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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

So sang er weiter, ein „lüftiges“ Schnaderhüpfl ums andere, bis er das Dorf erreicht hatte. Singend und jodelnd wanderte er die lange Dorfstraße hinunter und schlug einen Spektakel auf, daß an allen Häusern die Leute aus den Fenstern guckten oder unter die Thüre traten, um einander mit Kopfschütteln zuzurufen: „Schauts nur den Schorschl an! Heut’ hat er schon ein’ am helllichten Tag … der kann sich gut auswachsen übern Sonntag!“

Als Schorschl in die Nähe des Marktplatzes kam, begegnete er einem Trupp Burschen, die schon Feierabend gemacht hatten und in breiter, fast die ganze Straße füllender Marschlinie ihre qualmenden Pfeifen spazieren trugen.

„Wart’, da laßt sich jetzt gleich ein bißl was machen!“ dachte Schorschl. „Sie is ja im Dorf herunten … ich muß ihr was z’ hören geben!“ Inmitten der Straße stellte er sich in rauflustige Positur und ließ die Burschen herankommen. „Auf z’ Seiten, sag’ ich! Und mein’ Weg frei!“

„Ja ja ja!“ sagte einer der Burschen gutmütig, während die anderen lachten. Und die Linie teilte sich.

„Weiter auseinander!“ schrie Schorschl. „Das Gaßl is mir z’ klein! Ich brauch’ ein größers!“

„Aber Schorschl? Was hast denn?“ fragte einer der Burschen.

Ein anderer sagte: „No schau, hast ja doch Platz, bist ja kein Leiterwagen!“ Und ein dritter rief lachend: „Jeh, der Schorschl is narrisch ’worden und bild’t sich ein, er is die Bäckenmahm’!“

„Bäckenmahm’? Was? Bäckenmahm’?“ Das Gesicht des Daxen-Schorschl rötete sich und strahlte vor Vergnügen. Jetzt hatte er einen, den er packen konnte. „Bäckenmahm! Wart, Dir will ich’s austreiben, daß D’ mir die Bäckenmahm’ beleidigst!“

Er stülpte die Aermel auf und schritt auf den Burschen zu, der halb geärgert und halb eingeschüchtert zurücktrat, als er diese nackten, kraftstrotzenden Arme sah. „Wer über die Bäckenmahm’ was sagt, hat ’s mit mir z’ thun! Komm nur her! Fang’ nur gleich an! Und eh’ Dich umschaust, hast schon Deine Schläg’, daß D’ übern Sonntag nimmer …“

Schorschl verstummte. Jähe Blässe war ihm über das Gesicht geglitten – und als hätte er plötzlich alles um sich her vergessen, stand er vor seinem Gegner und starrte an ihm vorüber auf die Thür des Krämerhauses.

Lachend oder halblaut scheltend gingen die Burschen davon. Nur der Angerempelte blieb noch immer stehen, um nicht als feiger Ausreißer zu erscheinen. Doch einer seiner Kameraden zog ihn am Arm mit sich fort und flüsterte ihm zu: „Geh, komm und laß gut sein! Der Schorschl meint’s ja net ernst! Heut’ spinnt er halt ein bißl … es muß ihm was Schiechs übers Leberl g’laufen sein! Geh, sei g’scheit und komm!“

Schorschl hörte nichts und schien nicht zu merken, daß er allein inmitten der Straße blieb. Die Blässe seines Gesichtes hatte sich wieder in dunkle Glut verwandelt, und während er erregt an den Lippen nagte, hingen seine funkelnden Augen an Vroni, die aus der Thür des Krämerhauses getreten war.

Sie trug auf ihren Armen drei große Brotlaibe, die ihr bis ans Kinn reichten und in die blaue Schürze gewickelt waren, damit der scharf ziehende Wind das frische Brot nicht austrocknen möchte. Als sie den Daxen-Schorschl gewahrte, glitt auch ihr eine flüchtige Röte über Stirn und Wangen, und einen Augenblick schien sie zu überlegen, ob sie nicht einen anderen Weg nehmen sollte. Aber welche Ursache hatte sie denn, vor „dem da“ davon zu laufen? Sie lächelte mit schmalen Lippen und folgte ruhigen Ganges der Straße. Etwa zwanzig Schritte vor Schorschl bog sie auf den Fußweg ein, der von der Straße durch einen mit Wasser angefüllten Graben und eine Pappelreihe getrennt war.

Schorschl lachte – es war ein merkwürdig gereiztes und gezwungenes Lachen – und setzte mit einem Sprung über den Graben. Mitten auf dem Fußweg blieb er stehen, legte die Hände auf den Rücken und wartete.

Vroni that, als hätte sie dieses Manöver gar nicht bemerkt. Erst als sie dicht vor Schorschl stand und nicht mehr weiter konnte, blickte sie auf. „Grüß Dich Gott!“ sagte sie mit kalter Ruhe – und das klang so von oben herab, obwohl sie um einen halben Kopf kleiner war als er und zu ihm aufschauen mußte. „Gut, daß D’ mir grad’ in Weg laufst!“

Schorschl schwieg, kaute an seinem Schnurrbart und schaukelte sich auf den Fersen.

Diesem Schweigen gegenüber schien Vronis Ruhe ein wenig ins Schwanken zu geraten. „Ich hätt’ Dich heut’ eh schon daheim in Deiner Schmieden aufsuchen sollen,“ sagte sie und gab ihrer Stimme ein bißchen mehr Schärfe, „aber ich hab’ mir gleich ’denkt, daß man Dich net daheim trifft.“

Schorschl schwieg; aber er machte eine tiefe Verbeugung.

„Drum hab’ ich Dir die drei Mark, die mein Bruder gestern schuldig bleiben hat müssen, zur Kramerin ’neing’legt. Und ..“ es zuckte wie in Zorn und Spott um Vronis Lippen, „ich hab’ mich schon b’sonnen, ob ich Dir net zehn Pfennig noch dazulegen soll … hast ja heut’ nacht bei uns droben Musi g’macht und hast auf’s Absammeln vergessen!“

Dieses Wort hatte dem Daxen-Schorschl das dunkle Blut ins Gesicht getrieben; aber er schwieg noch immer.

Vroni wurde ungeduldig – der funkelnde Blick, mit welchem Schorschls heiße Augen auf sie gerichtet waren, schien sie völlig um ihren schwer bewahrten Gleichmut zu bringen. „Was schaust mich denn so an? Du! Ich fürcht’ Dich net! Na! So ein’, wie Du bist, noch lang net! … Und jetzt geh’ aus ’m Weg! Dir liegt freilich net viel an der Zeit! Aber mir!“

Schorschl rührte sich nicht vom Fleck; aber die Sprache fand er. „Vergeltsgott, Katzerl!“ Das sagte er ganz leise, und mit ersticktem Lachen hob er ihr die zerkratzte Hand bis dicht vor die Augen. „Da schau her! … Feine Nagerln hast! Du könntst ja ein’ Toten wieder aus ’m Grab aussikratzen!“

Vroni furchte die Brauen und trat zurück. „So ein unsinnigs G’red’ da! … Du wirst schon selber wissen, wo Dir den Kratzer g’holt hast! Bei mir net! … Geh weg und laß mich heim!“

„So? Leugnen thust auch noch?“ Diese Erkenntnis brachte dem Daxen-Schorschl das Blut ins Kochen. „Du bist mir die Richtige! Wenn eine kratzt … no ja, in Gottsnamen … aber lügen braucht s’ deswegen doch net!“

„Du! … Ich hab’ in mei’m Leben noch net g’logen … und Deinetwegen thät’ ich ’s am allerwenigsten! … Gieb mein’ Weg frei, sag’ ich zum letztenmal!“

Ihre Stirne brannte, ein Zucken und Zittern ging um die heißen Lippen, und helle Blitze sprühten aus ihren Augen! Bei allem Zorn, der in Schorschl rumorte, war er doch nicht blind für das schmucke Bild, das Vroni in ihrer Erregung bot. So gut wie jetzt hatte sie ihm noch nie gefallen! Und da erwachte plötzlich in ihm die Erinnerung an die Träume des vergangenen Abends – das alles war nun freilich ganz anders gekommen, als er es sich gedacht hatte – statt mit dem Herzen hatte sie ihm die Antwort mit den Fingernägeln erteilt! Aber sollte er nun ganz leer ausgehen? Trotz allem, was in der vergangenen Nacht geschehen war, keimte in einem Winkelchen seines verliebten Herzens noch immer die lockende Vorstellung, wie schön und süß es sein müßte, diesen schmucken Trotzkopf an sich zu reißen und diesen roten, heißen Mund zu küssen! Nur ein einzigsmal! – Und warum denn nicht? – Hatte er denn nicht so eine Art von Recht, sich für den Streich bezahlt zu machen, den ihm das „liebe Katzerl“ in der Nacht gespielt hatte? – Dieser Gedanke war kaum in ihm aufgetaucht, da streckte er auch schon die Arme nach dem Mädchen.

„Du! … Mein’ Fried’ laß mir!“ stammelte Vroni und wich vor ihm zurück.

„Aber geh’! Ich kratz’ ja net! Im Gegenteil, schau, ich zahl’ Dir die heutige Nacht heim mit einer christlichen Wohlthat!“ Mit einem Sprung stand Schorschl an Vronis Seite und schlang den Arm um ihren Hals. Er meinte leichtes Spiel zu haben, da sie die drei Brotlaibe trug und wehrlos war. Doch er hatte wieder einmal falsch gerechnet, wie schon so oft in seinem Leben! Kaum hatte Vroni die Absicht des Daxen-Schorschl erkannt und seinen Arm an ihrem Hals gefühlt, da ließ sie kurz entschlossen die drei Brotlaibe fallen, welche plumpsend nach verschiedenen Seiten auseinander kollerten – und just in dem Augenblick, in welchem Schorschls gespitzte Lippen ihre Wange streifen wollten, stieß sie dem Burschen ihre beiden Fäuste mit so derber Kraft vor die Brust, daß er rücklings gegen die Hecke taumelte.

„Öha! Langsam!“ brummte Schorschl, während er mit beiden Armen fuchtelte, um das Gleichgewicht wieder zu finden. „Auskommst mir doch nimmer! Du!“ Und mit einem Feuermut, der ihm auf dem Schlachtfeld sicher die goldene Tapferkeitsmedaille eingetragen hätte, ging er wieder zum Angriff über.

Doch Vroni, welche bleich bis in die Lippen war, hatte das Schürzentuch, in das die Brotlaibe gewickelt waren, vom Boden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0567.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2024)