Seite:Die Gartenlaube (1896) 0374.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

rot und goldig in ihrem Blätterschmuck und an ihrem Stamm lehnte wieder die Gestalt des Mannes, der sie in jener Mondnacht als den alten Freund seiner Kindheit begrüßt hatte. Damals war er nach langen Jahren und aus weiter Ferne zurückgekehrt, heute kam er, um Abschied zu nehmen von der Heimat, für immer.

Ehrwalds Abreise war auf morgen festgesetzt und er wollte jetzt in Burgheim Lebewohl sagen. Sein Blick schweifte langsam über das Thal und die Berge und kehrte dann nach dem Hause zurück. Er wußte ja, daß er das alles nicht wiedersehen würde, nicht wiedersehen durfte, das alte Haus, die moosbewachsenen Stufen, die dunklen Tannen und die großen tiefblauen Augen, die ihm geleuchtet hatten in jener mondbeglänzten Frühlingsnacht – nie, niemals wieder!

In der Brust des sonst so eisernen Mannes bäumte sich ein wildes, verzweiflungsvolles Weh auf, doch er zwang es nieder; wenigstens für den Augenblick. Er hatte es ja so lange getragen, nun galt es noch, die Abschiedsstunde zu tragen, und da war Lothar gegenwärtig – Gott sei Dank! da blieb man Herr seiner selbst!

Reinhart öffnete das Gitterthor und schritt durch den Garten. Er fand Sonneck in seinem Arbeitszimmer mit dem Hofrat Bertram, der bei ihm war und dem Eintretenden in seiner jovialen Art entgegenrief: „Da sind Sie ja, Ehrwald! Wir sprachen eben von Ihnen und ich erzählte, daß mein ganzes Haus in Sack und Asche trauert, weil Sie morgen fortgehen. Meine Jungen zumal können es nicht begreifen, wie sie ohne den afrikanischen Onkel und ihren Spielgefährten, den Achmet, fertig werden sollen, und haben nicht übel Lust, auch nach Afrika durchzugehen. Ich werde auf meiner Hut sein müssen.“

„Ja, sie haben mir auch derartige Pläne anvertraut,“ entgegnete Ehrwald mit einem flüchtigen Lächeln, während er seinem Freunde die Hand reichte. „Ich habe ihnen aber geraten, sie noch einstweilen aufzuschieben. Ich komme eben von Lady Marwood, wo ich Lebewohl gesagt habe. Percy war noch im Bett, ist aber sonst ganz munter und die Mutter bestand darauf, daß ich ihn zum Abschied noch einmal sah und mich von ihm küssen ließ.“

„Nun, er hat auch alle Ursache, seinem Retter dankbar zu sein,“ sagte der Hofrat. „Uebrigens hat sich der kleine Lord tapfer gehalten, es war keine Kleinigkeit, diese stundenlange Todesangst, und dann die schwere Erkältung in den nassen Kleidern: allein er kam mit einem tüchtigen Fieberanfall davon, der zum Glück nicht lange dauerte. In den ersten Tagen hatte ich ernstliche Sorge um das Kind und auch um die Mutter, denn bei ihr handelte es sich auch um Sein oder Nichtsein. Ich vergesse nicht den Aufschrei des Glückes, mit dem sie an dem Bettchen in die Knie sank, als ich ihr erklären konnte, daß die Gefahr vorüber und nichts mehr zu befürchten sei. Der kleine Bursche hat sich das freilich wohl gemerkt und tyrannisiert sie schon gründlich. Sobald sie nur einen Augenblick von seiner Seite geht, ruft er nach seiner Mama und verlangt diktatorisch, daß sie bei ihm bleibe, aber sie ist ganz selig über diese Tyrannei.“

„Ja, sie hat ihren Percy schnell genug zurückgewonnen,“ mischte sich Sonneck ein. „Ein Kind fühlt ja die Mutterliebe, besonders wenn es krank ist und die Mutter Tag und Nacht nicht von ihm weicht. Ich glaube auch kaum, daß Percy jemals Liebkosungen von seinem Vater empfangen hat; Marwoods kaltes, abgemessenes Wesen ließ das nicht zu, so stolz er auch auf seinen Erben sein mochte. Du hast also bereits Zenaide Lebewohl gesagt, Reinhart? Wirst Du sie in Kairo nicht wiedersehen?“

„Nein, Du weißt ja, daß ich mich diesmal gar nicht an der Küste aufhalte und sobald als möglich den Marsch in das Innere antrete, auch nimmt Zenaide noch einen Herbstaufenthalt in Italien, Wie ich eben hörte.“

„Es geschieht des Knaben wegen,“ bestätigte Bertram. „Er ist ein zartes Kind und eben erst genesen, da darf man ihn nicht sofort aus der rauhen Hochgebirgsluft in das jetzt noch so heiße Egypten bringen, deshalb schrieb ich die Uebergangsstation vor. In acht bis zehn Tagen, hoffe ich, wird Seine kleine Lordschaft reisefähig sein. Doch nun zu Ihnen, Herr von Sonneck! Sie gefallen mir gar nicht, seit Sie zurückgekehrt sind. Ich fürchte, Sie haben Ihren Kräften zu viel zugemutet bei jener Rettungsfahrt und müssen das nun büßen.“

„Nicht doch, ich befinde mich vollkommen wohl. Ich versichere es Ihnen,“ erklärte Sonneck, doch sein Aeußeres widersprach dieser Versicherung. Er sah bleich und angegriffen aus und seine Haltung hatte wieder das Müde, Gebeugte, das während der Zeit seines jungen Eheglücks völlig verschwunden gewesen war.

„Ja, Du hast Dich zu sehr angestrengt bei der Fahrt,“ sagte Ehrwald, mit einem besorgten Blick in das Gesicht des Freundes. „Ich hätte es nicht zulassen sollen, allein in der Gefahr denkt man immer nur an das Nächstliegende. Du mußt Dich künftig mehr schonen, Lothar, dergleichen ist nichts mehr für Dich. Zum Glück sind solche Abenteuer nur Ausnahmen hier in Deutschland.“

„Die Wiederholung würde ich auch entschieden verbieten,“ fiel der Hofrat ein. „Das muß ja eine Riesenarbeit gewesen sein, sich bis zu dem sinkenden Schiffe durchzuringen. Es hat auch Aufsehen genug gemacht, die Zeitungen haben es in alle Welt hinausgetragen, und man bewundert unsere beiden Afrikahelden nun auch neuerdings noch als kühne Seefahrer.“

„Ja, Aufhebens genug hat man davon gemacht,“ meinte Reinhart mit einem Achselzucken. „Die Geschichte war aber im Grunde gar nichts so Besonderes. Unsereins muß eben in allen Sätteln gerecht sein.“

„Für Sie allerdings nicht,“ lachte Bertram. „Sie haben wohl schon ein Dutzend solcher Heldenstücke vollführt und werden vermutlich noch ein zweites Dutzend leisten, wenn Sie erst wieder in Ihren Wüsten und Urwäldern sind. Uebrigens scheint auch Herr von Sonneck heute afrikanische Anwandlungen zu haben, es ist doch sonst nicht seine Art, das Mordgewehr mitten unter seine friedlichen Papiere zu legen.“

Er wies scherzend nach dem Schreibtische, wo allerdings eine sehr schöne Pistole lag, offenbar von älterer Form und Arbeit, deren Lauf im Sonnenschein blinkte. Sie lag gerade auf dem Manuskripte des großen Reisewerkes und so offen, daß sie jedem ins Auge fallen mußte.

„Es ist ein Abschiedsgeschenk für Reinhart,“ sagte Sonneck ruhig. „Ich habe die Waffe vor Jahren in Kairo gekauft und sie jetzt erst wieder hervorgesucht. Schöne arabische Arbeit, nicht wahr?“

„Prächtig!“ rief der Hofrat bewundernd, indem er den sehr kunstvoll eingelegten Griff betrachtete. „Ja, in solchen Dingen sind die Orientalen Meister.“

„Das ist in der That ein schönes Geschenk. Ich danke Dir, Lothar,“ sagte Ehrwald und wollte danach greifen, aber Lothar, der die Waffe aufgenommen hatte, um sie dem Arzte zu zeigen, behielt sie in der Hand.

„Ich will sie erst noch einmal probieren und reinigen,“ bemerkte er. „Sie ist jahrelang nicht gebraucht worden, ich bringe sie Dir heut’ abend.“

„Nur vorsichtig mit solchen alten Schußwaffen,“ warnte Bertram. „Das Ding ist doch hoffentlich entladen?“

„Natürlich!“ versetzte Sonneck mit voller Gelassenheit. „Was fällt Ihnen denn ein, Doktor? Ich verstehe es doch wahrhaftig, mit Waffen umzugehen.“

Damit legte er die Pistole, ohne sie aus der Hand zu geben, in das obere Fach des Schreibtisches. Der Hofrat brach jetzt auf, er wollte noch zu Lady Marwood, um nach dem kleinen Percy zu sehen, und die beiden anderen blieben allein.

„Ich bin auf dem Wege hierher mit Hartley zusammengetroffen,“ hob Reinhart wieder an. „Er kam von Dir und wollte zu Zenaide. Hast Du Rücksprache mit ihm genommen?“

„Gewiß und sehr ausführlich. Marwood hat kein Testament hinterlassen, er stand ja auch in voller blühender Lebenskraft. Es sind also keine Bestimmungen vorhanden, die Zenaide in ihren Mutterrechten irgendwie beschränken, dagegen tritt der Ehevertrag in Kraft, der damals bei der Vermählung abgeschlossen wurde. Er sichert der Gemahlin ein reiches Wittum; die englischen Familiengüter fallen selbstverständlich an den Sohn und Erben. Hartley wird als der nächste Freund des Verstorbenen in Gemeinschaft mit einem der Marwoods die Vormundschaft übernehmen, wenn Zenaide keinen Einspruch erhebt.“

„Das wird sie schwerlich thun. Hartley hat sich ihr niemals feindselig gegenübergestellt, sondern im Gegenteil stets zu vermitteln gesucht. Ich glaube, er hatte einst eine Neigung für sie, die nie ganz erloschen ist.“

„Möglich, jedenfalls wird er ihr bei der Erziehung des Knaben keine Schwierigkeiten machen, und das wird auch von seiten der Marwoodschen Familie nicht geschehen, wenn Zenaide sich entschließt,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0374.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)