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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Bestimmtheit ausgesprochenen Forderung zu fügen. Er verneigte sich daher und bot der Dame den Arm, um sie in das Haus zu führen. Hier geleitete er sie in einen Salon und ging dann unverzüglich zu seinem Freunde.

Zenaide hatte sich niedergelassen, aber schon in der nächsten Minute sprang sie auf und trat an das Fenster, um es gleich darauf wieder zu verlassen. Die lächelnde, sonnige Schönheit der Landschaft da draußen erschien ihr wie ein Hohn. In fieberhafter Unruhe begann sie in dem Gemach auf und nieder zu schreiten, man sah es, daß sie zum Aeußersten entschlossen war. Sie hatte es ja gewußt, daß sie sich das Wiedersehen mit ihrem Kinde erst werde erkämpfen müssen – nun gut, sie war zum Kampfe bereit!

Da öffnete sich die Thür und Lord Marwood erschien auf der Schwelle. Er war noch immer ein schöner Mann, fast unverändert in seiner äußeren Erscheinung, vornehm, kalt, hochmütig wie sonst, nur daß sich diese Kälte und dieser Hochmut noch schärfer ausprägten als früher, und jetzt vollends lag in seiner Haltung eine eisige Unnahbarkeit.

Er machte seiner Gemahlin eine Verbeugung, so förmlich und abgemessen, als stünde er einer völlig fremden Dame gegenüber. Sie erwiderte den Gruß nicht und sprach auch nicht, nur ihre Augen waren voll und finster auf den Mann gerichtet, der noch ihr Gatte hieß und der Vater ihres Kindes war. Er nahm zuerst das Wort.

„Sie wünschen mich zu sprechen, Mylady, wie ich von Hartley höre. Darf ich fragen, was mir die Ehre dieses unerwarteten Besuches verschafft?“

„Wollen wir uns die Komödie nicht lieber ersparen?“ fragte Zenaide herb. „Sie haben mir keine Wahl gelassen und mich gezwungen, meinen Sohn hier bei Ihnen aufzusuchen, haben mich zu dieser Begegnung gezwungen, von der ich befreit zu sein hoffte für alle Zeit. Sie erraten wohl, was mich das kostet – gleichviel, ich bin hier und will meinen Percy sehen! Ich fordere mein Recht, das Recht der Mutter, das Sie mir bisher in so unerhörter Weise versagt haben und das kein Gesetz mir abstreiten kann!“

„Das wäre doch noch die Frage,“ entgegnete Marwood kalt. „Als Sie England verließen, freiwillig verließen, da leisteten Sie Verzicht auf Ihre Rechte als Gattin und Mutter und es steht bei mir, ob ich sie noch anerkennen will.“

„Und das sagen Sie mir!“ rief Zenaide mit sprühenden Augen. „Sie, der mich zu diesem Schritte getrieben hat? Ja, ich bin einem Leben entflohen, das für mich zur Hölle geworden war – durch Sie! Ich habe die Fesseln zerrissen, mit denen Sie mich an die Welt ketteten, der Sie angehören, wo jede warme Regung, jedes Gefühl erstickt wird in kalten lügenhaften Formen. Hätte ich ahnen können, daß Sie das benutzen würden, um mir mein Kind zu nehmen, vielleicht hätte ich trotz alledem diese Hölle ertragen.“

Marwoods Antlitz blieb völlig unbewegt bei diesem leidenschaftlichen Ausfall und auch seine Stimme verriet nicht die mindeste Erregung, als er erwiderte: „Sie sind sehr aufrichtig, Mylady, aber Sie lieben es nun einmal, sich in excentrischen Ausdrücken zu ergehen. Jedenfalls haben Sie kein Recht, sich über diese ‚kalten lügenhaften Formen‘ zu beklagen, denn Sie haben sich von jeher in einer Weise darüber hinweggesetzt, die der Gesellschaft immer wieder von neuem Veranlassung gab, mich wegen meiner Wahl – zu bedauern.“

„Die Gesellschaft, jawohl!“ Zenaide lachte bitter auf. „Das ist für Sie das einzig Maßgebende in der Welt, und daß ich diese hochmütige englische Gesellschaft stets verachtet habe, das verzeihen Sie mir nicht! Weshalb warben Sie um mich mit solcher Beharrlichkeit? Sie wußten es ja, daß ich Sie nicht liebte, ich habe Ihnen nie ein Hehl daraus gemacht, und doch setzten Sie alles daran, mich zu gewinnen. Sie haben mich auch nie geliebt, Francis, jetzt hassen Sie mich und ich gebe Ihnen den Haß zurück aus vollster glühender Seele, denn Sie haben mich jahrelang gepeinigt und gemartert mit diesem kalten Hohn, der darauf berechnet war, mich zur Verzweiflung zu treiben! Sie haben es dahin gebracht, daß ich dem Tage fluchte, wo ich meine Hand in die Ihrige legte, daß ich diese unselige Ehe –“

„Mylady, ich bitte Sie, keine Scenen!“ unterbrach sie der Lord. „Das ist allerdings Ihre stärkste Seite, aber ich verabscheue sie nun einmal. Wozu denn überhaupt diese Vorwürfe? Wir sind ja vollkommen einig in dem Wunsche, unsere längst getrennte Ehe nun auch gesetzlich aufzuheben, und ich komme Ihnen darin durchaus entgegen. Sie wissen, ich stelle nur eine einzige Bedingung.“

Aus seinen Worten und seiner ganzen Haltung sprach in der That der „kalte Hohn“, gegen den seine Gemahlin sich so aufbäumte. Man begriff es nur zu sehr, daß dieser Mann die leidenschaftliche Frau zu einem Verzweiflungsschritte getrieben hatte. Sie brach auch jetzt mit furchtbarer Heftigkeit aus:

„Sprechen Sie mir nicht von dieser unmöglichen, dieser schmachvollen Bedingung! Ich soll jedem Anspruch auf meinen Sohn entsagen? Bin ich eine Verbrecherin, die das Recht verwirkt hat, ihn in die Arme zu schließen? Ich gäbe sonst alles darum, frei zu werden von der Kette, die mir noch am Fuße klirrt, aber um diesen Preis – nimmermehr!“

„Ueberlegen Sie sich die Sache, Mylady,“ sagte Marwood eisig. „Jetzt stelle ich Ihnen noch die Wahl, und wenn Sie nachgeben, vollzieht sich unsere Scheidung mit gegenseitiger Einwilligung, ohne peinliche Zwischenfälle. Im anderen Falle würde ich diese Bedingung gerichtlich stellen und mich auf das Gesetz berufen müssen. Sie haben mein Haus verlassen, gegen meinen Willen, und sind jahrelang fern geblieben, und die Art, wie Sie diese eigenmächtig genommene Freiheit brauchten, wird nicht gerade zu Ihren Gunsten sprechen in dem Scheidungsprozeß. Ich bin sehr genau unterrichtet darüber.“

„Haben Sie mich vielleicht mit Spionen umgeben?“ fragte Zenaide verächtlich. „Es scheint beinahe so. Ich weiß, daß man allerlei Klatschereien und Verleumdungen über mich ausgestreut hat – man hat gelogen!“

„Das wäre doch erst noch zu beweisen.“

„Glauben Sie Ihren Spionen mehr als den Worten Ihrer Gemahlin? Ich sage Ihnen, man hat gelogen!“

Der Lord zuckte statt aller Antwort die Achseln. „Wir wollen jetzt nicht darüber streiten, kommen wir auf die Hauptsache zurück! Sie haben doch wohl nie daran gezweifelt, daß ich meinen Sohn und Erben, den Stammhalter meines Hauses, selbst zu erziehen und ihn nicht von meiner Seite zu lassen gedenke. Sie haben Percy seit Jahren nicht gesehen und es dürfte Ihnen auch jetzt nicht schwer werden, darauf zu verzichten – Sie haben ja vollen Ersatz.“

„Ersatz? Wofür? Was meinen Sie?“

Um Marwoods Lippen spielte ein unglaublich verletzendes Lächeln. „Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich genau unterrichtet bin. Ich meine den Helden Ihrer romantischen Jugendliebe, der jetzt wieder aufgetaucht ist. Beruhigen Sie sich, ich bin nicht eifersüchtig, bin es eigentlich nie gewesen; ich fand es nur vermessen, daß der kecke junge Glücksritter seine Augen so hoch erhob. Nun er hat ja wirklich Glück gehabt in der Welt, er ist zu einer Berühmtheit geworden, und Sie sind frei, sobald Sie es wollen. Ich glaube, es kostet Ihnen nicht viel Ueberwindung, den Namen und Rang einer Lady Marwood mit dem einer – Frau Ehrwald zu vertauschen. Sie waren nie aristokratisch angelegt.“

Zenaide erwiderte keine Silbe, nur ihre Augen flammten drohend dem Manne entgegen, der sie mit jedem Worte, jedem Blicke verletzte. Sie raffte den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung zusammen.

„Genug! Machen wir ein Ende mit dieser Unterredung. Ich kam nicht, um mit Ihnen zu streiten, meinen Sohn will ich sehen – hören Sie, ich will! Und wenn Sie es mir jetzt noch verweigern, dann dringe ich gewaltsam in sein Zimmer und will doch sehen, ob man es wagen wird, die Mutter von seiner Schwelle fortzuweisen.“

Es lag eine so wilde Energie in den Worten, daß der Lord einsah, er könnte seine Weigerung nicht aufrecht erhalten, wenn er nicht eine peinliche Scene heraufbeschwören wollte, und er verabscheute ja die Scenen, zumal hier in dem fremden Hause, wo er nur Gast war. Er gab nach, aber um seine Lippen spielte ein kaltes, grausames Lächeln, das nichts Gutes verhieß.

„Es sei, da Sie darauf bestehen! Ich hole Percy.“

Er ging, Zenaide preßte beide Hände gegen die Brust und atmete tief auf. Nun war es endlich erzwungen, sie sollte ihr Kind, das sie jahrelang entbehrt hatte, wieder in die Arme schließen. Und dann? Sie dachte nicht über dies „dann“ nach, für sie drängte sich alles zusammen in dem einen Gedanken des Wiedersehens.

Nach etwa zehn Minuten kehrte Marwood zurück, den kleinen Percy an der Hand. Der siebenjährige Knabe war ein schönes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0342.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)