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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Wolf gestand seine Schuld in einem gleichmütigen Ton, als erzählte er etwas ganz Selbstverständliches, und vermied sorgfältig, Marie dabei anzusehen.

Diese hatte immer erstaunter zugehört und saß nun ganz still neben ihm, die große, brennende Frage im Herzen: Warum dies alles? Und neben dieser Frage auch schon die Antwort, und mit dieser Autwort ein merkwürdiges, wonniges Glücksgefühl!

Die Pferde durften jetzt laufen, so schnell sie wollten, denn die Gefahr, die Gesellschaft einzuholen, war nunmehr ausgeschlossen, und so flogen sie auf dem glatten Boden pfeilschnell dahin.

Auch Wolf schwieg. Es drängte ihn nunmehr, die Zeit auszunutzen, ihr von seiner Liebe zu sprechen, aber zugleich fühlte er sich befangen. Sein Herz schlug wild und stürmisch. Nun streifte er das erglühte Mädchen mit einem raschen Blick.

„Frieren Sie nicht?“ fragte er leise.

Marie schüttelte lächelnd den Kopf. „O nein, ich bin heute in Sammet und Pelz gewickelt – eine Anleihe bei Mama!“

Jetzt sah er erst, daß sie einen prächtigen Mantel um sich geschlagen hatte. Die arme liebe Kleine! Sie war keine von den erstaunlich wirtschaftlich befähigten Künstlerinnen, die von ihrer Gage kostbare Toiletten und Brillanten erschwingen können! Sie war anders als alle die anderen, bescheiden und anschmiegend wie ein kleines Mädchen und stolz wie eine Königin. Auch Berlau war ja so verliebt in sie, daß er die ernste Absicht hatte, sie zu heiraten! Es würde die erste kluge That seines Lebens sein. Aber Marie würde ihm unbedingt einen Korb geben! War das sicher? Berlau war immerhin reich und ein hübscher Kerl – wenigstens nach weiblichen Begriffen! Er selbst fand ihn unmännlich und beschränkt dazu, sehr beschränkt! Aber vielleicht sah sie das nicht oder wollte es nicht sehen! Wolf wandte sich ihr hastig zu.

„Sind Sie mir böse, daß ich Berlau den Streich gespielt habe?“

„O nein!“ Ein leises, frohes Lachen begleitete die Antwort.

„Wären Sie nicht lieber mit ihm gefahren?“

„Gewiß nicht!“

„Wissen Sie, daß Berlau in Sie verliebt ist?“

„Es schien mir so!“

„Er will Sie heiraten!“

„Will er?“ Die Frage klang so ironisch, daß Wolf lachen mußte.

„Werden Sie ihm einen Korb geben?“

„Ich liebe ihn ja nicht!“

„Marie!“

Der geliebte Name drang fast gegen seinen Willen über seine Lippen; er vermochte nicht mehr gegen seine Leidenschaft anzukämpfen. „Marie!“

Und als sie erschreckt aufblickte, sah sie den zärtlichen, flehenden Blick. Er beugte sich über sie und küßte sie zart, fast ehrfürchtig auf die roten Lippen.

Ein Augenblick nur war es gewesen, und Marie fragte sich, ob sie nicht geträumt habe. Vollständig fassungslos saß sie weit vorgebeugt und wagte nicht, den tief gesenkten Kopf zu erheben. Sie wußte nicht, sollte sie empört sein oder einer Empörung, die sie wirklich nicht empfand, Worte leihen. Sie wußte nur, daß sie furchtbar erregt war, daß ihr Herz statt des Zornes Jubel erfüllte und daß sie am liebsten geweint hätte – laut geweint, aber vor Freuden!

„Wir sind am Ziele,“ sagte nach einer Weile Wolf, der mit hochrotem Gesicht scheinbar gleichmütig neben ihr saß.

In Sehweite, am Rande der Straße, lag ein großes Haus, eine Art von besserer Bauernwirtschaft, die durch ihren guten Kaffee weit und breit berühmt war. Auf dem freien Platze vor demselben, unter einem einfachen Holzdache, befanden sich die Schlitten der Gäste.

Als Wolf hielt, stürzte Berlau zum Hause heraus und auf die Ankömmlinge zu. „Wie kommt das?“ stammelte er mit weit aufgerissenen Augen, von Marie zu Wolf und von Wolf zu Marie blickend. Diese errötete heftig.

„Herr von Schindler war so liebenswürdig – ich konnte mich doch frei machen … und da …“

„Da traf ich das Fräulein noch rechtzeitig. Uebrigens wünscht sie, mit überflüssigen Fragen verschont zu bleiben, lieber Berlau!“ kam ihr Wolf zu Hilfe, während er sich mit seinen Pferden zu schaffen machte.

„Aber auf dem Rückwege fahre ich Sie, nicht wahr?“ sagte Berlau schnell, und seine Stimme hatte einen flehenden Klang.

Marie lief rasch in das Haus, die Frage scheinbar überhörend. Der warme, zärtliche Händedruck Wolfs beim Aussteigen hatte ihr Herz wieder wärmer schlagen gemacht und mit glückstrahlendem Lächeln begrüßte sie die Gesellschaft.

Frau von Schmidtlein machte, als sie die Neuangekommenen sah, ein recht nachdenkliches Gesicht, und ihre forschenden Augen richteten sich oft auf Marie, die sich so ausgelassen, heiter und lebhaft gab, wie man es sonst nicht an ihr gewöhnt war. Aber wirklich besorgt wurde die mütterliche Freundin erst nach einem kurzen Gespräche mit Schindler.

„Sie sind nicht mehr nett gegen mich, Gnädigste!“ sagte dieser scherzend. „Sie laden mich viel zu selten zum Thee ein!“

Fannys Gesicht zeigte eine mißtrauische Miene.

„Warum denn?“ fragte sie kühl. „Was wollen Sie denn bei uns langweiligen alten Leuten? Wir sind viel zu solid für einen Lebemann wie Sie!“

„Eben deshalb! Ich will jetzt brav werden!“

„Brav werden?“ Fannys Ton klang beleidigend gedehnt. „Sie? – Da wollen Sie wohl heiraten?“

„Warum denn gleich heiraten?“ wagte Wolf zu erwidern, kam aber schlimm an.

„Na, das wäre doch ein Glück für Sie, wenn Sie eine gute, kluge Frau bekämen, die Sie auf den richtigen Weg brächte! Thorheiten hätten Sie nun bereits genug gemacht, um es dabei bewenden zu lassen! Und darauf können Sie sich verlassen, wo ich meine Hand im Spiel habe, da werde ich sie zu verhindern wissen; ich sehe, Gott sei Dank, scharf und werde ein wachsames Auge auf Sie – und noch jemand haben. Das merken Sie sich nur!“

Wolf entfernte sich mit etwas verdutztem Lächeln, wagte aber nichts zu erwidern, wodurch die kluge Dame sich in ihrem Verdacht nur noch bestärkt sah. Ihre Unruhe wuchs. Es lag in seinem heiteren Lächeln ein Gleichmut, der nichts übelnahm, ein Siegesbewußtsein und eine Sicherheit, die einen Grund haben mußten.

Und wer trug die Schuld daran? Sie selbst – sie, die beide zusammengeführt hatte! Heiraten wollte er ja nicht, das hatte er deutlich genug erklärt; aber verliebt war er, das konnte man ebenso deutlich sehen. Und Marie mit ihrem strahlenden Lächeln gab ihr ebenfalls zu denken. Die beiden sahen beängstigend glücklich aus! Am Ende waren sie bereits einig. Wie hatte es der gefährliche Mensch nur möglich gemacht, mit dem Mädchen allein zu fahren? Eine regelrechte Intrigue! Es mußte von ihrer Seite etwas geschehen, das war klar. Aber was?

Je weiter der Nachmittag vorrückte, um so heiterer wurde die Gesellschaft. Wolf von Schindler, der vor Uebermut und guten Einfällen sprühte, hatte Champagner mitgenommen, und der perlende Schaumwein regte die Gesellschaft bis zur Ausgelassenheit an. Der Hauptmann hielt eine zündende Ansprache, in der er den edlen Spender leben ließ.

Aber der Baron hatte noch eine andere Ueberraschung aufgespart, die von den Damen mit Jubel begrüßt wurde. Im Sitzkasten seines Gefährtes hatte er herrliche Bouquets mitgebracht, die er kurz vor der Heimfahrt verteilte. Marie erhielt den schönsten Strauß. „Zur Erinnerung!“ flüsterte er und sah ihr dabei tief und zärtlich in die Augen.

Berlau war wütend, daß nicht er auf diesen guten Einfall gekommen war, und beschloß, das nächste Mal Bonbonnieren mitzunehmen. Seine Stimmung war überhaupt nicht die beste. Marie hatte zwar versprochen, mit ihm zurückzufahren, aber seine Mama bestand darauf, ebenfalls dabei zu sein. Sie fürchte sich vor anderen Pferden; sie sei nur an ihre eigenen gewöhnt.

Berlau versuchte nach Kräften, sie noch anderen Sinnes zu machen; es wäre ihm auch beinahe gelungen, als der böswillige Schindler gerade im unpassendsten Augenblick eine schreckliche Geschichte von durchgehenden Pferden erzählte, welche die Fahrenden zu Tode geschleift hatten. Das genügte, um die furchtsame Dame bei ihrem Entschlusse verharren zu lassen.

Die Heimfahrt wurde angetreten und Marie kam nun neben Frau Berlau zu sitzen. Sie sah reizend aus mit ihren lebhaft geröteten Wangen und den glückselig strahlenden Augen. Schindler half ihr beim Einsteigen und ahnte nicht im entferntesten, daß der sanfte Händedruck, der ihn unendlich beglückte, für lange Zeit der letzte sein sollte. Weltvergessen, mit abgezogenem Hut und ohne Mantel, sah er dem davonfahrenden Schlitten nach und lachte übermütig, als Frau von Schmidtlein in trockenem Tone zu ihm sagte: „Sie werden den Schnupfen bekommen, nehmen Sie sich in acht!“

Marie saß träumerisch lächelnd im Schlitten und ließ Berlaus

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