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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

paarmal dieses eine Wort noch vor sich hin gemurmelt: „D’ Ruh’ für uns! … D’ Ruh’ für uns!“ Dann hatte er Gesicht und Brust bekreuzigt. „Heut’, mein’ ich, schlaf ich ein bißl besser! … Komm, Mathes, schauen wir halt, daß wir d’ Ruh’ finden. Morgen heißt’s wieder fest arbeiten!“

Sie waren in den Flur getreten. Und hier in dem dunklen Raum, in dem sich der Ausdruck eines Gesichtes nicht mehr unterscheiden ließ, hatte Mathes völlig unvermittelt gefragt: „Du, Vater? Hast einmal was reden hören, als ob der Purtscheller ein G’schäft mit ’m Juden hätt’?“

„Warum fragst?“

„Weil ich den Rufel vor ’m Purtschellerhof auf der Hausbank hab sitzen sehen.“

„Den Rufel? So? So? Ah na! Der Rufel laßt sich auf schieche Sachen net ein! Da hat’s kein’ G’fahr net! Wenn’s ein anderer wär, net der Rufel … so müßt man sich freilich bald ein bißl was denken! Aber na! Der Herr Purtscheller braucht kein Juden net! So steht er doch net! Na! Ein’ Holzhandel, mein’ ich, gilt’s halt! Drüben im Wald is viel Holz g’fallen! Das möcht’ er halt gern verkaufen, der Herr Purtscheller … denk’ ich mir! Aber anbringen wird er ’s hart! Ja!“

Mathes hatte die Stube betreten, ohne ein Wort zu erwidern.

Dann war es in dem kleinen Hause still geworden. Kaum hatte Michel den weißen Kopf in die Kissen gedrückt, da war auch schon ein fester Schlaf auf seine müden Augen gefallen – zum erstenmal seit langen Wochen. Er schnarchte sogar ein bißchen. Das konnte Mathes hören, der in der finsteren Stube sein hartes Lager auf der Ofenbank eingenommen hatte; er lag mit offenen Augen, doch ohne sich zu regen.

Nur Vroni war noch auf und geisterte beim flackernden Schein eines Talglichtes in ihrer Kammer umher.

Zuweilen fuhr ein kalter Windhauch durch das offene Fenster und machte die kleine Flamme noch heftiger zucken. Mauerbrocken waren über die Dielen zerstreut, neben einer Mörtelkufe lagen Spitzhammer und Kelle und an der Wand sah man noch die offenen Löcher, in welche die Schraubenmuttern der eisernen Schlaudern eingesenkt waren. Der Tag hatte nicht mehr ausgereicht, um auch auf der Innenseite der gesprungenen Mauer den Schaden völlig auszubessern und die kleine Kammer wieder in wohnliche Ordnung zu bringen. Deshalb sollte Vroni drüben in der Stube schlafen; sie wäre lieber in ihrer Kammer geblieben – aber weil es der Vater haben wollte, that sie ohne Widerspruch nach seinem Willen und wickelte, um Auszug zu halten, die Bettdecke mit dem Unterbett und einem Kissen zu einem Pack zusammen.

Unschlüssig stand sie eine Weile mit schlaff niederhängenden Armen. Irgend etwas mußte sie noch in dem Stübchen zurückhalten – doch was es wäre, schien sie selbst nicht zu wissen. Langsam ging sie umher, schob mit dem Fuß die zerstreuten Mauerbrocken zu einem Häuflein zusammen, strich das rotgewürfelte Tuch auf der Kommode glatt, obwohl es keine Falten hatte, faßte hier etwas an, rückte dort etwas von der Stelle, öffnete die Thüren des blaugestrichenen, mit zwei flammenden Herzen bemalten Schrankes und schloß sie wieder. Lange betrachtete sie die beiden roten Dingerchen, als gäben ihr die Bilder dieses brennenden Herzenpaares viel zu denken – und das mochten nicht sehr erfreuliche Gedanken sein, denn eine harte Furche war zwischen Vronis Brauen gesenkt und herber Unmut blickte aus ihren Augen. Schließlich hob sie gar die Hand und strich über die Bretter, als wollte sie versuchen, ob die ärgerliche Malerei sich nicht fortwischen ließe. Aber das war gute, dauerhafte Farbe – in all den fünfunddreißig langen Jahren, seit dieser Kasten neu und frisch lackiert auf Mutter Katherls Hochzeitswagen seinen Einzug in der Simmerau gehalten hatte, waren die zwei roten Herzen kaum merklich abgeblaßt.

„So was Dummes! … Solchene Sachen auf ein’ Kasten malen!“

Vroni ging zu ihrem Lager und griff nach dem Bettzeug; doch wieder sanken ihre Arme. Seufzend ließ sie sich auf einen Sessel nieder, legte die Hände in den Schoß und blickte verloren vor sich hin.

Ein leises Klatschen machte sie aufblicken – vom Garten herein war eine weiße Katze auf das Fensterbrett gesprungen.

„So, Miezerl? Kommst heim?“

Leise miauend sprang die Katze auf die Dielen nieder, trippelte näher und ließ sich in aller Behaglichkeit eine Weile den Rücken krauen; dann sprang sie auf das Bett, machte sich’s bequem und begann die Pfoten zu lecken.

Wenn sich die Katze putzt, so kommt Besuch – sagt der Volksmund. An dieses Sprichwort dachte Vroni, doch schien sie von seiner Weisheit nicht sonderlich erbaut zu sein. „Ich dank’ schön! Das ging’ mir grad’ noch ab!“ murrte sie vor sich hin und erhob sich. „Ja, Miezerl, thu mir mein Stüberl hüten!“ Sie drückte am Fenster die Flügel zu, nahm seufzend das Bettzeug auf den Rücken und verließ mit dem Licht die Kammer.

In der Wohnstube machte sie auf den Dielen ihr Lager zurecht, blies das Licht aus und legte sich in den Kleidern zur Ruhe; nur das Mieder nestelte sie auf.

„Gut’ Nacht, Mathes!“

„Gut’ Nacht, Vroni!“

Eine Weile war Stille in dem finsteren Raum; dann drehte sich Mathes auf die Seite und sagte ganz leise: „Du, Vroni?“

„Was?“

„Heut’ hat er mir g’fallen!“

„Wer denn?“

„Der Schorschl.“

„So?“ Vroni bearbeitete mit der Faust das widerspenstige Kissen. „Geh, laß mich lieber schlafen! Um so ein’, wie der is, spar’ ich mir den Schlaf net ab! … Warum sagst es denn mir grad’!“

„No ja … ich hab’ mir halt ’denkt …“

„Denk’ Dir lieber ’was G’scheiters!“

„No, weil halt neulich g’meint hast: um den is schad’!“

Vroni schwieg und wickelte sich fester in die Lodendecke.

„Ja! G’fallen hat er mir!“ wiederholte Mathes nach kurzem Schweigen. „G’arbeit’ hat er wie ein Roß! Ich sag’ Dir’s, wenn er ernstlich mögen thät’, der Schorschl, könnt’ er sich bald wieder in d’ Höh’ rappeln! D’ Schmiederei versteht er wie net leicht einer! Gut macht er sein’ Sach’! Und billig! Drei Mark hat er verlangt für die Schlaudern … jeder andere hätt’ fünf, sechs Mark begehrt!“

„Natürlich!“ fiel Vroni mit gereizter Stimme ein. „Wenn der net verschleudern und ’s Geld ’nausschmeißen kann, so is ihm ja net wohl!“

„Aber geh! Wirst es ihm doch net vorwerfen, daß er ’s für uns so billig macht!“

„Wir brauchen nix g’schenkt! … Von dem! … Aber hast ihn doch gleich ’zahlt?“

„Na! Ich hab’ kein Geld net bei mir g’habt.“

„Was?“ Vroni richtete sich auf. „Schuldig bist ’blieben? … Bei dem? … No, wart’! Gleich morgen zahl’ ich die drei Mark, gleich morgen, wenn ich ’nunter komm’, ’s Brot holen! Gleich morgen! Gleich morgen!“

„So geh! Dem Schorschl pressiert’s doch net!“

„Aber mir!“

Da wurde die Kammerthür geöffnet und Mutter Katherls flüsternde Stimme ließ sich hören: „Gehts, Kinder, seids doch ein bißl stad! Der Vater hat so ein’ guten Schlaf g’funden! Thuts ihn doch net aufwecken!“

Lautlos schloß sich die Thüre wieder.

In der Stube herrschte eine Weile atemlose Stille; dann schalt Vroni mit kaum vernehmlichem Gelispel: „No also! Da hast es jetzt! Daß den Vater noch um sein’ guten Schlaf bringst … wegen dem da drunten!“

„No schau, ich hab’ ja doch ganz stad g’redt … laut bist ja Du worden!“

„… Gut Nacht, sag’ ich!“

Es pumperte auf dem Stubenboden – so unwillig hatte sich Vroni auf die Seite geworfen.

Ein paar schweigsame Minuten vergingen; dann zischelte Mathes: „Pst! Vroni!“ Keine Antwort kam – aber Mathes mußte ihr das noch sagen: „Heut hab’ ich ’s Linerl g’sehen!“

„Das hätt’ Dir Dein Schutzengel ersparen können! … Gut’ Nacht!“

Jetzt blieb Mathes die Antwort schuldig. Schwer atmend bedeckte er das Gesicht mit den Händen und drückte den Kopf in die Ofenecke.

So lagen sie stumm, jedes mit seiner nagenden Qual im Herzen. Aber die schwere Arbeit des Tages hatte sie beide zu müd’ gemacht, als daß sich der Schlummer durch diese heimlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0551.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2023)