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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

gewohnt waren, ihn mit Forellen in den freigebigen Händen zu sehen, waren völlig perplex bei dem ungewohnten Anblick: der Daxen-Schorschl im Schurzfell und mit dem Hammer in der Faust.

Auch Erwachsene waren ab und zu unter das Thor getreten und hatten ihm eine Weile ungläubig bei der Arbeit zugesehen, um lachend und mit Kopfschüttelu wieder davonzustapfen. Doch keiner hatte Arbeit in die Schmiede gebracht. Auch der Bauer, dessen Leiterwagen Schorschl tags vorher beschlagen hatte, war ausgeblieben. „Der Tropf! Und so fest hat er mir Arbeit zug’sagt!“

Von Stunde zu Stunde hatte Schorschl’s Laune ein immer bedenklicheres Gesicht geschnitten, in seinen scheltenden Aerger über die „hinterhältischen Leut’“ mischten sich immer wieder die Gedanken an Vroni und der unbehagliche Refrain seines Sorgenliedes: „Jesses! Jesses! Was mach’ ich mit meine Schulden! Wo nimm ich denn ’s Geld her? … Hol’ der Teufel den Zillerlenz und den Berghofbauer mitsamt der Bäckenmahm’!“

Wieder sagte er dieses Sprüchlein her, das er seit dem Morgen schon an die zwanzigmal gebrummt und gemurmelt hatte.

Auf dem Holzblock des Amboß lag noch ein Stücklein Eisenstange, welches knapp für ein Hufeisen reichen konnte. Das nahm er in die Zange. „Machen wir halt noch eins!“ Wütend bohrte er das Eisen in die Essenglut.

Ingrimmig begann er den Blasebalg zu treten aber da lachte er plötzlich und griff in die Hosentasche. Achtsam rollte er ein geschwärztes Stückchen Zeitungspapier auseinander, in welches die dreißig Pfennige eingewickelt waren, die ihm Vroni auf den Amboß gelegt hatte. Immer wieder schob er mit dem rußigen Finger die Nickel durcheinander und blinzelte sie mit vergnügten Augen an. „Die heb’ ich mir auf! … Wart’ nur, Du!“ Mit der gleichen Sorgfalt rollte er das Papierchen wieder zusammen.

Da trat Mathes in die Werkstätte, schwer atmend und wortlos.

Schorschl erkannte ihn nicht gleich; und dann fragte er verwundert: „Du, Mathes? … Was willst denn’?“

„Pressante Arbeit hätt’ ich.“

„Arbeit bringst mir? Da sag’ ich Dir doppelt Grüß Gott!“ Schorschl lachte, daß in seinem rußfleckigen Gesichte die Zähne blinkten. „Gestern d’ Vroni und heut’ schon wieder Du! Ah, da schau an! Jetzt sind gar die Simmerauer Leut’ meine … beste Kundschaft.“ Er hatte „einzige“ sagen wollen, aber das Wort noch zur rechten Zeit verschluckt. Flink nahm er die Zange aus der Esse, warf das glühende Stück Eisen zu Boden und ging mit ausgestreckter Hand auf Mathes zu. Da sah er das bleiche Gesicht des Burschen und fragte: „Mathes? Fehlt Dir was?“

„Warum? Was soll mir denn fehlen?“

„So ausschauen thust halt!“

„Ich schau aus wie allweil!“ sagte Mathes ruhig und trat tiefer in die Werkstätte, so daß der rote Essenschein über sein Gesicht fiel.

„Da muß mich ’s Taglicht unter der Thür ’täuscht heben,“ meinte Schorschl.

„Ja!“

„Weißt, wenn man die ganze Zeit so in die Glut schaut, kommen mir d’ Leut’ völlig blaß vor, wenn s’ von draußen ’reinmarschieren.“

„Ja!“

„Aber sag’, was brauchst denn?“

„Schlaudern … die Schrauben mit recht feste Muttern!“ erwiderte Mathes und nannte die Maße.

„Schlaudern?“ Schorschl erschrak. „Is denn am Häusl was passiert?“

„Ah na!“

„Aber geh, red’ doch ein bißl was! Wie steht’s denn droben?“

„Gut! … Oder doch net schlechter, als wie’s sein kann. Dem Vater z’lieb denk’ ich doch, daß wir uns durchschlagen übern Winter.“

„Aber im Frühjahr?“

„Im Frühjahr! Ja! Wenn ’s Wasser wieder mehrer wird! Da wird er harte Tag’ haben, der Vater! Aber gelt, red’ nix davon, wann zufällig mit ihm z’sammkommst. Und jetzt fang’ lieber d’ Arbeit an! Es pressiert mir!“

Schorschl holte von seinem kleinen Eisenvorrat nach langem Wählen aus der Ecke hervor, was er nötig hatte. Mathes prüfte die Stangen und sagte: „Vergeltsgott! Ich merk’ schon: ’s beste Eisen hast ausg’sucht.“

„Soll ich’s leicht für ein’ andern aufheben?“

Mit rührigem Eifer begann Schorschl die Arbeit, und Mathes, der nicht müßig stehen konnte, half dabei nach Kräften mit.

Während sie, um die Gewinde in die Eisenstangen zu schneiden, am Schraubstock standen, und zu zweit an den langen Hebeln der Schneidkluppe zogen, versuchte Schorschl ein um das andere Mal die Rede auf Vroni zu bringen. Aber dann wußte Mathes, der doch sonst mit den Worten so sparsam war, immer lang und breit von anderen Dingen zu schwatzen. Schließlich stellte Schorschl verdrossen seine Fragen ein und ließ all den heißen Unmut, der in ihm zu rumoren schien, an der Arbeit verdampfen.

Als die Mittagsglocke geläutet wurde, fragte Mathes in schlecht verhehlter Sorge: „Mußt aussetzen und Mahlzeit halten?“

Schorschl schüttelte den Kopf. „Mich hungert net!“

Zwei Stunden später war die Arbeit fertig, und die Schrauben hatten Muttern wie Fäuste so groß.

„Bist z’frieden, Mathes?“

„Ja! Besser und akrater hätt’s keiner g’macht! Wieviel bin ich denn schuldig?“

Schorschl wollte keinen Preis sagen. „Was meinst denn, daß ich verdient hab’?“

„No, mit ’m Eisen, schätz’ ich halt vier, fünf Mark!“

„Sagen wir: drei! Is eh’ schon viel!“

„Geh’, da zahlst ja drauf?“

„Gott bewahr’, da verdien’ ich noch!“

„No also, Vergelt’s Gott halt! Aber zahlen muß ich Dich ein anders Mal. Ich bin so gahlings droben fortg’rennt und hab’ nix bei mir.“

„Macht nix! Bist mir ja gut! Und b’hüt’ Dich Gott!“

„B’hüt’ Dich Gott!“

„Und grüß’ mir …“ Schorschl stockte. „Grüß’ mir Deine Leut’!“

„Ja!“

Mathes lud die schweren Stangen auf seine Schultern und verließ die Werkstätte.

Langsamen Schrittes trat Schorschl unter das Thor und sah ihm nach. „Gleich gar net reden hat er mögen mit mir … von der Vroni!“ murmelte er vor sich. „Schorscherl, Schorscherl! Da schaut’s schlecht aus!“

Mit diesem Stoßseufzer ging er ins Haus, um das versäumte Mittagsmahl nachzuholen. Bei den sorgenvollen Gedanken, die ihm Kopf und Herz durchzogen, hatte er wenig acht auf die Kocherei und ließ den Schmarren anbrennen. Da er ein zweites Mal nicht kochen wollte, mußte er sich mit einem Stück Brot begnügen.

„Wenn net bald Arbeit kommt, muß ich mich eh’ d’ran g’wöhnen, ans Brotbeißen!“ Er kehrte in die Werkstätte zurück. „Herrgott! Herrgott! Wo nimm ich denn ’s Geld her?“

Da schien ihm der Zufall – oder war’s der liebe Gott, den er so unglimpflich angerufen hatte? – einen Fingerzeig zu geben. Denn er hörte Hufschlag, der sich von der Straße näherte, und als er unter das Thor sprang, gewahrte er den Purtscheller, der seinen Traber am Zügel in den Hof der Schmiede führte.

„Der Purtscheller! Meiner Seel’! Den hau’ ich drum an! Und ich glaub’, der giebt mir’s!“

In diese freudige Hoffnung mischte sich bei Schorschl gerechtes Staunen über den Anblick, den Purtscheller mit seinem Traberzeugl bot. Um zehn Uhr vormittags war der flotte Herr gar stolz und hoheitsvoll auf seinem rot lackierten Gig zum Dorf hinausgeradelt – und wie kam er jetzt zurück! Auf Schustersrappen, den Braunen am Zügel führend … Mann, Pferd und Wagen über und über mit grauem Kot bespritzt! Galliger Aerger redete aus Purtschellers dunkelgerötetem Gesicht, während er unter lautem Schelten den Braunen, der nicht mehr gehen wollte, gegen die Schmiede zerrte. Es war ein schönes, edles Tier – aber jetzt ließ es trauernd den Kopf hängen, hinkte mit einem Vorderfuß, und immer wieder schauerte ihm das Fell, dessen brauner Metallglanz unter Kot und eingetrockneten Schaumflocken erloschen war.

Ueber dem Mitleid, welches Schorschl mit dem so übel zugerichteten Tier empfand, vergaß er den Gedanken, der bei Purtschellers Anblick in ihm aufgestiegen war.

„Ja um Gotteswillen? Was is denn? Was hat denn der Bräunl?“

„Hol’s der Teufel, ich weiß selber net!“ schrie Purtscheller.

„Eine halbe Stund’ vorm Ort draußen hat er auf einmal aus’lassen!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0518.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2023)