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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Ungarn zu bieten. Dem ersten Ziel dient die historische Hauptgruppe – dem zweiten die Hauptgruppe der Gegenwart.

Budapester Ausstellung: das siebenbürgisch-sächsische Haus.

Die geschichtliche Ausstellung ist in einem großen Gebäudekomplex untergebracht, der auf der von einem Teiche umgebenen Szechenyi-Insel sich erhebt. In durchaus wirkungsvoller Weise sind hier Bauten im romanischen, gotischen und Renaissancebaustile, wie sie in Ungarn in den Regierungsepochen der Arpaden, der Anjous und Hunyaden, sowie der Habsburger aufeinanderfolgten, zu einem höchst malerischen Ganzen vereinigt. Im Innern dieser Bauten sind nun zahllose Kunstschätze und Altertümer aufgestellt, die aus Ungarns Vergangenheit stammen. Nach geschichtlichen Perioden geordnet, gewähren sie ein anschauliches Bild der Entwicklung, des Ruhmes und der schweren Prüfungen der ungarischen Nation. Nicht nur Ungarn haben hier alles Wertvolle gesammelt, das sie aus alter Väter Zeit besitzen, sondern auch die Museen der angrenzenden Länder, hervorragende ausländische Besitzer von Privatsammlungen stellten ihre auf Ungarns Geschichte bezüglichen Altertümer aus und unter den gekrönten Häuptern ist der wichtigste Aussteller der Kaiser und König Franz Josef.

Die Abteilung der Gegenwart in der Ausstellung trägt im großen und ganzen den Charakter unserer modernen Ausstellungen. Sie hat ihren Industriepalast, Maschinenhallen; sie führt uns das Unterrichtswesen, das wissenschaftliche und künstlerische Leben Ungarns vor; am besten ist wohl die Landwirtschaft vertreten, auf die Ungarns Wohlstand in erster Linie sich gründet. Feldbau und Weinbau, Garten- und Forstkultur, Viehzucht und Milchwirtschaft, Fischerei sowie die Seidenzucht haben ihr Bestes ausgestellt, und von Zeit zu Zeit beleben den Plan Tierausstellungen: dann erscheinen aus allen Gegenden des Königreichs die Züchter mit ihren besten Pferden, ihrem schönsten Hornvieh, mit Schafen und Borstenvieh und im August werden sich die Imker mit den Bienen einstellen.

Im übrigen muß noch hervorgehoben werden, daß auch diese Ausstellung ihre ganz besonderen Sehenswürdigkeiten hat. So bietet sie uns eine Heeresausstellung, wie sie bis jetzt wohl selten zustande gekommen ist, nicht nur eine Ausstellung der geschichtlichen Entwicklung des Heerwesens inmitten der von kriegerischem Sinn belebten ungarischen Nation, sondern auch eine Ausstellung des ungarischen Heerwesens in der Gegenwart. Da sind in gelungenen Modellen alle Waffengattungen, die Infanterie, Kavallerie, Artillerie, das Pionier- und Trainwesen mit voller Ausrüstung bis zur Landwehr und den Kolonnen des Roten Kreuzes in übersichtlicher Anordnung zur Schau gestellt; hochinteressant ist der Marinepavillon und endlich fehlt auch die Luftschifferabteilung nicht, die in ihrem Fesselballon zeitweilig im Stadtwäldchen Auffahrten veranstaltet.

In den Rahmen einer nationalen Ausstellung paßt vorzüglich noch eine andere Sehenswürdigkeit: das ethnographische Millenniumsdorf. Es besteht aus 32 Wohnhäusern mit 25 Nebengebäuden, und jedes derselben hat eine besondere Bauart und eine besondere Ausstattung. Der Phantasie der Künstler sind hier die engsten Schranken gezogen worden; alles, was man sieht, ist die getreueste Wiedergabe der Wirklichkeit, denn in dem Millenniumsdorf wird uns gezeigt, wie einzelne Volksstämme innerhalb Ungarns ihre Wohnhäuser bauen und ausstatten. In der Regel ist das Dorf still und tot, denn in den Häusern werden die Einwohner durch Puppenfiguren in entsprechenden Volkstrachten veranschaulicht. Zu gewissen, festgesetzten Zeiten belebt sich jedoch das Dorf durch wirkliche Landleute. Da werden Volksfeste veranstaltet, da giebt es einen Markt, auf dem man die Erzeugnisse der Volksindustrie feilbietet; es werden Hochzeiten, regelrechte Hochzeiten abgehalten. In diesem bunten Dorfe wirkt besonders anziehend das traute Haus der siebenbürger Sachsen. Deutsche Inschriften erfreuen dort unsere Augen; an der Vorderseite des Hauses der schöne Spruch:

„Der König führt das Schwert,
Der Bauer fuhrt den Pflug;
Wer alle beid’ nicht ehrt,
Ist gewiß nicht klug.“

Und über dem Hofthor steht geschrieben:

„Auch ein kleines Gut macht frohen Mut.“

Genfer Ausstellung: Alpenwiese mit Holzhäusern des Schweizerdorfes. Im Hintergrunde der künstliche Berg.
Nach einer Photographie von Fréd. Boissonnas in Genf.
Mit Genehmigung des Schweizerdorf-Komitees.

Außer diesen für ihre nationale Eigenart stets so entschieden und mutig eintretenden Stammesbrüdern sind noch andere Deutsche Ungarns in dem Dorfe vertreten: die Schwaben aus dem Torontaler Komitat, die Handlovaer Deutschen aus dem Neutraer Komitat und die durch ihren Gewerbefleiß berühmte Bevölkerung von Metzenseifen im Abauj-Tornaer Komitat. Ein buntes Bild bietet die „Nationalitäten-Gasse“, in welcher ruthenische, serbische, rumänische, bulgarische, slowakische und slowenische Häuser zu sehen sind. Am Ende des Dorfes aber neben dem Gemeindehause stehen die primitiven Hütten der ungarischen Rinderhirten (Gulyas), der nomadisierenden Schafhirten und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0441.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)