht, Männe!“ von einigen Gästen ermutigt worden war. Der Gedanke, den allgemeinen Störenfried wegzuärgern, nahm daher mehr und mehr von Männes Seele Besitz und wurde nun mit Zähigkeit ins Werk gesetzt.

Der Direktor war, neben seinen anderen angenehmen Eigenschaften, ein grenzenloser Pedant, der alles gern zur selben Stunde und nach denselben Grundsätzen ausführte und Störungen in seinen Gewohnheiten über alles haßte. Er blieb zum Beispiel immer abgezählt so lange im Wasser, bis ihm gerade drei Wellen über den Kopf gegangen waren, und lebte der festen Ueberzeugung, daß eine vierte ihm den Erfolg der ganzen Kur streitig machen würde! Ferner ging er jeden Nachmittag, „stumm und alleine“ wie das unglückselige Weib in dem Heineschen Liede mit dem Dichter am Fischerhaus saß, spazieren, und zwar in einem Tempo, als wenn er für die Meile von Staatswegen fünf Pfennig bezahlt bekäme.

Neuerdings schloß sich Männe zur namenlosen Empörung des alten Herrn öfter seinen Spazierenrennereien an und erwies sich bei dieser Gelegenheit als Besitzer eines so dicken Felles, daß ihn jedes Nilpferd hätte mit Thränen darum beneiden können. Er lief zunächst anscheinend harmlos neben dem Direktor her, und wenn dieser sich anschickte, ihn fortzujagen, machte Männe ein so unbefangenes Gesicht, als wenn er sagen wollte: „Was haben Sie denn eigentlich, verehrter Herr? Ich amüsiere mich hier auf eigne Hand und das kann mir am Strande niemand verbieten!“

Mit der Zeit wurde Männe aber dreister. Er schien die rasche Gangart des Unausstehlius als eine Aufforderung zu geselligen Scherzen zu betrachten – er rannte bellend und fröhlich hinter ihm drein und wollte ihn fangen.

Alsdann begann er aus seelisch unaufgeklärten Gründen eine Art kunstvoller Polonaise um die Beine des Direktors herum und zwischen denselben hindurch auszuführen, so daß der Beklagenswerte ein paarmal fast hingestürzt wäre und es als eine neue raffinierte Niederträchtigkeit der Nordsee auffaßte, daß der Seesand keine großen Steine enthielt, mit denen er Männe hätte „erwerfen“ können. Er raffte daher, in äußerster Wut, Fäuste voll Sand und Muscheln auf und warf sie nach dem Teckel, der das als einen allerliebsten Spaß auffaßte und jauchzend zur Wiederholung einer so netten Unterhaltung aufforderte.

Die Zuschauer waren im höchsten Grade belustigt durch das Schauspiel des zornigen Direktors und des fidelen Männe, der sich recht wie ein unartiger Junge benahm und sich vor Vergnügen über den ohnmächtigen Aerger des allgemeinen Unlieblings nicht zu lassen wußte.

Dem Direktor entging es natürlich nicht, daß die Badegesellschaft sich über den Zweikampf von Mensch und Teckel königlich amüsierte, und seine Widerwärtigkeit steigerte sich von Tag zu Tag, so daß man sich mit jedem neuen Morgen staunend davon überzeugte, daß man immer noch beim Komparativ sei und den Höhepunkt noch nicht erreicht habe.

Schließlich war man aber auf dem Höhepunkt wenigstens des Ertragens angekommen und erwog allseitig die fast unwiderstehlich sich aufdrängende Notwendigkeit, den Direktor auf gemeinschaftliches Risiko hinaus zu werfen.

Männe sah ein, daß ein solches Unternehmen für die ihm so wohlwollenden Menschen sehr peinliche Folgen – für ihn aber höchstens eine Tracht Prügel nach sich ziehen könnte, die er im Interesse der guten Sache mit heldenmütiger Selbstlosigkeit hinzunehmen beschloß.

Er überlegte sehr ernstlich und reiflich und er handelte schließlich nach der Eingebung des Augenblicks – stets das sicherste Verfahren für ein Genie, wenn es zum Ziele kommen will!

Der Direktor badete, wie erwähnt, immer nur ganz kurze Zeit, mochten Sonne, Wasser und Luft noch so verlockend sein, und faßte jede Verzögerung seines Hinaussteigens sowie seiner Toilette als ein wahres Majestätsverbrechen auf, so daß man, mit dem anerzogenen Respekt des Menschen vor der Unausstehlichkeit, schon förmlich Spalier bildete, um ihn auf dem Wege nach dem Badekarren ja keine Sekunde aufzuhalten. Der alte Herr erfreute sich eines Paars sehr auffällig gelb und schwarz geringelter Socken, die aussahen, als wenn sie eine fleißige Tigerin an langen Winterabenden für ihren Mann gestrickt hätte. Diese Strümpfe hatte Männe schon öfter bei seinen Zweikämpfen mit dem Direktor mit Mißbilligung als geschmacklos bemerkt. Um den ihm gehörigen Badekarren zu rascher Wiederauffindung zu kennzeichnen, pflegte der Besitzer der Tigersocken dieselben auf der ersten Treppenstufe des Karrens niederzulegen. Heute, an einem besonders schönen, durch kräftigen Wellenschlag sich auszeichnenden Tage befanden sich die männlichen Mitglieder unserer Gesellschaft noch im Wasser. Karl und Ludwig, die ihr Bad eben hinter sich hatten, rollten noch ein wenig im sonnendurchwärmten Sande umher und spielten mit Männe, der sich schon an das fremde Element gewöhnt hatte und kleine Wellen zu beißen versuchte.

Der Direktor hüpfte wie ein bissiger Flußgott unweit der Jungen umher und schickte sich eben an, nach der vorschriftsmäßigen dritten Welle das feste Erdreich wieder zu gewinnen. Da erblickte ihn Männe, und die Gelegenheit freudig ergreifend, vertrat er seinem Feinde den Weg und bellte ihn an. Der Direktor stieß wütend mit dem Fuß nach Männe und wollte ihm ausweichen – Männe war aber flinker, stellte sich wieder vor ihn hin und kläffte laut und energisch, der alte Herr schrie außer sich vor Entrüstung auf die Jungen ein, die sich vor Lachen über den Anblick der beiden Kämpfer im Sande krümmten und vergeblich Männe zu rufen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0306.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)