Seite:Die Gartenlaube (1896) 0454.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


heiß gerötet. Der Commis, welcher die Bank legte, und der Viehhändler waren mit schweigendem Ernst bei der Sache – nur Purtscheller schwatzte und räsonnierte über den Gang des Spiels, und dennoch schien er zerstreut und mit seinen Gedanken wo anders. Eben hatte er neue Blätter aufgenommen, aber erst die Bemerkung des Wirtes: „Ein nobel’s Blatt!“, schien ihn aufmerksam zu machen, daß die Karten diesmal gut für ihn gefallen waren.

Da klirrte ein Schlag an der Fensterscheibe, man hörte ein unterdrücktes Lachen und einen Plumps auf der Straße draußen. Scheltend öffnete der Wirt das Fenster, doch er sah nur die leere, mondhelle Straße.

„Wie nur ein Mensch Freud’ d’ran haben kann, solche Kindereien z’machen.“

„Das is kein anderer g’wesen als der Daxen-Schorschl!“ sagte die Kellnerin, die aus ihrem Schläfchen aufgefahren war.

„Der Schorschl? Ah na! Der wär’ schon ’rein ’gangen!“

Die Spieler hatten des Vorfalls nicht geachtet, und da Purtscheller noch immer verdrießlich in die Karten guckte, fragte der Bankhalter: „Wie viel?“

„Hab’ ich’s noch net g’sagt? Die Bank gilt’s: zwei König’ und ein Aß in drei Farben hab’ ich …“ Purtscheller warf die Karten offen auf den Tisch, „da halt’ ich Bank, und wenn’s um ein G’schloß geht!“

Die Karte wurde umgeschlagen – es war die Sieben der vierten Farbe – und Purtscheller hatte verloren.

„Jesus Maria!“ stammelte der Wirt erschrocken.

Doch Purtscheller erhob sich ruhig, und kaum merklich vertiefte sich die Röte seines Gesichtes. „Jetzt mag ich nimmer! Heut’ hab’ ich kein Glück … und ich hätt’ eh’ schon lang heim sollen! Sei so gut, Wirt, und zahl’ aus, ich hab’ net so viel bei mir!“ Sein Verlust überstieg dreihundert Mark – aber wer Purtscheller heißt, hat im Wirtshaus ein leichtes Borgen, und der Wirt sagt ihm noch ein Vergeltsgott für die Ehre.

Die beiden Spieler saßen schweigend hinter dem Tisch und lächelten, während Purtscheller seinen Hut vom Nagel nahm.

„Gut’ Nacht, meine Herr’n!“

Draußen auf der Haustreppe fragte er den Wirt, der ihn begleitet hatte: „Is der Rufel[1] heut net da?“

„Der Jud’?“

„Ja!“

„Heut’ net. Aber morgen oder übermorgen kommt er g’wiß.“

„So sag’ ihm, er soll ein’ Sprung zu mir ’nüber machen.“

„Haben S’ was Alt’s für ihn?“

„Der Purtscheller? Und ’s alte G’wand verkaufen? Na! So was verschenk’ ich! … Bloß ein’ Auskunft möcht’ ich.“

„So so!“ Der Wirt blickte zum mondhellen Himmel auf und streckte die Hand, wie um die Luft zu fühlen. „Frisch macht’s! Mir scheint, es zieht ein bißl an heut’ nacht. Wär’ ein Glück für die da droben, wenn der Frost bald einfallen möcht’!“

„Ja! Wär’ ein Glück! Gut’ Nacht, Wirt!“

„Gut’ Nacht, Herr Purtscheller! Ein andersmal die Ehr’!“

Es schlug Mitternacht. Dann lag wieder Stille über dem schlummernden Dorf; nur das Bergwasser rauschte im tieferen Thal und in einem der höher gelegenen Gehöfte sang ein Hund dem Vollmond sein jammervolles Ständchen.

Je näher Purtscheller seinem Anwesen kam, desto rascher wurde sein Schritt. Manchmal seufzte er schwer und spähte dabei dem Lichtschein entgegen, der im Oberstock seines Hauses aus einem Fenster fiel. Und als er den Garten erreichte, blieb er vor der Treppe stehen und sprach vor sich hin wie ein Held, der sich selbst überwunden: „Und wenn ich zehnmal der Purtscheller bin … das muß ich ihr abbitten, ja! Das is grob g’wesen!“

Lautlos öffnete er die Hausthür, streifte im Flur die Schuhe von den Füßen und schlich auf den Socken über die Treppe hinauf – um sein Kind nicht aus dem besten Schlaf zu stören.

Im Wohnzimmer brannte noch die Hängelampe; Karlin’ saß hinter dem Tisch und hielt das Gesicht in den Armen vergraben. Als die Thür ging, fuhr sie erschrocken auf.

„Grüß Dich Gott, Linerl!“ sagte Purtscheller leise und legte den Hut ab.

Hastig schob sich die junge Frau aus der Bank hervor, und damit er nicht sehen möchte, wie verweint ihre Augen waren, stellte sie sich mit dem Rücken gegen die Lampe.

Zögernd kam er auf sie zugegangen, bot ihr die Hand, und dabei wurden ihm vor Rührung die Augen naß.

„Linerl? … Kannst mir verzeihen?“

Sie vermochte nicht zu sprechen; aber sie nickte und gab ihm die Hand.

Da nahm er sie in seine Arme, zog sie zur Bank und auf seinen Schoß, streichelte ihr die Wangen und war so herzlich zu ihr, daß sie an den Ernst seiner Reue glauben mußte. Zitternd preßte sie sich an seine Brust, und das Gesicht nur halb von seiner Schulter erhebend, sagte sie mit erstickter Stimme: „Gelt, Toni, so was thust mir nimmer an? … Schau, so was könnt’ mir ’s Herz versteinern! … Ich bitt’ Dich, bitt’ Dich, thu mir ’s nimmer!“

„Aber geh, Du Narrerl, Du lieb’s!“ Auch in seiner Stimme waren Thränen. „Es is mir ja selber, ich kann Dir’s gar net sagen, wie! Aber schau, es is ja doch bloß im gachen Jähzorn g’schehen! Gern hab’ ich Dich ja doch! … Freilich, d’ Hauptschuld hab’ ich schon selber. So die erste Sorg’ hat mich halt ganz rebellisch g’macht! Der unglückselige Brief halt! … Aber freilich, ich hätt’ Dir ihn lesen lassen sollen. Eigentlich is ja gar nix dran! Da schau …“ Er zog das zerknüllte Blatt aus der Tasche, „so lies halt!“

Sie wehrte erschrocken den Brief von sich ab.

Doch er sagte: „Aber geh’, so lies doch! Jetzt will ich’s selber haben! Mann und Frau sollen doch nix g’heim haben voreinander!“

Während er sie fester umschlang und unter unsicherem Lächeln ihr Haar streichelte, fing sie zu lesen an. Immer heftiger zitterten ihre Hände; nun ließ sie das Blatt sinken und sah mit entsetzten Augen zu ihrem Manne auf.

„Toni! Um Gottswillen …“ Sie konnte nicht weitersprechen.

„So geh, Du Dschapperl! Ueber so was brauchst Dir doch kein Schrecken z’ machen!“

„Aber Toni! Es is ja ’s erste Wörtl, das ich hör’ davon! … Hypotheken auf’m Purtschellerhof! … Jesus Maria! … Toni!“

Er wurde verlegen und schob sie von seinem Schoß auf die Bank. „No ja, das Geld liegt halt noch am Hof von Vaters Zeiten her!“

„Aber da hättst mir doch lang schon was g’sagt davon!“

Purtscheller zögerte mit der Antwort. „No mein, ich hätt’ Dir halt gern die Sorg’ erspart, und drum hab’ ich Dir’s verschwiegen.“

Scheu blickte Karlin’ zu ihm auf; eine angstvolle Frage schien auf ihren Lippen zu liegen – aber sie fürchtete seinen Jähzorn und hatte nicht den Mut, ihm das ins Gesicht zu sagen.

Er vermied ihren Blick und zuckte mit gezwungenem Lachen die Achseln. „Weißt, ich hab’ mir halt ’denkt, ich könnt’ die G’schicht schön langsam abzahlen. Und die letzten Jahr’ her hab’ ich selber ein bißl schlechte Zeiten g’habt! Aber von jetzt an pack’ ich’s halt ein bißl strammer an … da bin ich in zwei, drei Jahr’ mit dem Bettel fertig!“

„Bettel? … Toni? … An die fünfzigtausend Mark?“

„Und zweimalhunderttausend is er wert, mein Hof! Da wird’s ja doch so weit net fehlen!“

Purtscheller begann ungeduldig zu werden doch als seine Frau das bemerkte und deshalb verschüchtert schwieg, wurde er wieder ruhig. Er stand auf und ging ein paarmal durch die Stube; dann sagte er: „Mein Wald droben, der muß g’schlagen werden, ’bald der Winter einfallt … sonst verschluckt ihn im Frühjahr der Berg! Und da schlag’ ich meine vier, fünf Tausend Klafter ’raus wie nix. Und an Neujahr zahl’ ich dem Schloßbräu den Schmarren hin auf’n Tisch! Blank! Und b’halt’ noch was übrig für mich!“ Er lachte im Vorgefühl der stolzen Genugthuung, die ihm dieses glatte, klingende Geschäft bereiten würde. „Der soll Augen machen! Er hat mir die Hypothek eh’ nur aus Bosheit ’kündigt, weil er mir neidisch is um mein’ Bräunl! Jetzt hat er sich zwei neue Traber eing’handelt … aber die fürcht’ ich net, die fahr’ ich ihm nieder wie nix! Gleich morgen fang’ ich mit’m Bräunl ’s Tränieren an! Der soll Augen machen!“ Er rieb sich die Hände und lachte wieder, als wäre jede Sorge von ihm abgestreift.

Karlin’ saß wortlos, das Gesicht so weiß wie die Wand.

Lachend trat Purtscheller auf sie zu und faßte ihr Kinn.

„Geh’, Du Sorgenhaferl!“ Er setzte sich an ihre Seite und umschlang sie. „Schau, lassen wir jetzt die ganze dumme G’schicht’ in Ruh’ und denken wir lieber dran, daß wir zwei wieder gut sind

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0454.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)
  1. Raphael.