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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 35.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

     (11. Fortsetzung.)

Vroni hatte schon das Wäldchen am Fuß des laufenden Berges erreicht, als ihr noch immer die hellen Thränen über die Wangen rannen, und das stumme, schmerzliche Spiel dieser fallenden Tropfen begleitete sie auf dem ganzen steilen Heimweg. Erst als sie bei sinkender Dämmerung in die Nähe des elterlichen Hauses kam, blieb sie stehen und legte die schweren Laibe zu Boden, um ein Weilchen zu rasten und ihre Wangen zu trocknen. Da sah sie im Gestrüpp einer Haselnußstaude etwas hängen, das wie Gold glänzte – und als sie näher trat, erkannte sie die C-Trompete des Daxen-Schorschl, die in den Zweigen verfangen hing, wie ein Christkindlgeschenk am Weihnachtsbaum.

„Na! So ein Unsinn! So einer!“ stieß sie mit bebender Stimme vor sich hin. „Und wie er umgeht mit dem teuren Sach’!“ Scheu blickte sie sich nach allen Seiten um, dann griff sie hastig nach der Trompete und wickelte sie sorgfältig in die Schürze.

Als sie wenige Minuten später daheim den Hof betrat, hörte sie, daß ihr Vater und Mathes im Garten noch bei der Arbeit waren. Flink und lautlos trat sie ins Haus und eilte zu ihrer Kammer; noch ehe sie die Brotlaibe niederlegte, verbarg sie die blinkende Trompete in dem Kasten, auf dessen Thüren man trotz der tiefen Dämmerung noch die rotbrennenden Herzen leuchten sah.

Sie wollte das Brot in die Küche tragen; doch ehe sie zur Schwelle kam, fiel sie auf einen Sessel nieder, ließ die drei Laibe auf die Kommode sinken und brach in krampfhaftes Schluchzen aus.

So fand sie Mutter Katherl, welche vor Schreck die Hände über dem Kopf zusammenschlug. „Ja um Gottswillen! Madl! Was hast denn?“

„Ich weiß net …“ stotterte und schluchzte Vroni in der ersten Verwirrung. „So ein’ Wehdam hab’ ich halt! … So ein’ Wehdam!“

„Mar’ und Joseph! Am End’ hast Dich verkühlt! Gelt, ich hab’ Dir’s aber gleich g’sagt: zieh Dich ein bißl wärmer an! … Na! Na! Ja was thu’ ich denn mit Dir! … Wart’ ein bißl, ich mach’ Dir gleich ein’ recht ein’ heißen Thee!“

Wie sich Vroni auch wehrte – sie mußte ins Bett und mußte sich auf die von Mutter Katherl diagnostizierte „Verkühlung“ behandeln lassen.

Wieder fiel eine kalte, sternenlose Nacht über die Simmerau. Während die beiden Alten vor dem Schlafengehen noch ein Weilchen bei der „Kranken“ in der Kammer blieben, saß Mathes mit seiner Pfeife draußen auf der Hausbank und blickte bald empor zu dem schwarzen, sich immer dichter sammelnden Gewölk, bald wieder hinunter ins Thal, in welchem ein paar erleuchtete Fenster gleich winzigen Funken glimmerten.

Wenn der frostige Nachtwind schärfer emporzog über die Halden, klang vom Wirtshaus mit verschwommenen Tönen das Johlen und Singen herauf …

Das neu aufgefundene Bildnis Gerhart Vollks von Lukas Cranach d. Ä.
Im Besitz des Museums der bildenden Künste zu Leipzig.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 581. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0581.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)